... reinlesen




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Ich war zu schnell unterwegs, das wusste ich. Die Dunkelheit ringsum. Der dichte Schneefall. Die Straße war nicht geräumt. Zu dieser frühen Stunde war noch kein Mensch außer Haus. Es gab keinen Unterschied zwischen Asphalt, Wiese und Acker. In der Windschutzscheibe lief ein Bildschirmschoner, Starfleld Simulation, mit zweihundert Sternen, der Höchstanzahl, die man einstellen konnte. Sie rasten aus dem Dunkel des Alls auf mich zu. Ich musste genau schauen, um noch anderes wahrzunehmen, zum Beispiel Stangen, die für den Schneepflug aufgestellt worden waren. Sie trugen Rückstrahler, rote auf der rechten, weiße auf der linken Straßenseite. Das sind keine Flugobjekte, sagte ich mir. Ich brauchte etwas Bodennahes. Und so stellte Ich mir vor, die weißen Lichter wären entgegenkommende Panzer mit kampfbereiten Geschützen, die, einer nach dem anderen, plötzlich aus der Dunkelheit auftauchten, um alles zu durchsieben, was ihnen in die Quere kam. Manchmal blitzte im Scheinwerferlicht etwas auf, die Ecke eines Gefahrenzeichens, der noch nicht vom Schnee verklebte Rest eines Wegweisers, die windpolierte Wölbung einer Leitplanke. Die vielen Kurven machten es schwer, das Auto in der Straßenmitte zu halten. Die Panzer hatten gute Chancen, mich zu kriegen. Ich hätte langsamer fahren sollen, aber ich tat es nicht. Ich hatte einen Auftrag, und ich wollte ihm gewachsen sein.

Über Jahre war meine Haupttätigkeit für die anderen nicht sichtbar gewesen. Ich will mich ja nicht in dein Leben einmischen, hatte mein Vater ein ums andere Mal gesagt undsich dabei in mein Leben eingemischt. Er warf mir vor, ich würde den ganzen Tag nur mit dem Computer spielen. Er hatte nicht ganz Unrecht. Es gab tatsächlich kaum Computerspiel, das ich nicht kannte. Ich beobachtete die grafischen Effekte. Wenn sie mir gefielen, versuchte ich die Files zu knacken und ihr digitales Innenleben bloßzulegen. Das war nicht leicht, denn sie suchten ihre Eingeweide genauso zu schützen, wie Lebewesen es tun. Zur Entspannung schlachtete ich meinen Vater.

Drei Millionen, oder ich bring dich um, sagte ich.

Schau, sagte mein Vater. Wenn er unangenehm wurde, sagte er immer: Schau. Er hatte auch zu meiner Mutter dauernd Schau gesagt in der Zeit, als er nur noch unangenehm war. Schau, sagte er, ich habe dir das schon oft erklärt. Ich würde dir nichts Gutes tun damit. .... Für meinen Vater hatte ich mir schon Hunderte Todesarten ausgedacht. S. 9

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Lesezitat nach Josef Haslinger - Das Vaterspiel


Das Vaterspiel
Josef Haslinger - Das Vaterspiel

Endlich, vier Jahre nach seinem aufsehenerregenden Thriller "Opernball" legt der Österreicher Josef Haslinger einen neuen Roman vor. Und das Warten hat sich gelohnt.

Rupert Kramer, genannt Ratz, erhält von seiner Jugendliebe Mimi einen dringenden Anruf aus Amerika. Er soll ihr helfen, im Keller einen Verschlag als Versteck auszubauen. Rupert beginnt die Reise. Er ahnt nicht, dass Mimis Großonkel, der sich dort versteckt, ein alter Nazi ist. Ausgerechnet Rupert muss dies passieren, er, dessen Lieblingstagträumerei sich um die genüssliche Ermordung seines Vaters, eines österreichischen Ministers, bewegt.




Josef Haslinger - Das Vaterspiel
2000, Frankfurt, S.Fischer Verlag, 574 S.,

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Weißt du, fuhr sie fort, ich rufe dich an, weil ich Vertrauen zu dir habe. Das muss jetzt alles ganz komisch für dich klingen. Ich habe überlegt, an wen ich mich wenden könnte, und da bin ich auf dich gekommen.

Als er Anruf kam, war es mitten am Nachmittag. Danach ging ich im Kreis. Das ist meine Chance, dachte ich. In New York werde ich meine Videoanimationen verkaufen. New York wird mich reich und berühmt machen. Ich werde Mimi beim Haus helfen, und sie wird mir bei der Vermarktung meiner Erfindung helfen. Und dabei werden wir uns wieder nahe kommen. Mein lieber Ratz, du alter Masturbator, was du da gerade am Telefon gehört hast, war keine Radiostimme und keine alte Freundin aus Studienzeiten, es war nichts Geringeres als deine eigene Zukunft.

Am liebsten hätte Mimi gehabt, dass überhaupt niemand erfährt, dass ich nach New York fahre. S. 24

Die Schnepfe

In unserem Haus war ich der Erste, dem auffiel, dass die alte Ordnung zerbrach. Aber ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Mein Vater kam nun häufig nach Mitternacht heim, oft erst um zwei, hin und wieder sogar erst um vier Uhr. Er legte sich ins Bett und schlief sofort ein. Meine Mutter schien darüber zunächst beunruhigt zu sein. Später erzählte sie mir, sie habe diese Unregelmäßigkeiten seiner Arbeit zugeschrieben und nicht die grundlos eifersüchtige Ehefrau spielen wollen. Sie habe keine ernsthaften Hinweise auf eine Freundin gehabt.

Entschuldige, wollte ich herausschreien, ihr habt es doch monatelang nicht mehr richtig getrieben. Aber das konnte ich nicht sagen. Woher sollte ich das wissen. An den Wochenenden beobachtete ich meinen Vater. Er wirkte unruhiger, aber er war auch hilfsbereiter als früher. Er servierte regelmäßig ab, was er bis dahin nur selten getan hatte, weil ihm zur Nachspeise immer eingefallen war, wen er dringend anrufen müsse. Vom Tennisplatz kam er mit Blumen für meine Mutter zurück. Er organisierte Karten für Theaterpremieren. Er mähte den Rasen. S. 244

 

Losing My Religion

Als ich einmal in der Früh nicht mehr wusste, was ich am Vortag getan hatte, beschloss ich, mit dem Haschisch rauchen aufzuhören. Aber als ich dann am nächsten Abend bertrunken durch die Wohnung torkelte, dachte ich mir, so ein dumpfer Alkoholrausch ist mit den klaren Gefühlen eines Haschischrausches überhaupt nicht vergleichbar. Ich lebte in einer kleinen Mietwohnung in der Kettenbrückengasse. Sie war im letzten Stock des Hinterhauses gelegen. Von der Küche aus hatte ich einen kleinen eisernen Balkon. Er reichte gerade, um ein Tischchen und einen Sessel hinauszustellen. Wenn es warm war, saß ich dort am Abend und rauchte meinen Joint. S. 338

Mein Feuerzeug war mittlerweile so heiß geworden, dass es mir den Daumen verbrannte. Ich ließ es in den Schnee fallen und ging weiter. Der Scheinwerfer war nun deutlich zu sehen. Nur einer. Er leuchtete von der Straße in den Wald hinein. Das Auto stand schräg, auf der falschen Fahrspur. Im Inneren des Wagens brannte Licht, die Fahrertür stand offen. Die Musik kam aus dem Auto. Auf der Vorderseite, beim rechten Kotflügel, erhob sich der Schatten von Gerhard.

That was just a dream, just a dream, just a dream, dream. So klang das Lied aus.

Scheiße, verdammte Hure, fluchte der Schatten. Er drosch mit dem Fuß auf den Kotflügel ein.

Eine Radiostimme sagte: Neun Jahre alt und schon ein Klassiker, Losing My Religion von R. E. M. Neulich hat Britney Spears ihr neues Album präsentiert. Was die Presse dabei am meisten interessierte, war nicht die Musik der Sängerin, sondern ihr vergrößerter Busen. Letzteren können wir nicht bieten, dafür aber den Titelsong. Gerade erst in New York gelauncht und schon im Fifty-fifty-Morgenmix von In Linz beginnt's. You Drive Me Crazy.

Der Schatten beugte sich hinab, schnaufte und zog ruckartig am Blech. Dann richtete er sich wieder auf. Während Britney Spears ihre Verrücktheit bekannt gab: Crazy, l just can't see. l'm so excited, sagte der Schatten fünfmal hintereinander Scheiße. Es war nicht Gerhard, so viel war mittlerweile klar. Was immer man gegen Gerhard sagen konnte, er würde nie einen Radiosender hören, in dem nach R. E. M. Britney Spears gespielt wird. Der Mann ging wieder in die Hocke. ... S. 405

Lesezitate nach Josef Haslinger - Das Vaterspiel


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 14.9.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
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