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Bookinists Buchtipp zu


Wie Licht schmeckt

von Friedrich Ani


Roman von
Friedrich Ani:


German Angst



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Als er ihn zum ersten Mal sah, erschrak er, und dieser Schrecken war das Glück. Er war erschrocken und glücklich zugleich, überwältigt von unbändiger Freude, die ihn zwang, wie angewurzelt stehen zu bleiben, den Atem anzuhalten und etwas Seltsames zu tun: Er schaute sich um. Er schaute sich um, weil er plötzlich glaubte, heimlich beobachtet zu werden. Das war unsinnig, denn er wusste, dass außer ihm niemand den Weg von der Hauptstraße, wo seine Kollegen ihre Autos geparkt hatten, bis zu diesem Teil des Waldes gegangen war. Er war der Einzige gewesen, der sich abgeseilt hatte, weil er seine Ruhe haben und den schrecklichen Anblick loswerden wollte, der sich ihm vor einer halben Stunde im Unterholz geboten hatte. Keiner seiner Kollegen von den anderen Zeitungen und vom Fernsehen, keiner der vielen Polizisten, die den Fundort der Leiche abriegelten, die ein Jogger vor einer Stunde zufällig entdeckt hatte, war ihm gefolgt. Vielleicht hatten sie sein Verschwinden nicht einmal bemerkt. Und dennoch konnte er nicht anders als ruckartig den Kopf zu drehen und zwischen den Bäumen hindurch ins diffuse Morgenlicht zu starren. Farne, Sträucher, abgeknicktes Gehölz, Erdhügel und giftige Beeren, aber nirgends ein Mensch, nicht einmal ein Tier, kein Vogel weit und breit, kein Eichhörnchen, kein Käfer. Als wäre der Wald ausgestorben und zum Stillstand gekommen. Während dieses Augenblicks, als er sich umschaute und in die Richtung blickte, aus der er ziellos bis hierher gelangt war, gehörte die Gegenwart vollkommen ihm, er war der Mittelpunkt und ihre Quelle, die kühle Tannennadelluft floss um ihn wie sein eigener Atem durch die Nase und den Mund, und er ballte die Fäuste und spürte eine Kraft wie noch nie. (S9-10)

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Lesezitat nach Friedrich Ani - Durch die Nacht, unbeirrt


"Das Universum ist bewohnt
und niemand geht verloren"

(Zitat S.267)
Friedrich Ani - Durch die Nacht, unbeirrt

"Durch die Nacht, unbeirrt" ist ein Roman für Jugendliche, der nicht nur jungen Lesern den Atem stocken lässt.

Mingo lebt in einem Wohnblock in Betonien, so nennen die Kids unter sich Neuaubing, einen Stadtteil Münchens. Seine Schulfreunde beobachten ihn misstrauisch, sie vermuten, dass er nicht richtig tickt, denn Mingo liest freiwillig Bücher und geht gern in den Wald. Seit einigen Wochen hat er beschlossen keinen Alkohol mehr zu trinken und mit Fleisch zum Mittagessen ist auch Schluss. Er will keiner jener Mitläufer sein, die überhaupt keinen Schimmer haben, was sie selbst wollen.

Als Isa, seine Freundin, in der Schule fehlt, macht er sich Sorgen. Ihre Eltern behaupten sie sei krank, doch irgendetwas scheint da nicht zu stimmen. Am nächsten Morgen fährt er unbemerkt im Kofferraum von Isas Vater mit. Mingo schaudert, als er Isa aus einer fremden Wohnung befreit, in der sie mit Zustimmung ihrer Eltern für Filmaufnahmen festgehalten wurde. Und es waren keine Märchenfilme, die dort gedreht wurden.

Isa ist völlig zerstört. Sie kann das Unglück nicht fassen, das ihr von ihren Eltern angetan wird, damit sie aus ihren finanziellen Schwierigkeiten kommen. Sie schluckt Ecstasy Pillen und nur wenige Menschen können sich später, als sie ihre Todesanzeige lesen, erklären, warum ein vierzehnjähriges Mädchen an einem Herzinfarkt sterben kann.

Der Münchner Autor Friedrich Ani schildert in seinem verstörenden Roman über Einsamkeit eine trostlose und kalte Welt, in der die Erwachsenen beschädigt und schuldig sind und den Kindern keinerlei Halt bieten können. Den hohen Realitätsgehalt und die dichte Atmosphäre vermittelt Anis Sprache, die echt ist, ohne anbiedernd zu wirken. Die Schauplätze der Handlung kennt er genau, das ist in jeder Zeile spürbar und bei Mingo und Isa stimmen von den Nike Turnschuhen an den Füßen bis zur Swatch Uhr am Handgelenk einfach alles. Ein Buch, das lange nachwirkt. © manuela haselberger

Lesealter ab 14 Jahren


Friedrich Ani - Durch die Nacht, unbeirrt

© 2000, München, Hanser, 280 S., 12.90 € (HC)



Fortsetzung des Lesezitats ...

Jemand stieß einen Pfiff aus, wahrscheinlich Daniel. Der hielt ihn für einen Straight Edger, für einen dieser turbodämlichen Mönche, die es schräg fanden, keinen Alk zu trinken, kein Fleisch zu essen, keine Pelze zu anzuziehen und nicht mit Mädchen rumzumachen. Aber so einer war er nicht. Was er machte, das machte er für sich allein, das ging nur ihn was an, das war seine Sache, da brauchte er keine Parolen dazu, und er redete auch nicht darüber wie diese Labersäcke, die sich irrsinnig wichtig vorkamen. (S.19)

Er war schüchtern, obwohl er schon sechzehn war, und er hatte bestimmt noch nie mit einem Mädchen geschlafen.Er laß Bücher und ging in den Wald, aber niemand wußte wieso. Sie hatte ihn gefragt, als sie vor ihrem Haus standen und er mal wieder Luft holen musste zwischen den Küssen, da hatte sie ihn gefragt .... (S.71)

An diesem breiten grauen Grabstein, zweihundert Meter von der Stelle entfernt, an der Isas Leichnam für immer in der Erde verschwand, hielt er sich zum ersten Mal nicht für einen Typen, der nicht richtig tickte, wie die anderen behaupteten und wie er selber oft glaubte, weil er nicht mehr gern Fußball spielte, sondern lieber in den Wald ging, sondern lieber ein Buch las, eine echte Schauspielerin zur Freundin hatte, auf dem Schulhof meistens am Rand stand und sich bei niemandem darüber beschwerte ... (S.229)


Lesezitate nach Friedrich Ani - Durch die Nacht, unbeirrt


© 2.3.2000
by Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de