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Das Orakel von Oonagh
Flavia Bujor - Das Orakel von Oonagh

lavia Bujor gehört sicher zu den jüngsten Autorinnen Frankreichs. Sie war gerade zwölf Jahre alt, als sie begann ihren Roman "Das Orakel von Oonagh" zu schreiben. Ein Jahr später verfasste sie die letzten Seiten und nachdem ihre Klassenkameradinnen, denen sie ihre Abenteuergeschichte häppchenweise zu lesen gab, ganz begeistert waren, bot ihre Französischlehrerin das Manuskript verschiedenen Verlagen an - et voilà, jetzt liegt das Buch sogar in deutscher Übersetzung vor.

"Das Orakel von Oonagh" ist eine Mischung aus Märchen und Fantasy - Roman. Drei Mädchen, Jade, Ambre und Opale erhalten an ihrem vierzehnten Geburtstag jeweils einen geheimnisvollen Stein, passend zu ihrem Namen. Zusammen besitzen sie mit dieser Gabe übernatürliche Kräfte und es gilt, eine große Aufgabe zu meistern. Worin diese besteht, erfahren die drei Gefährtinnen erst im Lauf der Geschichte. Zunächst, so wurde ihnen geraten, machen sie sich auf den Weg, Oonagh zu finden, die im unbekannten Land Mär zu Hause ist. "Die Bewohner der Mär glauben. Sie glauben an das Unmögliche, an ihre Träume. Sie sind frei."

Als Klammer dieser fantastischen Erzählung dient Flavia Bujor die Rahmenhandlung, die in Paris im Jahre 2002 spielt, in deren Mittelpunkt das Mädchen Joa steht. Sie liegt schwer krank in einer Klinik und die Ärzte haben wenig Hoffnung auf ihre Genesung. Joa träumt sich davon in ihre eigene Welt voller wilder Abenteuer, in der der Tod gerade in Streik getreten ist und "der Rat der Zwölf" herrscht. Nicht zufällig bildet ihr Name die Anfangsbuchstaben ihrer Freundinnen im Reich der Fantasie: J für Jade, O für Opale und A für Ambre.

Flavia Bujor setzt ihren Ideen keine Grenzen, ihr Roman sprüht vor Einfällen, doch die Personen wirken etwas blass vor diesem üppigen Hintergrund. Deutlich spürbar sind bei der Lektüre auch Flavias Bujors Lieblingsautoren, Tolkien und Michael Ende. Noch fehlt ein wenig Tiefgang in der Geschichte, die Figuren bleiben in ihren Gefühlen und Ängsten zu flach. Liest man das Debüt dieser sehr jungen Autorin allerdings als schlichtes Märchen, entfaltet es durchaus seinen Reiz.
manuela haselberger


Flavia Bujor - Das Orakel von Oonagh
Originaltitel: »La Prophétie des Pierres«, © 2002
Übersetzt von Roseli und Saskia Bontjes van Beek

gebunden
© 2003, München, List Verlag, 316 S., 18 € (HC)


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PROLOG

Die ganze Nacht lang hatte er sich den Kopf zerbrochen. Er hatte nichts gegessen, nicht geschlafen, sich keine fünf Minuten Ruhe gegönnt, denn er musste eine Strategie entwickeln. Alles andere war unwichtig. Bei Tagesanbruch hatte er über Telepathie den Rat der Zwölf einberufen. Die Sitzung war kurz gewesen. Er hatte ihnen nut mitgeteilt, dass alles in Ordnung sei. Sein Plan sei unfehlbar und er werde ihn bald in die Tat umsetzen. Die ängstlichen Ratsmitglieder hatten nicht gewagt, ihn zu fragen was er genau vorhatte. Sie vertrauten ihm vollkommen. Ei war ihr Oberhaupt. Dann befahl er ihnen, mittags zu einer Versammlung von höchster Wichtigkeit zu erscheinen.

Jetzt, da der Augenblick gekommen war, diese geld- und machtgierigen Nichtsnutze wiederzusehen, zupfte er seine lange, goldbestickte, purpurne Robe zurecht und schritt zum Versammlungssaal des Rats der Zwölf. Wie gewöhnlich öffnete er die Tür mit einem Ruck. Sofort verstummten alle. Jedes einzelne der Ratsmitglieder spürte, wie Angst ihn beschlich, und keiner rührte sich mehr.

Das Dreizehnte Mitglied lachte boshaft. Niemand außerhalb dieser Gemäuer wusste etwas von seiner Existenz. Sein Bild wurde von keinem der zahlreichen Spiegel reflektiert. Er hatte keinen Schatten. Er war kein Mensch.


Der alte Mann las noch einmal die Passage in der Prophezeiung und schüttelte erst den Kopf. »Bald, sehr bald«, murmelte er. Dann erhob er sich mühsam von seinem Stuhl und blickte den Herzog von Divulyon an, der mit besorgter Miene vor ihm stand.

»Nun?«, fragte er den Herzog.
Der Alte tat einen tiefen Seufzer. Er schien am Ende seiner Kräfte zu sein. Unzählige Falten durchzogen sein Gesicht, und mit seinem gebeugten Rücken und den zitternden Beinen konnte er kaum aufrecht stehen. Er ließ sich in einen Sessel fallen und sagte mit schwacher Stimme: »Ich kann nichts daran ändern. Sie wird ihrem Schicksal folgen.«

Der Herzog, dem man die Angst deutlich ansah, hob die Stimme: »Theodon, du bist weise. Dein ganzes Leben hast du dem Studium der Prophezeiung geweiht. Du hast meinem Vater geholfen. Und du hast mir geholfen, hast mich beraten und mir beigestanden. Lass mich jetzt nicht im Stich! Sie muss leben. Sie muss ihr Schicksal bezwingen, was auch immer geschieht. Sie ist noch so jung. Der Gedanke, sie würde bald ... Was kann ich nur tun, um sie zu beschützen, Theodon?«

Der Alte stützte den Kopf in die Hände, und nach einem langen Schweigen antwortete er: »Ich liebe sie ebenso sehr wie du. Ich habe sie aufwachsen sehen und ins Herz geschlossen, auch wenn mein Verstand es mir verbot. Aber sie wird der Prophezeiung nicht entrinnen. Glaube mir, wenn ich ihr irgendwie helfen könnte, hätte ich keinen Augenblick gezögert. Du fragst mich, wie du sie beschützen kannst? Du kannst sie nicht beschützen, versteh doch endlich! Du kannst ihr nur übergeben, was ihr gehört, wenn der Tag gekommen ist. Geh jetzt. Verbringe mit ihr die letzten Momente, die dir noch bleiben.«

Der Herzog murmelte resigniert: »Diese vierzehn Jahre sind viel zu schnell vergangen.« Dann verließ er den Raum.

Der Alte sah die Flammen im Kamin lodern. Die Prophezeiung würde sich erfüllen. Es war nur noch eine Frage von Tagen. Er hatte diesen Moment erwartet, ihm ungeduldig entgegengesehen. Bald würde er auf all seine Fragen eine Antwort finden. Ihn schauderte. Es war dumm von ihm gewesen, sein Herz an das Kind zu hängen. Er hätte ihm aus dem Weg gehen sollen. Die Prophezeiung hatte dadurch eine andere Bedeutung für ihn bekommen: Diese rätselhaften Seiten, in denen er versucht hatte, die Zukunft zu lesen und eine Erklärung für die angekündigte tief greifende Erschütterung zu finden, verkündeten ihm jetzt nur noch Jades Schicksal.

Jade hatte sich auf ihr Bett fallen lassen. Sie hielt ein Buch in der Hand, war aber viel zu aufgeregt, um zu lesen. Ihr Blick ging ins Leere. Plötzlich hörte sie ein Klopfen. Sie sprang auf und rief: »Herein!«

Ein Diener öffnete die Tür einen Spaltbreit und meldete:
»Ihr Vater wünscht mit Ihnen zu sprechen. Können Sie ihn jetzt empfangen?«

Überrascht, dass der Herzog zu dieser Tageszeit nicht mit anderen Dingen beschäftigt war, willigte sie ein. Der Bedienstete verließ den Raum.

Jade strich ihr langes schwarzes Haar glatt und warf es über die Schulter. Da sie ihrem Vater gefallen wollte, ging sie hinüber zum Spiegel und lächelte, wobei sie leicht auseinander stehende Zähne entblößte. Ihre Wimpern waren vielleicht ein wenig zu dicht, und was ihr Haar betraf, so musste sie ständig mit widerspenstigen Strähnen kämpfen. Sobald sie sich aufregte (und das geschah häufig), röteten sich ihre Wangen und sie verlor die ein wenig gekünstelte Art, die manche für Hochmut hielten. Jade wusste sehr wohl, dass sie schön, hoch gewachsen und schlank war, und kleidete sich stets mit großer Sorgfalt. Aber eigentlich war sie nur selbstbewusst und in der Überzeugung aufgewachsen, dass sie das, was sie sich wünschte, auch bekommen würde.

Während sie ihrem Spiegelbild zulächelte, betrat ihr Vater das Zimmer. Sie ging ihm entgegen, und er umarmte sie mit ungewohnter Zärtlichkeit. Normalerweise war er eher zurückhaltend in seinen Gefühlen, obwohl er seine Tochter innig liebte. Er war nicht leicht aus der Ruhe zu bringen und bewahrte in allen Lebenslagen einen kühlen Kopf. An jenem Tag aber verhielt er sich aus irgendeinem Grund anders. Als er Jade aus seiner Umarmung entließ, stand er einen Augenblick da und betrachtete sie wortlos. Bewegt sah er ihr in die grünen Augen, deren Intensität jeden in ihren Bann schlug. » Sie ist mutig und energisch«, sagte er sich zu seiner eigenen Beruhigung, » sie ist eine starke Persönlichkeit.« Ihr Gesicht spiegelte ihren Charakter wider: Von ihm ließ sich ablesen, dass sie stolz war, entschlossen, aber auch launisch und eigensinnig. Ihr Vater konnte weder den Blick von ihr abwenden noch auch nur ein einziges Wort hervorbringen.

Schließlich brach sie das Schweigen: »Papa, ist etwas nicht in Ordnung? Warum bist du nicht damit beschäftigt, deine Angelegenheiten zu regeln, Berge von Papieren zu lesen oder tausend andere Dinge zu erledigen? Ist etwas geschehen, dass du nicht arbeitest? Hat es mit mir zu tun?«

Ihr Vater erwiderte in bemüht heiterem Ton: »Nein, nein, Jade, es ist nichts. Ich habe nur gerade ein wenig Zeit. Das ist zwar eine Seltenheit, aber wie du siehst, kommt es auch bei mir gelegentlich vor. Nun, wie geht es dir?«

Jade antwortete ihm aufgeregt: »Das Fest naht, und es wird wundervoll werden! Ich kann mich noch nicht zwischen dem mauvefarbenen Kleid aus Seide und dem weißen aus Satin entscheiden, deshalb habe ich in der Grafschaft Tyrel ein drittes in Auftrag gegeben. Wenn es rechtzeitig eintrifft, werde ich das tragen. Ich kann es kaum erwarten! Statt der Tage zähle ich die Stunden und Minuten. Was die Dekoration des Saals, das Essen und die Musik betrifft, habe ich schon alles arrangiert. Was für ein Spaß es ist, sich alles selbst auszudenken! Die Musiker kommen sogar aus einer anderen Stadt.«

Begeistert erzählte sie weiter, doch ihr Vater hörte nicht länger zu. »Sie ist zu unbekümmert«, stellte er bei sich fest, »sie kennt weder Mühen noch Gefahren. Es wird ihr nicht gelingen zu überleben. « Er bedauerte sogleich, kein größeres Vertrauen in Jade zu setzen, und versuchte sich auf ihre Worte zu konzentrieren. »Es wird großartig werden, einmalig, überwältigend! Ich bin ja so gespannt. Ich habe noch immer nicht entschieden, ob das Eis vor den Makronen serviert werden soll oder danach. Vielleicht doch lieber danach, oder? Übrigens bin ich mir nicht sicher, ob die Baronin von Carolynt kommt. Es heißt, sie habe Fieber. Sie ist die Einzige, die noch nicht zugesagt hat. Aber ich finde sie sowieso langweilig.«

»Jade? Weißt du eigentlich, was Angst ist?«
Verblüfft und ein wenig gekränkt hielt sie inne. Warum unterbrach ihr Vater sie, noch dazu, um ihr eine so unpassende Frage zu stellen? Freute er sich denn nicht auf das bevorstehende Fest? Ungehalten erwiderte sie: »Angst? Angst wovor? Ich habe noch nie Angst gehabt. Nur Feiglinge und Schwächlinge haben Angst. Warum fragst du mich das, Papa?«

Sie stockte. Mit einem Mal fiel ihr auf, dass ihr Vater ganz bleich war. Warum hatte sie nicht früher seine angespannten Züge, die dunklen Ringe unter den geröteten Augen bemerkt?
S.7-11


Lesezitat nach Flavia Bujor - Das Orakel von Oonagh


Flavia Bujor gehört sicher zu den jüngsten Autorinnen Frankreichs. Sie war gerade zwölf Jahre alt, als sie begann ihren Roman "Das Orakel von Oonagh" zu schreiben. Ein Jahr später verfasste sie die letzten Seiten und nachdem ihre Klassenkameradinnen, denen sie ihre Abenteuergeschichte häppchenweise zu lesen gab


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© 14.2.2003

by Manuela Haselberger
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