... reinlesen

Vor Entsetzen erstarre ich zu Stein und lasse die Luftmatratze aus dem Maul fallen. Vier Augen durchbohren mich mit stechenden Blicken. Zwei davon hab ich schon mal gesehen. Sie gehören der Ratte mit der dicken Wampe, wegen der ich vor neun Tagen fast draufgegangen wäre. Die andere Ratte ist viel schlanker und etwas größer und hat ein fieses Hobby: Zähnefletschen.

Wir glotzen uns an, ohne dass sich einer von uns von der Stelle rührt. Wetten, dass die beiden genauso viel Angst vor mir haben wie ich vor ihnen?

Wette verloren!

Denn plötzlich springt mir die große Ratte blitzschnell ins Gesicht und beißt mitten hinein in mein obergeniales Schnüffelgerät. Aaah, tut das weh! Heulend vor Schmerz stürme ich aus dem Keller.

Oben im Flur rase ich zwischen Frau Döllings Schwabbelbeinen hindurch. »Warum so eilig, Oswald?«, ruft sie mir hinterher. »Spielst du gerade Nachlaufen mit deinem Schwanz?«

Im Wohnzimmer lasse ich mich ächzend ins Körbchen fallen, rolle mich zusammen und lecke unermüdlich den geschundenen Riechkolben. So eine gemeine Attacke! Ich hab der verdammten Killerbestie doch gar nichts getan. Warum misshandelt sie mich trotzdem an meinem zweitedelsten Körperteil?

Verzweifelt frage ich mich, ob mein Geruchssinn nach dieser Verletzung noch genauso gut funktionieren wird wie vorher. Im Moment kann ich absolut nichts riechen, nicht mal die Kacke von Ronny, dem Kanarienvogel von Timos Mutter. Dabei hängt sein Käfig nur wenige Meter von mir entfernt an der Decke. Sogar meine eigenen Ausdünstungen sind meiner Nase schweißegal. Ein Oberschnüffier, der nie mehr schnüffeln kann - wäre das nicht eine unglaubliche Katastrophe? Und das ausgerechnet jetzt, wo sich die Detektive und ich demnächst auf die Jagd nach den Taschendieben machen wollen! Vorgestern bei Sven wurde der Club nämlich doch nicht aufgelöst.

Ich schnuppere und schnuppere und rieche genauso wenig wie nach einer Nasenkastration. Das schreit nach Rache! Dieser widerlichen Ratte zieh ich das Fell über die Ohren und benutze es anschließend als Klopapier.

Nach einer halben Ewigkeit verabschiedet sich der Schmerz wie eine Sinfonie: er verklingt. Eigentlich müssten nun die Duftnoten wieder zurückkehren, aber für die Gerüche ringsherum bleibt meine Nase absolut taub. Was soll ich bloß dagegen tun?

Um mich ein wenig zu beruhigen, könnte ein kleines Nickerchen nicht schaden. Doch kaum habe ich die Augen geschlossen, kommt Timos Mutter von der Arbeit. Ich weiß genau, dass sie gleich eine ganz bestimmte Frage stellen wird. Und ich irre mich nicht. Denn nur eine Minute später hör ich sie rufen: »Hat ....


Oswald jagt den Weihnachtsmann
Christian Bieneck - Oberschnüffler Oswald jagt den Weihnachtsmann

Auch in der Weihnachtszeit sind die Gauner rege und Oswald, der schlaue und häufig unterschätzte Hund des Detektivclubs von Timo, hat eine Menge Arbeit. In recht flapsigem Ton erzählt Oswald, wie er einer Bande Autodiebe hinterher schnüffelt. Immerhin waren die beiden Ganoven so unverfroren, den nagelneuen Wagen von Timos Vater in der Garage aufzubrechen, während sie Oswald mit Schokoladeriegeln fütterten. Konnte er denn ahnen, dass die beiden gar nicht die Handwerker waren, für die sie sich ausgaben? Oswald ist zwar Detektiv, doch kein Hellseher.

Als dann Timos Vater nach Hause kommt und Oswald rabiat mit lautem, zornigen Geschrei aus seinem Nickerchen reißt, ist es mit der Ruhe vorbei. Erst bei genauerem Zuhören registriert Oswald, dass der Herr des Hauses nicht nach einem "Haifisch" ruft, oder von einem solchen lebensgefährlich bedroht wird, sondern nur sein geklautes Car-Hifi-System meint und die wenig schmeichelnden Ausdrücke wie Hornochse und Dämlack für den besten Hund aller Zeiten, den "genialsten Schnüffler von ganz Düsseldorf" gedacht sind.

Oswald stehen harte Zeiten bevor, von Arbeitslosigkeit nicht die Spur in seinem Gewerbe, denn Timos Freund Yussuf wird auf dem Weihnachtsmarkt der Geldbeutel von einem Taschendieb entwendet. Kurzfristig denkt Oswald darüber nach, ob er sich wohl einer kleinen Schöheitsoperation unterziehen soll. Mit einer gefährlichen Rottweilervissage wäre seine Arbeit um einiges leichter.

Christian Bieniek, der Erfinder dieses überaus witzig erzählten Detektivromans, hat während der Arbeit an seinem Buch, das er aus der Sicht des Hundes erzählt, merkwürdige Erfahrungen gemacht: "Seltsame Dinge passierten. Morgens stand meine Müslischale nicht mehr auf dem Tisch, sondern darunter. Beim Spazierengehen warf meine Tochter mit Stöckchen um sich und befahl mir sie zurückzubringen." Tja, wenn Oswald so weitermacht, dann geht sein lang gehegter, heimlicher Wunsch, dass ihm zu Ehren "der Schwarzwald in Oswald" umbenannt wird, sicher bald in Erfüllung.

Lesealter ab 9 Jahren


Christian Bieneck -
Oberschnüffler Oswald jagt den Weihnachtsmann

Illustrationen von Ralf Butschkow
1999, München, arsEdition, 165 S.,

dieses Buch bestellen Email Lieferbedingungen


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999-11-21

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger