Windhoek. Die Namibier sagen Vin'tuk. Das war Tipois erstes Wort. Noch vor Mama und Dadou sang sie "Vintuk, Vintuk, Vintuk" vor sich hin Lind freute sich über die kleine Explosion der Endsilbe zwischen ihren Lippen.
Als ich wegen der fortgeschrittenen Schwangerschaft nicht mehr mit Alain durch den Busch ziehen konnte, bin ich nach Windhoek gekommen, um hier mein Kind zur Welt zu bringen. Benjamin, ein Freund, den wir 1988 in der Kalahari kennen gelernt haben, hat mich bei sich aufgenommen -in seinem kleinen Haus mit dem winzigen Gärtchen und dem riesigen Grill, der durch den Besuch einer schwangeren Frau endlich seine Nützlichkeit beweist: Benjamin grillt nahrhafte Steaks, die mir helfen sollen, neue, kräftige Zellen zu entwickeln.
Jeden Tag gehe ich in unser Haus, um die Bauarbeiten zu überwachen. Wir haben beschlossen, uns anlässlich der Geburt unseres Kindes den Luxus eines festen Daches zu gönnen. Alain wollte nicht, dass ich in einem Zelt, einem erbärmlichen Bungalow oder, schlimmer noch, als Gast in einem fremden Haus sitze, wo mir doch eine der wichtigsten Erfahrungen meines Lebens bevorsteht, die Ankunft jenes Babys, das ich mir so sehr gewünscht habe. Auch ich fand, wir bräuchten ein praktisches und bequemes Zuhause, um das erste Glück der Elternschaft zu genießen und mit Tippi Bekanntschaft zu schließen. Leider gibt es in Windhoek rein gar nichts zu mieten. Die Stadt ist von Tausenden Vertretern der Vereinten Nationen überschwemmt, die hier im Friedensprozess zwischen Südafrika und Angola vermitteln und die Unabhängigkeit Namibias garantieren sollen. Selbst die kleinste Wohnung wird mit Gold aufgewogen. Deshalb begnügen wir uns mit einem Haus in ziemlich schlechtem Zustand, das ein Freund ausfin- dig gemacht hat und das wir nun komplett renovie ren lassen. Das Parkett wird abgeschliffen und innen und außen alles neu gestrichen, sogar das Dach. - Sobald ein Zimmer fertig ist, stelle ich ein schönes, altes Möbelstück hinein, breite ein paar Stoffe und Teppiche aus und hänge Fotos von Erdmännchen an die Wände..., ich baue ein Nest für Tippi.
Meinem Baby wird es an nichts fehlen. Unsere Freunde und Familien schicken aus Frankreich Pakete mit Säuglingswäsche. Ich frage mich, ob sie Angst haben, dass wir unserer afrikanischen Prinzessin einen Lendenschurz aus Baumrinde umbinden. Der große Benjamin mit dem dichten schwarzen Bart kann seine Begeisterung über die Strampler und Spielhöschen aus Paris jedenfalls nicht verbergen. Seine Freundlichkeit berührt mich sehr. Durch ihn fühle ich mich trotz Alains Abwesenheit nicht allzu allein.
Glücklicherweise gibt es ein großes Funktelefon. Im Damaraland und im Kaokoveld, wo ich an einem umfassenden Programm zur Erfassung der Tierbestände, vor allem der letzten Elefanten in der Wüste, mitarbeite, verbindet mich dieser Apparat mit Sylvie.
Wir sind alle zwei Tage um 7.30 Uhr morgens verabredet. Sobald die Leitung steht und ich ihre Stimme höre, fühle ich mich besser.
Sie sagt, dass alles in Ordnung sei, und ich glaube ihr.
Dann sagt sie, dass sich der Arzt irren würde, wenn er das Schlimmste befürchtet, weil Tippi nicht genug wächst. Auch das glaube ich ihr. Ihre Stimme klingt überhaupt nicht ängstlich, ganz im Gegenteil. Das Knattern des Empfangsgerätes raubt ihr weder die Wärme noch die Sicherheit. Wenn sie, die Tippi in sich trägt, so ruhig ist, gibt es keinen Grund zur Sorge. Eine Mutter spürt so etwas doch, oder? Also, glaube ich ihr.
Sobald die Verbindung abbricht, quälen mich dennoch Zweifel. Und wenn meine Tochter wirklich in Gefahr ist? Ich hätte niemals erlauben dürfen, dass mich Sylvie während der Schwangerschaft so lange überallhin begleitet. Ich bin so sehr daran gewöhnt, mich auf sie zu verlassen, weil ich weiß, wie stark sie ist. Deshalb habe ich mir keine Gedanken gemacht.
Jetzt bin ich krank vor Sorge. In Gesellschaft der Rangers, die versuchen, mich zu beruhigen - sie sind alle ledig und ohne Anhang, sie haben keine Ahnung -, kuriere ich meine Gemütsverfassung mit Unmengen von Rum.
Wäre doch nur schon morgen, damit Sylvie mich wieder mit guten Nachrichten beruhigt!
Alle zwei Tage kontrolliert der Arzt - ich habe ihn erst im achten Monat aufgesucht - Tippis Herzschlag. Sie ist winzig und wächst kaum. Der Arzt ist sehr besorgt und fürchtet, sie werde nicht lebensfähig sein. Er hat das Geburtsdatum errechnet und teilt mir mit, dass er am Morgen des 4. Juni 1990 die Entbindung einleiten werde. Ich habe immer von einer natürlichen Geburt geträumt, wollte mich einfach in den ewigen Lauf des Lebens einreihen, und nun bin ich nicht imstande, mein Kind ohne medizinische Hilfe zur Welt zu bringen! Am Vorabend des 4. Juni fährt mich Alainin die Klinik …..
S. 16-19
Lesezitate nach Alain Degré und Sylvie Robert - Tippis Welt