... reinlesen

  Lesealter: 10 Jahre  

<<   weitere Bücher   >>



Bookinists
Buchtipp zu


Löcher

von Louis Sachar


Der Fluch des David Ballinger
Louis Sachar - Der Fluch des David Ballinger

igentlich wollte David nicht mitmachen, als Scott und die anderen beschlossen, der alten Mrs. Bayfield ihren Stock zu klauen. Dass die Dame dabei rückwärts aus ihrem Schaukelstuhl gestoßen und die Limonade über ihr ausgegossen wurde, der Krug anschließend durchs Fenster flog, das war vorher nicht so geplant. Aber am schlimmsten findet David, dass er so wie die anderen gelacht hat. Keiner hat sich entschuldigt, mit ihrem blöden Gelächter sind sie davon gesprungen.

Nur David hörte, wie Mrs. Bayfield, nachdem sie ihn scharf gemustert hatte, einen bedrohlichen Fluch murmelte. Sollte sie wirklich Zauberkräfte haben? In den kommenden Wochen kann sich David vor unglücklichen Missgeschicken nicht mehr retten.

Das Ärgerlichste aber ist, dass er durch seine Beteiligung an diesem dummen Jungen Streich keine Freunde gewinnen konnte. Im Gegenteil, alle hänseln ihn wegen seiner Ungeschicklichkeiten. Dass er den Reißverschluss seiner Hose zu schließen vergisst, ist eine der harmloseren dabei. Es dauert eine Weile, bis David merkt, dass er seine Gefährten in der falschen Gruppe gesucht hat.

Der amerikanische Autor Louis Sachar, der mit seinem vielfach ausgezeichneten Roman "Löcher" in Deutschland die Herzen der jungen Leser im Sturm eroberte, erzählt mit seinem Protagonisten David Ballinger eine ungewöhnliche Freundschaftsgeschichte. Sie handelt davon, dass es gar nicht so leicht ist, nein zu sagen, bei Dingen, die man eigentlich besser bleiben lässt. Nur allzu schnell verliert man sein Gesicht vor den anderen, doch noch schlimmer ist es, vor sich selbst nicht mehr bestehen zu können. Genau diese Überlegungen, aber auch eine erste, zarte Liebes- und Freundschaftsgeschichte, verpackt Louis Sachar in seinen spannenden Roman. Wer jetzt glaubt, er sieht schon den erhobenen Zeigefinger - weit gefehlt. Nein, Louis Sachar ist der ausgewiesene Spezialist für die komischen Seiten des Alltags.

Wie David den Fluch schließlich doch noch überwindet und sogar gute Freunde findet? Unbedingt selber lesen!
© manuela haselberger
    Lesealter ab 10 Jahren


Louis Sachar - Der Fluch des David Ballinger
Originaltitel: The Boy Who Lost His Face, © 1989
Übersetzt von Birgitt Kollmann
© 2002, München, Hanser Verlag, 183 S., 12.90 € (HC)



Autorenportrait
Louis Sachar, 1954 geboren in East Meadow, New York, studierte Ökonomie und Jura und arbeitete als Anwalt, bis seine Kinderbücher so erfolgreich waren, dass er sich ganz aufs Schreiben verlegen konnte. Mit 'Löcher' gelang ihm einer der größten internationalen Jugendbuch-Bestseller des vergangenen Jahrhunderts; das Buch wurde außerdem mit zwei der renommiertesten amerikanischen Jugendliteraturpreise ausgezeichnet: der Newberry Medal und dem National Book Award.




... reinlesen

Mann, ist die hässlich!", flüsterte Roger. Scott und Randy lachten.
David lachte auch, obwohl er die Bemerkung gar nicht witzig fand. Mrs. Bayfield war nicht hässlich. Sie war nur eine einsame alte Dame, die sich ein bisschen merkwürdig kleidete.

"Ist da jemand?", rief Mrs. Bayfield.
Das Grinsen verschwand aus Davids Gesicht. Die Jungen duckten sich hinter die Büsche neben dem rostigen Gartentor. Sie waren jetzt ganz still.

Mrs. Bayfield saß in einem Schaukelstuhl vor ihrem großen, dreistöckigen Haus. Es sah schon ziemlich verfallen aus. Sie trug ein gelb-weißes Kleid mit Blumenmuster und eine rote Strickweste. Auf ihrem langen grauen Haar saß ein roter Hut mit weicher Krempe. An den Füßen trug sie rote, knöchelhohe Turnschuhe und violette Strümpfe, die bis zum Knie reichten. Quer über ihren Beinen lag ihr Spazierstock mit den Schlangenköpfen.
Diesen Stock wollten sie ihr klauen. Deswegen waren sie gekommen.

Der Stock sah aus, als würde eine Schlange aus einem Ast herauswachsen. Die Schlange hatte zwei Köpfe, die in entgegengesetzte Richtungen blickten. Sie bildeten den Griff. In jeden der beiden Schlangenköpfe waren zwei funkelnde grüne Augen eingelassen. Ein Schlangenmaul war geöffnet und eine winzige goldene Zunge ragte heraus.

"Seht euch bloß die Haare an!", sagte Scott. "Ich glaube nicht, dass sie die schon mal gewaschen hat."
Die Jungen lachten, auch David.

"Ich glaube, die hat überhaupt noch nie gebadet!", sagte Roger. "Habt ihr sie mal gerochen?"
"Ich riech's bis hierher", sagte Scott und hielt sich die Nase zu. "Sie stinkt wie ein Schwein!"
Roger und Randy lacht, und auch dieses Mal lachte David mit, aber nicht, weil er irgendetwas an dem Gerede lustig fand. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er Mrs. Bayfields Geruch sogar ganz gern mochte. Er erinnerte ihn an chinesischen Tee. Irgendwann hatte er mal auf der Post hinter ihr in der Schlange gestanden und die ganze Zeit überlegt, was für ein Geruch das war. Schließlich hatte er sich für süßen chinesischen Tee entschieden.
Allerdings war er nicht so dumm, das Roger und Randy zu erzählen. Scott hielt ihn schon viel zu oft für absolut uncool.
"Okay, Scott", sagte Roger. "Wenn ich dir ein Zeichen gebe, schnappst du dir den Stock. Randy und ich kümmern uns um die Alte." "Und was soll ich machen?", fragte David.
Roger antwortete ihm nicht. Er sah David einfach nur an, so als wüsste er gar nicht, wieso der überhaupt da war.
David selbst wusste das auch nicht. Ganz bestimmt nicht, um dabei mitzuhelfen, einer armen alten Frau den Stock zu stehlen. Trotzdem war er enttäuscht, dass er in Rogers Plan nicht vorkam. "Halt dich einfach bereit, David", sagte Randy. "Mach das, was anfällt."
David nickte. Er war froh, dass wenigstens Randy ihn mitmachen ließ.
"Pass aber auf", warnte ihn Randy grinsend. "Sie ist eine Hexe."
David grinste zurück, auch wenn er keinen Schimmer hatte, was Randy so komisch fand.
"Sie hat ihrem Mann das Gesicht gestohlen", sagte Randy.
David kicherte, hörte aber schnell wieder auf, als er merkte, dass außer ihm keiner lachte. Scott sah ihn verächtlich an. "Sie hat gewartet, bis er eingeschlafen war", sagte Randy. "Dann hat sie es ihm vom Kopf geschält. Jetzt hängt es in ihrem Wohnzimmer an der Wand. Sie spricht sogar damit."
"Gruselig!", sagte Scott.
"Und was ist mit dem Mann?", fragte David.
"Inzwischen ist er tot", antwortete Randy. "Aber bis dahin hat er eben ohne Gesicht gelebt. Er blieb immer da oben auf dem Dachboden, damit ihn keiner sah."

David schaute zu dem kleinen Fenster direkt unter dem Giebel hinauf. "Wow", sagte er. Er fragte sich, ob Randy oder sonst jemand diesen Blödsinn wirklich glaubte. Scott mit Sicherheit nicht. Unvorstellbar.

Scott war seit der zweiten Klasse Davids bester Freund gewesen. In diesem Schuljahr aber hatte Scott es geschafft, sich an Roger und Randy anzuschließen.
"Du bist ein Klotz am Bein für mich", hatte er bald darauf zu David gesagt. "Wenn du bei Roger und Randy mitmachen willst, musst du cool sein."
"Bin ich doch", hatte David geantwortet.
"Dann versuch eben, noch cooler zu sein, okay?" "Ich bin ein Eisberg."
"Was?"
"Schon gut."
"Siehst du, genau das hab ich gemeint", sagte Scott. "Wenn du so was sagst, wenn Roger oder Randy dabei sind, dann denken die, du bist nicht ganz dicht. Und weil ich dein Freund bin, denken sie das von mir dann auch."

Als David jetzt zu Scott hinübersah, merkte er, dass er ein bisschen sauer auf ihn war. Scott hatte ihn bequatscht mitzukommen - damit er beweisen konnte, wie cool er war. Aber wenn sie mit Roger und Randy zusammen waren, ignorierte er ihn völlig. David kam sich vor wie Scotts kleiner Bruder, der ihm dauernd hinterherdackelte. Roger erhob sich und stieß das Gartentor auf. "Hallo?", rief Mrs. Bayfield.
"Hallo!", antwortete Scott, der nach Roger den Garten betrat.
David ging als letzter durch das Tor. Er wollte es gerade hinter sich schließen, als Randy sich zu ihm umdrehte und ihm zuflüsterte "Lass es offen!"

Bis auf ein kleines rechteckiges Blumenbeet gleich unterhalb der Veranda war der Garten dicht mit Unkraut bewachsen.

"Guten Tag, Kinder", sagte Mrs. Bayfield aus ihrem Schaukelstuhl, den sie mitten in den Vorgarten gestellt hatte. Neben ihr auf einem kleinen Tisch standen eine Karaffe und ein hohes Glas.

"Guten Tag", sagte Roger. "Wie geht's denn so?" "Danke, recht gut."
"Freut mich", antwortete Roger. "Ich heiße Frank. Und das hier sind George und Joe", fuhr er fort und zeigte auf Randy und Scott. "Und der da ist David", sagte er schließlich und wies auf David.
David wurde rot.

"Angenehm", erwiderte Mrs. Bayfield. "Ich bin Felicia Bayfield."
David machte es nichts aus, dass Mrs. Bayfield jetzt seinen richtigen Namen kannte. Schließlich wusste sie ja nicht, wie er mit Nachnamen hieß. Aber Roger hatte es mit Absicht gemacht und das ärgerte ihn.
"Möchtet ihr vielleicht ein Glas Limonade?", fragte Mrs. Bayfield.
"O ja, gern, Mrs. Bayfield", sagte Roger. "Wir lieben Limonade, stimmt's?"
"Ich auf jeden Fall", sagte Randy.
David zuckte mit den Achseln. "Klar", murmelte er und hoffte, die anderen würden es sich vielleicht doch noch anders überlegen. Sie könnten einfach ihre Limonade trinken und dann gehen.
"Es gibt nichts Besseres an einem heißen Tag als kalte Limonade", meinte Scott.
Es war kein besonders heißer Tag. Die Jungen hatten alle Jacken an.
"Auf der Veranda stehen ein paar Becher. Seid so lieb und holt euch selbst welche", sagte Felicia Bayfleld. Roger und Randy liefen zur Veranda, knapp hinter Mrs. Bayfields Stuhl vorbei. David sah, wie sie durch ihr schmales Beet trampelten und dabei die Blumen zertraten. Er lächelte Mrs. Bayfield an, um ihr zu zeigen, dass er wirklich nichts Böses im Sinn hatte.
"Ich hoffe, die Limonade ist nicht zu sauer für euch", sagte sie. "Sie ist selbst gemacht."
"Ich mag sie gern sauer", antwortete David und lächelte immer noch. Er sah, wie Roger Randy etwas zuflüsterte, während sie sich Plastikbecher aus einer Tüte nahmen, die auf einem Kühlschrank lag.

Roger kehrte mit vier Bechern zurück, die er auf das Tischchen stellte. "Ich gieße ein", sagte er und griff nach der Karaffe.
Randy blieb hinter Mrs. Bayfield stehen. "Hoffentlich reicht es für alle", sagte sie. Ihre Augen waren leuchtend grün. Sie funkelten wie die Augen der Schlangenköpfe an dem Stock, der noch immer auf ihren Beinen lag. Randy packte die Rückenlehne des Schaukelstuhls mit beiden Händen.
"Och, wird schon", sagte Scott. "Jetzt!", brüllte Roger.
Scott griff nach dem Stock, während Randy den Schaukelstuhl nach hinten kippte.

Mrs. Bayfield schrie auf, als sie hintenüberfiel. Roger schüttete ihr den Inhalt der Karaffe übers Gesicht und nun war statt der Schreie nur noch ein Blubbern zu hören. Mrs. Bayfields Beine ragten in die Luft und zeigten auf David. Er starrte direkt auf die seltsamste Unterhose, die er je gesehen hatte - schwarz-weiß gestreift mit roten Rüschen. Sie reichte von der Taille bis fast zu den Knien. Roger warf die Karaffe im hohen Bogen weg. Sie flog krachend durch ein Fenster im Erdgeschoss.
"Los, David!", brüllte Randy, der schon am Tor stand. "Sonst verflucht sie uns noch!"
Mrs. Bayfield kroch rückwärts aus ihrem Stuhl. Sie stützte sich auf ihre Ellbogen und schaute hoch zu David, der sie immer noch anstarrte.
Er wollte ihr helfen oder ihr doch wenigstens sagen, dass es ihm Leid tat, aber er tat es nicht.
Stattdessen zeigte er ihr den Stinkefinger.

Ihre grünen Augen blitzten ihn an und mit brüchiger Stimme rief sie wütend: "Dein Doppelgänger wird deine Seele heimsuchen!"
David begriff nicht, was sie da gesagt hatte, aber darüber machte er sich im Moment auch keine Gedanken. Er glaubte nicht an Hexen und Flüche und dergleichen. Und was das mit dem Doppelgänger sollte, war ihm schleierhaft. Er ahnte nicht, dass sein Gesicht eines Tages in ihrem Wohnzimmer an der Wand hängen würde.
Er rannte zum Tor. Es war geschlossen ... S. 5-10

Lesezitate nach Louis Sachar - Der Fluch des David Ballinger



© 8.6.2002 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de