Morde in der Kleinstadt
Stephen Dobyns - Die Kirche der toten Mädchen

Der Roman "Die Kirche der toten Mädchen" des Amerikaners Stephen Dobyns spielt in einer amerikanischen Kleinstadt. Aurelius liegt 10 Meilen von Utica entfernt und mit seinen 7000 Einwohnern, der heruntergekommenen Hauptstraße, dem Einkaufszentrum am Stadtrand, der Bibliothek und dem College ist Aurelius genauso oder doch so ähnlich jedem bekannt. "Es ist nichts Neues, wenn man sagt, eine Kleinstadt ist wie eine Familie. Selbst mit Fremden teilt man seine Erlebnisse. Man fährt durch die selben Straßen wie sie, kauft in denselben Geschäften ein."

Das Leben in Aurelius wandelt sich schlagartig, als auf einem Dachboden die Leichen dreier Mädchen gefunden werden, die seit Wochen vermißt werden. Seltsamerweise fehlt jeder von ihnen die linke Hand. Nichts erinnert mehr an die ehemals verträumte Kleinstadt, deren Bewohner noch nicht einmal ihre Haustür abschlossen.

Der Erzähler des Romans, ein Biologielehrer, erinnert sich daran, wie alles begann.

Mit einem ausgefeilten Spannungsbogen bringt er dem Leser die Bewohner der Kleinstadt näher, schwenkt von ihrem Leben zu ihren Geschichten, spricht über ihre Eltern, ihre unglückliche oder glückliche Kindheit. "Man denkt an den Weg, den Menschen im Leben einschlagen. Bei manchen sieht es einfach aus. Sie zögern nicht. Sie sehen gut aus, sind intelligent, und das Leben öffnet sich vor ihnen wie das Rote Meer sich vor Moses auftat. Aber selbst auf das Leben solcher Menschen kann ein Schatten fallen."

Geschickt führt der Autor immer neue Personen ein, stellt sie zueinander in Beziehung und entwickelt so aus einer Skizze ein immer feiner ausgeführtes Mosaik. Sehr spannend schildert Dobyns, wie das Grauen, die Furcht, von den Menschen Besitz ergreift, zeigt, wie sich ihr Verhältnis zueinander verändert und wie aus lauter Angst neue Morde geschehen - an Unschuldigen. Die Toleranz untereinander ist nicht mehr vorhanden, jeder belauert jeden, ist gar der allwissende Erzähler am Ende in die Sache verwickelt?

"Stellen Sie sich zwei Landschaften vor...Die erste ist ein Feld auf dem Höhepunkt des Frühlings: Blumen blühen, alles wächst. Kaninchen rennen herum, Schmetterlinge flattern von Blüte zu Blüte. Und jede Menge Vögel: Rotkehlchen, Meisen, Drosseln, vielleicht ein paar Fasane. Ein Murmeltier spaziert vorbei. Die Apfelbäume stehen in Blüte, und die Vögel bauen ihre Nester in den Zweigen. "Klingt nach Walt Disney". "Genauso ist es." "Und wie sieht die andere Landschaft aus?" "Genau wie die erste, aber jetzt geben wir noch die Katze dazu, den Fuchs, die Schlange, den Falken." "Worauf wollen Sie hinaus?"... "Das erste ist die Landschaft von der die Leute hoffen, daß sie da ist, die Landschaft, in der sie zu leben glauben. Und das zweite ist die Landschaft, die existiert."

"Die Kirche der toten Mädchen" ist eine gut gemachte, fesselnd geschriebene, gesellschaftliche Studie über den Einzug des Grauens in eine Idylle, die schon vorher gar nicht so intakt war, wie von außen betrachtet, vermutet wurde. Die zweite Hälfte des Buches wird etwas langatmig, gemessen an dem furiosen Start.



Stephen Dobyns - Die Kirche der toten Mädchen
aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt
1997, Frankfurt, Krüger Verlag, 462 S., ,

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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1998-02-20
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