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Wir stürmten dieTreppe hinunter und liefen durch den langen Korridor, ohne einer Ordensschwester zu begegnen. Es war die Stunde der Mittagsruhe. Die Fensterläden waren fast ganz geschlossen, man konnte kaum sehen.

Die alte Pförtnerin öffnete uns das Tor und brummte: "Man weiß nie, wie sie wiederkommen, die hier hinausgehen."

In all den Jahren, die ich im Internat war, hatte ich sie immer in ihrer käfigartigen Loge hocken sehen, eine schwarze Schürze umgebunden und einen zerschlissenen roten Schal über die Schultern geworfen.

"Fahrt ihr an die See?" fragte sie und streifte uns mit einem mißvergnügten Blick. "Nehmt euch vor Erkältungen in acht", fuhr sie fort, während sie uns hinausließ. Dann schloß sie mit einem Krach die Tür hinter uns.


Lesezitat nach Dacia Maraini - Tage im August


Tage im August
Dacia Maraini - Tage im August

acia Maraini gehört heute zu den bekanntesten Autorinnen Italiens. Ihr erstes Buch mit dem ihr 1962 der literarische Durchbruch gelang, wird nun unter dem Titel "Tage im August" neu aufgelegt.

Es sind die heißen Sommerwochen des Jahres 1943 in denen das Mädchen Anna, vierzehn Jahre, zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Giovanni von ihrem Vater aus dem Internat bei den Nonnen abgeholt wird. Er bringt sie ans Meer zu ihrer neuen Stiefmutter. Dort leben sie, weitgehend ungestört von den Ereignissen des Krieges, in der Villa seines Geschäftspartners.

Anna freut sich der Enge des Klosterlebens entflohen zu sein. Ihre Neugier auf die Welt ist immens. So beobachtet sie ihre neue Umgebung sehr interessiert. Am Strand lässt sie die Annäherungen der unterschiedlichsten Männer zu, ohne selbst emotional beteiligt zu sein. Ihre Reaktionen sind kühl, ohne zu werten oder eine gefühlsmäßige Beteiligung zu zeigen. Sie ist in ihrer Rolle als Lolita, die sie unbewusst einnimmt, perfekt. Ebenso aufgeschlossen lauscht sie den Gesprächen der Erwachsenen und sammelt die Informationen für sich. Erst als der Sohn des Partners ihres Vaters, Armando, einberufen wird, der Anna nicht ganz gleichgültig ist, nähert sich der Krieg der sommerlichen Idylle.

Der erste Roman Dacia Marainis, die in Deutschland vor allem mit den Büchern "Die stumme Herzogin" und "Stimmen" sensationelle Erfolge feierte, hat nach all den Jahren nichts an Frische verloren. Die Spannung des Textes liegt vor allem in den Andeutungen, Ahnungen, die Anna aus Beobachtungen und Gesprächen gewinnt, ohne sie zu kommentieren. Dies überlässt sie geschickt der Phantasie ihrer Leser. © manuela haselberger


Dacia Maraini - Tage im August
Originaltitel: La vacanza, © 1962
Übersetzt von Herbert Schlüter
2001, München, Piper Verlag, 230 S. / 17.38€

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Mumun erwartete uns draußen, rittlings auf seinem Motorrad sitzend.
"Da seid ihr ja", sagte er, lächelte fröhlich und streckte uns die Hand entgegen.
Er ließ uns aufsitzen, Giovanni vor ihm und ich hinter ihm. Den kleinen Fiberkoffer band er, so gut es ging, neben dem Hinterrad fest. Ich stützte das Bein darauf.
"Kann's losgehen?" fragte er, die Beine noch auf den Boden gestemmt, um das Motorrad im Gleichgewicht zu halten. Eine Schwester mußte jetzt am Fenster stehen. Doch wir sahen nicht nach oben, sondern taten so, als hätten wir sie schon vergessen.

Mein Vater schob sich die Baskenmütze auf dem Kopf zurecht und griff nach der Lenkstange.
"Seid ihr fertig? Sitzt ihr sicher?"

Mit einem heftigen Ruck fuhren wir los und sausten, zur Seite geneigt, um die Ecke. Ängstlich und aufgeregt klammerte sich Giovanni an die Lenkstange; ich hatte die Arme um den kräftigen Körper meines Vaters geschlungen, und seine frohe Laune und sein überschäumendes Selbstgefühl übertrugen sich auf mich. Die Menschen und die wenigen Autos auf der Straße - ich sah sie kaum. Ich streckte den Kopf zur Seite, um mir den Wind ins Gesicht wehen zu lassen, und widerstand der Versuchung, mir die Haare aus den Augen zu streichen.

Mumun fuhr das Rad mit leichter, sicherer Hand, während er sich gleichzeitig mit uns unterhielt.

"Ich wette, ihr habt noch nie auf einem Motorrad gesessen!" Er wartete unsere Antwort nicht ab, sondern fuhr lachend fort: "Giovannino, du hast Angst, sag die Wahrheit. Aber ein kleiner Mann wie du - und Angst haben!"
Giovanni schüttelte den Kopf, ohne dabei seinen Griff um die Lenkstange zu lockern; seine Hände waren vom Festhalten schon ganz blau.

"Anna, wie geht's?" Er drehte sich etwas zu mir um, so daß ich sein sonnengebräuntes, von ein paar tiefen, breiten Furchen durchzogenes Gesicht sah, n:' der Sonnenbrille auf der fleischigen Nase. "Möchte du ein Eis haben? Wie blaß du aussiehst, Kleinchen. Wie blaß mal auf, wie gut dir die See bekommen wird. Die Schwestern werden dich nicht wiedererkennen, wenn du zurückkommst."

Ich dachte wieder an das Internat, das dort zurück blieb und auf uns wartete, an die Nonnen in ihre langen Schleiern, den Vorstecknadeln und den leise klappernden Rosenkränzen. Für Mumun war alles einfach. Jetzt fuhr er mit uns ans Meer, in die Feriei Dann brachte er uns wieder zurück, auf demselbe alten Motorrad und mit dem gleichen wohlgelaunte und gleichmütigen Gesicht, zurück bis vor jenes für Meter hohe Tor. Ich schloß die Arme enger um seine breiten, muskulösen Körper. Neugierig drehte er sich um.

"Du willst ein Eis haben, nicht wahr?" fragte er und blinzelte mir zu. "Wir sind gleich da."
Wir hielten an der Ecke eines Dorfplatzes vor eine Eisdiele. Ein dichter Schwarm von Fliegen stieg vor einer im Rinnstein zerdrückten Tüte auf. Eine Katz kam und schnupperte an der Tüte, dann schlich sie träge weiter. Giovanni wollte nicht absteigen. Mumun lachte ihn aus, während er seine hellen Lederhandschuhe abstreifte.

"Der Wind brennt", sagte Giovanni und faßte sich an die glühenden Wangen.
"Die Sonne brennt", verbesserte ihn Papa und schlug den Perlenvorhang vor dem Eingang zurück.
Mumun bestellte zwei Eis zu fünf Lire mit Pistazien und Mandeln. Giovanni nahm seine Eistüte behutsam in die Hand. Langsam und bedächtig leckte er mit weit herausgestreckter Zunge das Eis und bewegte dazu, mit vor Anstrengung kraus gezogener Stirn, kauend die Kiefer.

Papa unterhielt sich mit dem Besitzer der Eisdiele, einem vierschrötigen, dicken Mann, der ihm Photographien berühmter Boxer zeigte.

"Luigi Musina", sagte er und wies dabei auf eine Photographie mit Widmung. "Er ist Europameister im Halbschwergewicht. Er hat keine Nase mehr aber sehen Sie sich diese Muskeln an."

Mein Vater nickte zustimmend. Er blickte auf Giovanni, der ganz mit seinem Eis beschäftigt war.
"Und das ist Proietti. Einfach toll. Ein schönes Photo, nicht?"
"Schön", pflichtete ihm Mumun ohne großes Interesse bei.

"Enrico Urbinati, Europameister im Fliegengewicht", erklärte er und klatschte dabei in die Hände. "Die verdienen heute, was sie wollen."

"Die ja", meinte Mumun gelangweilt.
"Es ist ein langer Weg, aber er gibt einem auch manche Genugtuung. Auch ich habe ihn versucht, müssen Sie wissen. Doch ich war zu eilig, ich hatte keine Geduld. Aber wie schön war es, anzugreifen, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, bis man nicht mehr konnte."

"Hat's geschmeckt?" fragte Papa und beugte sich zu Giovanni hinab, ohne auf den Wirt zu achten. Er fuhr ihm mit der Hand durchs Haar. Der Mann hinter der Theke beobachtete uns aufmerksam. Sein Mund stand ein wenig offen; er atmete hörbar.
"Hat dir das Eis geschmeckt?" fragte Papa noch einmal liebevoll. S. 11-14

Lesezitate nach Dacia Maraini - Tage im August










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© 14.11.2001 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de