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,,Nein!" Das war Mamas Stimme.

,,Nein! Das kannst du nicht machen!" Sie brüllte. Sie schluchzte. Schreckliche Schluchzer von tief drinnen, die den ganzen Menschen schütteln.

Jetzt redete jemand. Die Stimme war tiefer, ich konnte die einzelnen Wörter nicht verstehen. Papa.

,,Nein! Wieder ein Aufschrei von Mama. Wieder diese fürchterlichen Schluchzer.

Ich hatte mir längst das Kopfkissen über den Kopf gelegt und das dicke Federbett drübergezogen, aber nichts konnte diese schrecklichen Schreie dämpfen. Sie drangen mir bis ins Mark.

,,Tu das nicht! Ich bitte dich!"

Jetzt heulte ich selber mit. Das war einfach nicht zum Aushalten. Früher hatte ich mich drüber gefreut, dass ich als Einzige von uns Kindern das Zimmer neben dem Elternschlafzimmer hatte, weil ich so zackzack nebenan war und kuscheln gehen konnte.

Zwischen Mama und Papa. Dann krabbelten mich beide, manchmal eher flüchtig und verpennt, wenn ich zu früh gekommen war, aber manchmal auch wunderbar ausgiebig und einfach zum Wegschmelzen.

Aber das war früher.

Mittlerweile wurde nicht mehr gekuschelt. Einerseits ist man mit fünfzehn auch schon ein bisschen zu groß dafür -


Leben aus der Wundertüte
Nina Schindler - Wundertüte

"Wundertüten sind schon toll - ist alles drin, wie im richtigen Leben!" Und es kommen erstaunlicherweise eine ganze Menge Überraschungen herausgepurzelt, wenn eine solche Tüte kräftig geschüttelt wird.

Das bisher stabile Familiengefüge der Feuersteins mit ihren fünf Kindern ist, seit der Vater beschlossen hat, endgültig auszuziehen, auch reichlich durcheinander geraten.

Nach der ersten Wut sieht es so aus, als ob sie alle miteinander die "Familienheulweltmeisterschaft" gewinnen würden. "Erster Preis: Tausend Taschentücher", doch dann fängt Mutter an als Lehrerin zu arbeiten, das Baby kommt in eine Spielgruppe und allmählich kehrt wieder der ganz normale Wahnsinn ein: Hausaufgaben, Einkaufsstreß, Geldsorgen; das Übliche eben.

Mit der Wahl ihrer Haushaltshilfen haben sie etwas Pech: Die eine ist schnell überfordet, die andere kleptomanisch veranlagt, doch auch diese Kleinigkeiten lassen sich mit gemeinsamer Anstrengung lösen.

Daß die neue Freundin von Papa entschieden jünger ist als er und gar nicht mal so unsympathisch, begreifen die Kinder bei einem Besuch der beiden. Aber als sich Ebel, ein Student, kaum älter als 24, in Mutter verliebt, wird es höchste Zeit für eine nächtliche Sitzung im Kinderzimmer.

Mit ihrem Roman "Wundertüte" greift Nina Schindler den Alltag vieler Kinder sensibel auf. Die althergebrachten Strukturen lösen sich auf und es bilden sich neue Konstellationen, Patchwork-Familien, in denen sich die Kinder neu orientieren und zurechtfinden müssen. Die Stärke Nina Schindlers hierbei ist, daß sie mit ihrem humorvollen Stil eine Menge Zwischentöne aufgreift und einfängt.
Das Leben ist halt hin und wieder ziemlich "wundertütig."

Lesealter ab 10 Jahren


Nina Schindler - Wundertüte
1999, Weinheim, Anrich Verlag, 144 S.

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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999/04/12

Quelle: http://www.bookinist.de
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