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Bookinists Buchtipp zu


Die Mädchen mit den dunklen Augen

von Judith Lennox



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JEDER SEINER STIEFEL hatte sechs Knöpfchen. Als sie sich bückte, um sie zu schließen, schlang Charlie ungestüm die Arme um ihren Kopf. "Allie, Allie, Allie!" rief er und trommelte mit seinen kleinen Fäusten auf sie ein. Charlie Lanchbury war zwei Jahre alt, ein pummeliger kleiner Kerl, den man ganz einfach liebhaben mußte. Alix hob ihn in die Höhe und gab ihm einen Kuß.


Sie sah zum Fenster hinaus in den Hof des Schlosses, wo Onkel Charles gerade Tante Marie in den Daimler half. Auch ihre kleinen Cousinen waren unten, Ella, May und Daisy, alle drei in den gleichen Kleidern, weißer Musselin mit rosaroten Schärpen. Es war Mays neunter Geburtstag, und zur Feier des Tages wollte die ganze Familie - Onkel Charles und Tante Marie, die vier Kinder, die Großeltern Boncourt und Alix - einen Ausflug machen.


"Steh mal einen Moment still, Charlie." Seine rotblonden Locken kitzelten sie unter dem Kinn, und sie mußte lachen, während sie versuchte, die Enden seines Spitzenkragens gerade zu ziehen. Geschmeidig wie ein Fisch entwand er sich ihren Händen und galoppierte 'Wert! Wert!" rufend im Zimmer umher.


Die Nachmittagssonne, die durch die Fenster fiel, warf helle Lichtquadrate auf den gewachsten Parkettfußboden. Als Alix ihr Skizzenbuch aufhob, flatterte ein Blatt Papier zu Boden. Es war eine Zeichnung, die ihren Vater und ihre Mutter zeigte, wIe sIe, mit riesigen Taschentüchern bewaffnet, am Quai standen und versuchten, die dicken Tränen aufzufangen, die zu ihren Füßen bereits einen kleinen See gebildet hatten. "Mr. und Mrs. Gregory beim Abschied von ihrer reiselustigen Tochter Alix" lautete der Titel über der Karikatur, die mit AJG, den Initialen ihres Vaters, unterzeichnet war.

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Lesezitat nach Judith Lennox - Picknick im Schatten


Picknick im Schatten
Judith Lennox - Picknick im Schatten

Wenn es draußen stürmt und schneit, was gibt es Besseres, als ein warmes Feuer, einen bequemen Sessel und einen wunderschönen, dicken Wälzer, in dem man ungestört versinken kann.
"Picknick im Schatten" ist für diese Gelegenheit die richtige Lektüre.

Die junge Engländerin Alix genießt den Sommer bei Verwandten in Frankreich. Ihre Aufgabe ist es, den kleinen Charles zu beaufsichtigen. Alles geht gut, bis Charles am Geburtstag seiner Schwester auf einem Jahrmarkt spurlos verschwindet.

Alix macht sich unentwegt Vorwürfe, doch der I. Weltkrieg steht vor der Tür und wen kümmert da ein kleiner verschwundener Junge?

Eine tragische Familiengeschichte, die mit vielen Dialogen das Leben in England und Frankreich in der Zeit zu Beginn des ersten Weltkrieges heraufbeschwört.

Nicht schwer zu lesen, aber unterhaltend.


Judith Lennox - Picknick im Schatten
Originaltitel: The Shadow Child, © 1999
aus dem Englischen von Mechthild Sandberg

© 2000, München, Kabel Verlag, 554 S., 19.90 € (HC)
© 2001, München, Pieper Verlag, 554 S., 9.90 € (TB)



Fortsetzung des Lesezitats ...

Alix hatte In den zwei Monaten ihres Ferienaufenthalts in Frankreich kaum unter Heimweh gelitten. Dazu war sie viel zu beschäftigt gewesen und zu fasziniert von der Andersartigkeit des Lebens hier. Es waren die ersten Ferien, die sie mit ihren Verwandten zusammen verbrachte; ihre ersten Ferien im Ausland, obwohl sie schon vierzehn war. Aber als sie jetzt die witzige kleine Zeichnung betrachtete, gab es ihr doch einen kleinen Stich. S. 9-10


Alix zuckte zurück , als Onkel Charles sich ihr zuwandte. Nie zuvor in ihrem Leben hatte jemand sie mit einem solchen Blick angesehen. Mit solch eiskalter Verachtung.


''Du bist nicht einmal fähig, deine eigene Nachlässigkeit einzugestehen, wie? Du versuchst tatsächlich, die Verantwortung auf deine kleine Cousine abzuwälzen. Du hast uns versprochen, gut auf Charlie achtzugeben. Weißt du das nicht mehr? Du hast versprochen, auf ihn aufzupassen." Er trat zu Tante Marie. "Ich fahre jetzt sofort in das Dorf zurück. Charlie muß noch dort sein. Mach dir keine Sorgen, Marie, ich werde ihn finden." S. 26


Als Alix gegen Abend im Park des Lazaretts einen Spaziergang machte, fiel ihr wieder ein, was Derry Fox gesagt hatte. Wir werden wahrscheinlich nie recht wissen, was wir mit unserem Leben anfangen sollen, und werden es wahrscheinlich nie zu was Besonderem bringen. Und als sie ihn gefragt hatte, ob dasd enn so wichtig sei, hatte er sie mit nachtdunklen Augen ernst angeblickt und gesagt: "Für mich schon." S. 40


"Was Ihre Frage angeht ..." Sie kniff die Augen zusammen, schmale eisblaue Splitter zwischen schwarz getuschten Wimpern. "ln mancher Hinsicht ist es angenehm, Witwe zu sein, in anderer wieder nicht. Man hat endlich die Kontrolle über die eigenen Finanzen. Es ist nicht meine Art, jungen Männern gute Ratschläge zu geben, Derry, aber wenn ich es tun müßte, dann würde ich Ihnen raten, sich so bald wie möglich finanziell auf eigene Beine zu stellen. Finanzielle Unabhängigkeit bedeutet Freiheit. Andererseits" - sie begann, den gewundenen Weg entlangzugehen, und Derry folgte ihr - "andererselts braucht man als Frau einen Begleiter, die Leute bilden sich ein, sie müßten einen bemitleiden, und erwarten, daß man dankbar zu den langweiligsten gesellschaftlichen Veranstaltungen antanzt - wie beispielsweise zu diesem Abend heute." S. 55


Herleville-aux-Bois war in der letzten Augustwoche des Jahres 1914 von den Truppen des Kaisers besetzt worden. Kämpfe, wie sie in den Straßen von Bapaume und Cambrai ausgefochten worden waren, hatten etwa zur gleichen Zeit den einen, von Wäldern umschlossenen Weiler Herteville verwüstet. Der Kirchturm war von einem Granatwerfer getroffen, Häuser und Geschäfte hatten die Soldaten zuerst geplündert und dann in Brand gesteckt. Als im Herbst 1914 Gefechtslinien gezogen worden waren, war Herleville-aux-Bois, dicht an der Front, unter Besatzung geblieben. Nach dem Abzug der Deutschen im Jahr 1917 hatte in Herleville kaum noch ein Stein auf dem anderen gestanden. Die Männer, die im Sommer 1918 an dem letzten verzweifelten Vorstoß nach Süden teilgenommen hatten, hätten nicht einmal ahnen können, daß das Dorf je existiert hatte. Nur die Wälder, die einst Häuser und Marktplatz umschlossen hatten, waren halb zerstört, geblieben. S. 351


"Wollen Sie nicht wissen, wie es war?" hatte <???????< gefragt. "Sind Sie denn gar nicht neugierig?" Und Derry hatte schwelgend genickt.

"Wir hätten den Jungen beinahe im Wald verloren. Das hat mich überhaupt erst auf die Idee gebracht. Nur darum sind wir zu dem Dorfrummel gefahren. Es war dunkel, und es wimmelte von Menschen. Als wir zu den Autos zurückgingen, sah ich ihn davonstromern. Der Rest war ein Kinderspiel. S. 532


Lesezitate nach Judith Lennox - Picknick im Schatten


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 20.9.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger