... reinlesen




ebenfalls von
Majgull Axelsson


Augustas Haus




... reinlesen

"Wer bist du?" fragt meine Schwester.
Sie ist empfindsamer als die anderen, nur sie erspürt meine Anwesenheit. Jetzt sieht sie aus wie ein Vogel, wie sie dasteht, mit gerecktem Hals, und in den Garten späht. Sie trägt nur einen grauen Morgenmantel über dem weißen Nachthemd, und anscheinend spürt sie nicht, daß der Nachtfrost noch anhält. Der Morgenmantel ist offen, der Gürtel hingt nur noch in einer Schlaufe. Er liegt wie eine dünne Schwanzfeder hinter ihr auf der Küchentreppe.
Sie wendet den Kopf in einer ruckartigen Bewegung, lauscht in den Garten und wartet auf eine Antwort. Als die nicht kommt, wiederholt sie, jetzt ängstlich und mit schriller Stimme:
"Wer bist du?"
Ihr Atem bildet kleine weiße Federbüschel. Das steht ihr. Sie ist ein ätherischer Typ. Wie Nebel, dachte ich bereits beim ersten Mal, als ich sie sah. Das war an einem heißen Augusttag vor vielen Sommern, lange Zeit bevor ich ins Wohnheim gezogen bin. Hubertsson hatte dafür gesorgt, daß ich ins Freie gebracht und unter den Schatten eines großen Ahorns gestellt wurde, kurz bevor die Ärztekonferenz im Versammlungsraum des Krankenhauses beginnen sollte. Wie zufällig stieß er auf dem Parkplatz mit Christina Wulf zusammen, und wie ganz zufällig überredete er sie, die große Rasenfläche zu überqueren, auf der ich saß. Ihre Pumps sanken tief in das weiche Gras, und als sie auf den Kiesweg gelangte, blieb sie stehen, um zu kontrollieren, ob sich auch KEINE Erde unter den Sohlen festgesetzt hatte. Erst da bemerkte ich, daß sie Strümpfe trug, trotz der Hitze. Eine nette Bluse, einen halblangen Rock und eine Strumpfhose. Alles in verschiedenen Weiß- und Grautönen. S. 9
........... weiter....


Lesezitat nach Majgull Axelsson - Die Aprilhexe.


Die Aprilhexe
Majgull Axelsson - Die Aprilhexe

Majgull Axelsson, gehört zu den renommiertesten Journalistinnen Schwedens und hat mit ihrem zweiten Roman "Die Aprilhexe" die Bestsellerlisten ihrer Heimat im Sturm erobert.

Sicher wird sie in Kürze ihren Siegeszug in Deutschland fortsetzen. Das Thema ihres Buches, die Lebensläufe vier sehr unterschiedlicher Frauen, ist wie geschaffen dafür. Immerhin hat auch Marianne Fredriksson mit "Hannahs Schwestern" ihren Erfolg dadurch begründet.

Desirée, körperlich schwer behindert und von Spasmen geschüttelt, lebt seit ihrer frühesten Kindheit in den fünfziger Jahren, in Pflegeheimen. Unterhalten kann sie sich heute nur mittels eines Computers, doch sie besitzt eine recht außergewöhnliche Fähigkeit: Desirée ist in der Lage ihren Körper zu verlassen und mit einem geeigneten "Transportmittel", beispielsweise einer Krähe oder einer Möwe, die Welt zu erkunden. "Und genau wie das Elektron hinterlasse ich Spuren. Selbst dort wo ich nicht war."

Ihr Zustand verschlechtert sich zunehmend. Mit aller Anstrengung möchte sie mehr über die drei Mädchen wissen, die damals, als ihre Mutter Ellen sie ins Heim gegeben hat, ihren Platz bei ihr als Pflegekinder einnehmen durften. "Eine meiner Schwestern hat das Leben gestohlen, das für mich bestimmt war. Ich will wissen welche."

Margaret ist Physikerin. Sie kennt ihre Mutter nicht und wurde als erste bei Ellen aufgenommen. Auch sie hat von ihrer Liebe profitiert. Bis Birgitta dazukommt. Von Anfang an war sie ein schwieriges Kind, das eine Menge Unfrieden verbreitet hat. Bis heute stimmt in ihrem Leben nichts. Sie lebt als Alkoholikerin recht und schlecht von der Sozialhilfe. Die beiden anderen Schwestern geben ihr die Schuld am Schlaganfall Ellens, der sie bis zu ihrem Tod, vierzehn Jahre lang bewegungsunfähig machte.

Diese unterschiedlichen Fäden, aus denen die vier Schicksale der Frauen gewirkt sind, handhabt Majgull Axelsson mit großem Erzähltalent. Auf ihre weiteren Romane darf man gespannt sein.


Majgull Axelsson - Die Aprilhexe
Originaltitel: Aprilhäxan, © 1997
aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt

©2000, München, Bertelsmann Verlag, 512 S., 23.00 EUR (HC)
©2000, München, Bertelsmann Verlag, 512 S., 10.00 EUR (TB)



Fortsetzung des Lesezitats ...

Ab er ich kann dort sein, wo ich nicht bin. Genau wie ein Elektron, bevor es seinen Quantensprung macht. Und genau wie das Elektron hinterlasse ich Spuren. Selbst dort, wo ich nicht war.
Aprilhexe, sagen die Benandanti. Du bist fast so wie wir, aber keine von uns. Ich lasse meine Träger - eine Möwe oder eine Elster, eine Krähe oder einen Raben - ihre Flügel ausbreiten und mache eine ironische Verbeugung. Ich weiß. Ich bin fast so wie sie, aber keine von ihnen.
Einige von ihnen beneiden mich. Ich habe größere Fähigkeiten und kann mich über größere Flächen bewegen. Aber das ist nur gerecht. Ein Benandante hat immer einen funktionierenden Körper, sie alle leben ein normales Leben in der normalen Welt, und die meisten von ihnen verlassen ihrenKörper nur viermal im Jahr zu den Feiertagen. Einige von ihnen wissen nicht einmal, was sie sind. Wenn die Jahreszeiten wechseln und sie morgens aufwachen, nachdem sie die ganze Nacht in der Prozession der Toten mitgelaufen sind, haben sie nur noch eine vage Erinnerung an bleiche Gesichter und graue Schatten. Sie reden sich dann ein, sie hätten geträumt.
Eine Aprilhexe ist anders. Sie weiß, wer sie ist. Und nachdem sie ihre Fähigkeiten genau kennegelernt hat, kann sie durch die Zeit sehen und durch den Raum schweben, sie kann sich ebenso leicht in einem Wassertropfen oder in Insekten verstecken, wie sie Menschen in Besitz nehmen kann. Aber sie hat kein eigenes Leben. Ihr Körper ist immer dünn, unvollkommen und unbeweglich.
Wir sind nicht viele. Um die Wahrheit zu sagen, habe ich nie eine andere getroffen. Viermal im Jahr gehe ich treu und brav mit in der Prozession der Toten in der Hoffnung, einen meiner Art zu treffen, aber bisher ist das noch nie der Fall gewesen. Der Markt in Vadstena wird von allen möglichen Gestalten bevölkert, aber eine andere Aprilhexe habe ich noch nie dort gesehen. Ich mußte mich mit Benandanti begnügen, diesen ängstlichen Kleinbürgern der Schattenwelt. S. 109-110

Norrköpings Polizeizentrale steht wie ein Ausrufezeichen an der Norra Promenaden. Margareta sieht sie schon von weitem, aber als sie endlich angekommen ist, muß sie zwei Runden drehen, bevor ihr klar wird, wo sie abbiegen muß, um einen Parkplatz zu finden.
Norrköping hat sich nicht verändert. Das Licht vom Himmel hat immer noch diesen Messington, die Straßenbahnen rattern immer noch durch die Straßen, und Norrköpings Einwohner scheinen es immer noch so eilig zu haben wie vor dreißig Jahren. Ihr gefällt diese Stadt. Hier gibt es nicht diese säuerliche Selbstgerechtigkeit, die sie daheim in Kiruna manchmal zum Wahnsinn treibt. Vielleicht sollte sie ihre Doktorarbeit doch in den Papierkorb schmeißen und hierherziehen, ihre alte Lehrerausbildung hervorkramen, Studienrätin an irgendeinem Gymnasium werden und sich einen Liebhaber anschaffen. Einen Bauern vielleicht, mit kräftigen Wangen und tief verwurzelt in der Östgötaerde. Das wäre doch was. Oder sie würde es wie Hubertsson machen und jeden Donnerstag zu diesem ziemlich spießbürgerlichen Tanz im Standard HoteIl gehen. Da könnte sie sich herumtreiben und freitags wie eine Cheshirekatze aussehen. Genau wie er.
Aber leider. Das geht nicht. Wer von Tante Eilen erzogen wurde, kann seine Doktorarbeit nicht einfach in den Papierkorb schmeißen, der ist gezwungen, das zu beenden, was er angefangen hat. Ob das nun Margareras Doktorarbeit ist oder die Deckchen, die sie früher bestickte; auch wenn sie schon frühzeitig sehen konnte, daß das Ergebnis katastrophal sein würde, mußte das Projekt beendet werden. Das hat Tante EIlen so entschieden. Oder Gott. Oder die Universitätsverwaltung. S. 333

Lesezitate nach Majgull Axelsson - Die Aprilhexe

ähnliche Thematik
Marianne Fredriksson


Hannahs Schwestern




© by Manuela Haselberger
rezensiert am 7.5.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger