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Assia Djebar:


Die Zweifelnden
München, Heyne Verlag, 124 S. ISBN 3453064240

Die Ungeduldigen
München, Heyne Verlag, 220 S. ISBN 3453061195
Die Ungeduldigen
Zürich, Unionsverlag, 236 S.,

Fantasia
Zürich, Unionsverlag, 336 S.,

Fern von Medina
Zürich, Unionsverlag, 400 S.,

Die Schattenkönigin
Zürich, Unionsverlag, 224 S.,

Weit ist mein Gefängnis
Zürich, Unionsverlag, 384 S.

Weisses Algerien
Zürich, Unionsverlag, 251S. (TB),
Weisses Algerien
Zürich, Unionsverlag, 280 S.,


Oran - Algerische Nacht
Zürich, Unionsverlag, 280 S., 38DM

Nächte in Strassburg
Zürich, Unionsverlag, 290 S.,


Die Frauen von Algier
Zürich, Unionsverlag, 192 S.,



über Assia Djebar:
Esther Winkelmann -
Schreiben als Gedächtnisarbeit.
Pahl-Rugenstein


Assia Djebar
Friedenspreisträgerin 2000


Mit der algerischen Schriftstellerin Assia Djebar, die am 22. Oktober 2000 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche erhielt, wurde eine politisch und gesellschaftlich engagierte Frau geehrt, die mit ihren Büchern eine Brücke zwischen dem unruhigen Algerien und dem kulturell weit entfernten Europa schlägt. Diese faszinierende Frau, die den unschlagbaren Vorteil hat, in beiden Welten zu Hause zu sein, zählt zweifellos zu den bekanntesten Autorinnen des Maghreb.

Geboren wird Fatima – Zohra Imalayène in Cherchell, einem kleinen Dorf an der nordafrikanischen Küste. Als einziges muslimisches Mädchen besucht sie die Koranschule und die französische Schule, an der ihr Vater Lehrer war. In den Jahren 1953 und 1954 studiert sie in Algier und Paris, wobei sie 1955 als erste Algerierin in die berühmte Elite – Hochschule Ecole Supérieur von Sièvres aufgenommen wird.

Ihre Premiere auf dem literarischen Parkett beginnt mit "Die Zweifelnden" (Das Original "Le Soif", wäre besser übersetzt mit "Begierde"). Diesen Roman schreibt sie 1956 innerhalb weniger Monate, während eines Streiks der Studenten für den algerischen Befreiungskampf. Sie veröffentlicht ihn, wie alle ihre späteren Werke, unter dem Pseudonym Assia Djebar.

In einer knappen, atemlosen, doch sehr sinnlichen Sprache, die häufig mit einem Blick oder einer Geste mehr sagt als Worte, beschreibt sie einen heißen Ferienmonat, den die Studentin Nadia träge am Meer verbringt. In der Nachbarschaft trifft sie die frisch verheiratete Freundin aus Kindertagen wieder. Aus purer Langeweile und aus Spaß an der Eifersucht des eigenen Freundes, beginnt Nadia den Ehemann ihrer Freundin zu verführen. Die beiden Frauen liefern sich ein tödliches Duell, fein gesponnen mit den Waffen der Frauen, ein vernichtender Blick, ein kurzes Augenzucken.

Auch im nächsten Roman "Die Ungeduldigen", verleiht sie den algerischen Frauen eine eigene Stimme und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zu einem neuen Selbstbewusstsein der Frauen in der arabischen Welt.

Assia Djebar heiratet 1958 und folgt ihrem Mann, der im Untergrund lebt, nach Tunis. Erst nachdem Algerien 1962 die Unabhängigkeit erhalten hat, kehrt sie nach Algier zurück. Sie, die bislang französisch geschrieben hat, beginnt, sich mit dem Arabischen zu beschäftigen, dem klassischen Arabisch, aber auch mit der Sprache des Stammes ihrer Mutter, dem Dialekt der Berber.

Literarisch verstummt sie für die Dauer von zehn Jahren. Sie dreht in dieser Zeit mehrere Filme über ihre Heimat, die auf der Berlinale ausgezeichnet werden und lässt sich 1974 von ihrem Mann scheiden.

In den achtziger Jahren spitzt sich in Algerien die politische Lage zu, fanatische Fundamentalisten beginnen den Alltag mit Intoleranz und Terror zu überziehen. In dieser unruhigen Zeit publiziert sie ihr Hauptwerk, die Maghreb – Tetralogie, zu der "Fantasia", "Die Schattenkönigin", "Weit ist mein Gefängnis" und "Weisses Algerien" gehören.

Während sie in "Fantasia" eigene Kindheitsmomente kunstvoll mit der algerischen Geschichte verknüpft, geht es in "Die Schattenkönigin" um eine Studentin, die in Frankreich studiert hat und in eine traditionelle moslemische Ehe gesteckt werden soll. Auch dieser Roman verleugnet nicht den autobiografischen Hintergrund.

Der dritte Band "Weit ist mein Gefängnis" verbindet das Leben einer modernen, gebildeten Algerierin mit herausragenden historischen Frauenfiguren der maghrebinischen Geschichte. Eine ähnliche Technik nutzt sie auch bei dem Roman "Fern von Medina", der 1991 publiziert wird. Er erzählt von den Frauen Mohameds nach dem Tod des Propheten.

Zweifellos ihr sprachlich schönstes, aber auch traurigstes Buch ist "Weisses Algerien", wobei weiß für die Farbe der Trauer steht. Exemplarisch schildert sie den Tod dreier Männer aus ihrem engsten Bekanntenkreis, die, neben vielen anderen Intellektuellen, von religiösen Fundamentalisten ermordet wurden. In einer Sprache, gleich einer zweiten Haut, eindringlich, intensiv und drängend, verleiht sie ihrer Verwundung Ausdruck. "Ja, viele sprechen von Algerien, mit Inbrunst oder im Zorn. Indem ich mich an meine Verstorbenen wende und von ihnen getröstet werde, träume ich es."

Am Ende des Buches steht eine lange Liste algerischer Intellektueller, die dem Terror zum Opfer gefallen sind.

"Nächte in Strassburg", ihr letzter bislang auf Deutsch erschienener Roman, widmet sich vordergründig mehr dem Privaten, der Zärtlichkeit und der Liebe. Eine junge Frau, Thelja, fährt nach Straßburg, um dort neun Nächte mit ihrem Geliebten, einem zwanzig Jahre älteren Mann zu verbringen. Doch die steinernen Masken des Münsters murmeln und erzählen vom deutschen Einmarsch in der geräumten Stadt. Aber die Liebe kann die Politik nicht verdrängen, so dass am Ende aus den Liebesnächten ein beklemmender Aufenthalt in "Elsagerien" steht.

Eine kleine Vorfreude am Schluss: für das Frühjahr 2001 ist die deutsche Erstausgabe von "Oran, langue morte" geplant und noch in Arbeit ist der Roman mit dem Titel "La beauté de Joseph".

© manuela haselberger


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PROLOG


Die Bewohner der Stadt wurden vertrieben. Vertrieben?
Nein, denn die Räumung der gesalmten Bevölkerung war monatelang, eigentlich schon seit zwei, drei Jahren geplant worden. Seit dem Massaker, das die deutschen Messerschmidts in Guernica angerichtet hatten.

Die Stadt, um die sich wie ein Kranz vierzig Dörfer gelegt hatten, befand sich nämlich außerhalb der Befestigungslinien. Sie selbst faßte 150 000 Einwohner, doch möglicherweise waren es zu diesem Zeitpunkt zehn- bis zwanzigtausend weniger, denn viele hatten sie schon beim ersten Kriegsalarm im August verlassen; zusammen mit den Dörfern waren etwa 400 000 Menschen von der Räumung betroffen. Sie alle wurden mit einem Schlag auf die Gassen er vielmehr auf die Landstraße gesetzt, eine riesige Schar heimatloser Menschen. Ein wahrer Exodus.

Die Kasernen hingegen waren brechend voll von Soldaten, die meist von auswärts stammten. Ein kleiner Stab von städtischen Angestellten - diejenigen, die zu alt waren, um zum Militär eingezogen zu werden - mußte ebenfalls zurückbleiben. Diese dreihundert Bediensteten sollten die notwendige Versorgung mit Strom und Gas und die Bewachung gewährleisten, wenn die Bewohner die Stadt verlassen hätten.

Schließlich mußten die Soldaten und Offiziere in den Kasernen ernährt werden. Dazu waren zwei oder drei Versorgungszentren vorgesehen - die Aufgabe fiel den beiden größten Gaststätten der Stadt und einer Kantine zu. Eine militärische Einheit sollte in einem geschlossenen Kreislauf, das hieß soviel wie im geheimen, die notwendigen Lebensmittel beschaffen.

Und so sollte das geplante Szenario aussehen: Die Zurückgebliebenen werden zunächst auf den Feind warten; zwei Tage, eine Woche, vielleicht auch länger. Die stattliche Brücke über den Rhein wurde von einem Soldaten direkt über den Fluten bewacht. Und er wird es sein, dieser lnfanterist aus Bronze, der als erster den Feind am anderen Ufer auftauchen sieht.

Wenig später werden dann hinter seinem Rücken, hinter seinem behelmten Kopf die Panzer rollen (ihr dumpfes Dröhnen hat er gewiß nicht gehört) , gefolgt von der Kavallerie. Kurz darauf wird hoch über allem das Geschwader der Bomber den Himmel schlagartig verdunkeln, dasselbe wie in Guernica, sie werden sehr hoch fliegen, jedenfalls zu Beginn. Der schon dämmerige Himmel wird wieder schwarz werden, wenn sie mit dem ersten Tageslicht kommen. S. 9-10



Lesezitat nach Assia Djebar - Nächte in Strassburg


© 19.10.2000 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de