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Ich bin jetzt dreiunddreißig, und ein Drittel meines Lebens gehört Hanna ganz. Was mit den ersten zweiundzwanzig Jahren ist, weiß ich, wie gesagt, noch nicht. Gibt es mich unabhängig von ihr überhaupt? Reste von Leinenbinden, eine Handvoll Glassplitter um den Schädel verstreut, die Gürtelschnalle aus Messing, der schmucklose Ring: mein Hügelgrab im Schatten einer Esche, ein Findling als Dach. Ich werde Staubpinsel aus feinstem Marderhaar verwenden, ein Fläschchen Kunstharz, um die morschen Knochen notdürftig zu stabilisieren. Kleine Pappschachteln mit Schaumstoff, mit Watte ausgekleidet und sorgsam beschriftet, nehmen mich auf.

Die Bilder. Die Bilder habe ich für mich. Und die Träume vielleicht, Angst und Schrecken, unbeeinflußt von Mondphasen. Hanna fand Bilder schön oder nicht schön. Zwar ließ sie sich von mir bereitwillig durch Museen und Ausstellungen schleppen, hätte unter anderen Umständen allerdings auch gut darauf verzichten können. Wenn ich ihr wortreiche Erklärungen gab, stilgeschichtliche Einordnungen, gefiel ihr ein Bild gleich viel besser. Ich wollte seit meinem sechzehnten Lebensjahr Kunsthistoriker werden


Wir sind ein Zwei-Teile-Puzzle
Christoph Peters - Stadt, Land, Fluß

"Ich bin jetzt dreiunddreißig Jahre, und ein Drittel meines Lebens gehört Hanna ganz. Was mit den ersten zweiundzwanzig Jahren ist, weiß ich, wie gesagt, noch nicht. Gibt es mich unabhängig von ihr überhaupt?"

Mit diesem Satz aus Christoph Peters Roman "Stadt, Land, Fluß" ist die Spannweite seines ersten Buches grob umrissen.

In erster Linie beschreibt er die Liebesgeschichte zwischen Thomas Walkenbach, geboren 1962 am Niederrhein und der Zahnärztin Hanna. Der Beginn ihrer Liebe ist reichlich ungewöhnlich, denn wer verliebt sich schon auf dem Behandlungsstuhl eines Zahnarztes, auch wenn die Frau Doktor noch so bezaubernd ist? Die Kommunikationsmöglichkeiten sind an diesem Platz doch ziemlich eingeschränkt. Für Thomas und Hanna beginnt mit der Einsetzung der Zahnkronen ihr Glück. "Hanna und ich. Wir sind ein Zwei-Teile-Puzzle. Ineinandergefügt ergeben wir ein Bild." Nach der Hochzeit arbeitet er weiter als Kunsthistoriker an seiner Biographie über den Holzschnitzer Douwerman, ohne so richtig selbst an das erfolgreiche Ende seiner Arbeit zu glauben und Hanna übernimmt die Ernährerfunktion in der Familie.

Unterlegt hat Peters seinen Roman mit der unterschiedlichen Familiengeschichten von Thomas und Hanna. Bei Thomas sind dies seine ersten zweiundzwanzig Jahre. Eine nicht unerhebliche Rolle spielt dabei das Leben in der niederrheinsichen Landschaft, mit der Allgegenwart des Rheins.

Und die dritte Dimension ist Hannas Erkrankung an Brustkrebs und ihr Tod, der jedoch im Buch eher vage bleibt. "Die Unerträglichkeit des Glücks, weil es endet. Statt dessen: Aufatmen, rückwärtsgewandt."

Mit dieser rückwärtsgewandten Erzählhaltung, die mit dem Öffnen des Briefes beginnt, der Hannas Krankheitsbefund enthält, versucht Thomas das erlebte Glück mit Hanna zu bannen.

Christoph Peters hat am Ende der neunziger Jahre sein Debüt mit einer sehr klaren, wunderbar poetisch erzählten Liebesgeschichte gegeben. Man darf auf seine weiteren Büchern gespannt sein.




Christoph Peters - Stadt, Land, Fluß
1999, Frankfurt, Frankfurter Verlagsanstalt, 278 S., 38 DM

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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999/06/22

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger