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Die Kunst Kinder zu kneten
Rudi Palla - Die Kunst Kinder zu kneten

"Wie Heranwachsende zu erziehen seien, das hat die Menschheit seit jeher beschäftigt; und die pädagogischen Rezepte fielen so unterschiedlich wie paradox aus."

Der in Wien lebende Autor und Filmemacher Rudi Palla meint, das sei eine Binsenweisheit und kramt deswegen tief in der historischen Kiste der Pädagogik, um zahlreiche skurile Beispiele zu Tage zu fördern.

Die weltberühmten Spartaner haben es ihm als erste angetan: Die Erziehung - so der sagenhafte Lykurg - ist die größte und wichtigste Aufgabe eines Gesetzgebers. Entsprechend sind Gehorsam, Disziplin, Selbstbeherrschung und äußerste Abhärtung das Ziel, zu welchem übrigens alle Erwachsenen der damaligen Gesellschaft beitrugen, "so daß es zu keiner Zeit und an keinem Ort an einem solchen fehlte, der {die Knaben} zurechtweisen, oder wenn nötig, strafen konnte."

Zu welcher Brutalität die damalige Jugend angespornt wurde zeigt, dass die Jungen normalerweise gezwungen waren bei den Älteren die Nahrung zu stehlen. Wer sich bei diesem Volkssport erwischen ließ, zog härteste körperliche Strafen auf sich.

Schon das folgende Kapitel ist bei weitem nicht mehr so martialisch: Die frühen Sozialutopien eines Th. Morus und Campanellas Sonnenstaat und darin jeweils speziell die Vorstellung einer kostenlosen, freien Grundbildung aller Kinder beschäftigen Palla als nächstes. Viele bekannte und unbekannte Modellversuche wie die von Owen oder Fourier wienert Palla wieder auf. Drollig die fourier´sche Vorstellung einer Berufsbildung ab dem 4. Lebensjahr: So soll die "Arbeit zur Spielerei in kleinen Modellwerkstätten werden, in denen sich kindgerechtes Handwerkszeug für die Maurerei, Sattlerei und Zimmerei" befindet.

Selbstverständlich gehören auch die Romanutopien von Aldous Huxley (Brave new World) oder Burrhus Frederic Skinner (Walden) in Pallas Buch. Da wiederum lassen Skinners Ideen den Leser bedenklich den Kopf schütteln, wenn er von den ständigen Lebenshorten der Kleinkinder schwelgt, die gemeinsam in großen Räumen auf Plastikunterlagen leben, die die Nässe aufsaugen.

Völlig überrascht ist man dann von der Erziehung russischer Kinder ausgangs des letzten Jahrhunderts: Das Kind war schlicht der Feind! Härteste Prügelstrafen, elterlicher Despotismus und absolut hartgesottene Lehrer und Erzieher haben Generationen von Kindern ihre Jugend zur Hölle gemacht.

Maxim Gorki beispielsweise beschreibt in seinen Romanen eindrücklich das körperliche und seelische Ausmaß solcher Züchtigungen.

Trotz eines Locke, Rousseau und Goethe ein Jahrhundert zuvor hat Palla aber auch über die deutschen Erziehung ungeheuerliches zu erzählen: Eines der größten Erziehungsprobleme der damaligen Welt war die Masturbation, Onanie und Selbstbefleckung, zu deren Vermeidung wahre Monsterkabinette entwickelt wurden.

Bandagen, Riemen, Drahtgeflechte und Metallringe sind dabei die harmlosen Hilfsmittel; selbst die Infibulation bei Knaben und Mädchen waren noch nicht das letzte Mittel.

Völlig andere Wege beispielsweise ging die japanische Gesellschaft: Palla untersucht den Samurai-Kodex der Kriegerkaste. Kaum ein Leser möchte seine Kindheit dagegen eintauschen.

Von der Hitlerzeit ( Lerne vom Militär! Eisen erzieht! Schule der Barbaren) bis zur Bewältigung des Penisneids in den Berliner Kinderläden der 70er Jahre - Palla hat gründlich recherchiert und die Rezepte der Kinderknetkunst scharf ausgeleuchtet, sicher nicht nur für Pädagogen interessant und lesenswert.


Rudi Palla - Die Kunst Kinder zu kneten
zahlreiche Abbildungen
1997, Frankfurt, Eichborn Verlag, S. 356, 22.90 €
1997, Frankfurt, Eichborn Verlag, S. 350, 1 in Leder gebunden

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zur Pädagogik des Kindes
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Weltwissen des Siebenjährigen

von Donata Elschenbroich




© 20.10.1997 by Thomas Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de