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Sputnik Sweetheart
Haruki Murakami - Sputnik Sweetheart

nd wieder ist es die Liebe, die den japanischen Autor Haruki Murakami in seinem neuen Roman "Sputnik Sweetheart" in ihren Bann zieht. Keine einfache Liebesgeschichte, das wäre zu trivial. Es sind drei Personen, die Murakami um sich selbst und umeinander kreisen lässt.

Sumire, 22 Jahre, hat ihr Studium an den Nagel gehängt und widmet sich einzig und allein dem Schreiben und ihrem exzentrischen Lebenswandel. Sie scheut nicht davor zurück, nachts ihren Freund und ehemaligen Kommilitonen aus dem Bett zu klingeln und ihm am Telefon von ihren neuesten Schreibversuchen zu berichten. Im übrigen ist er auch der einzige, der ihre dicken Manuskripte zu lesen bekommt.

Doch über ein inniges platonisches Freundschaftsverhältnis geht ihre Beziehung, zumindest von Sumire aus, nicht hinaus. "Bei jeder unserer Begegnungen führten wir lange Gespräche. Nie bekamen wir genug davon, und nie gingen uns die Themen aus. Unsere Gespräche waren intensiver und intimer als die der meisten Liebenden und drehten sich um Literatur, Landschaft, Sprache, um Gott und die Welt."

Dies ändert sich schlagartig, als Sumire die viel ältere, verheiratet Miu kennen lernt und sich rettungslos in sie verliebt. Sie beginnt in Mius Firma zu arbeiten, interessiert sich plötzlich für ihr Äußeres und das Schreiben rückt völlig in den Hintergrund. Sumire hat die Liebe gepackt und sie ist Miu abgöttisch ergeben, wobei Miu, die verheiratet ist, ihr Verhältnis auf rein freundschaftlicher Ebene belässt. Eine schwierige Situation, die auf einer Reise der beiden Frauen nach Griechenland schließlich eskaliert und damit endet, dass Sumire plötzlich spurlos verschwindet.

Diesen verzwicken Liebesroman reichert Murakami sehr geschickt im Laufe der Handlung zunehmend mit geheimnisvollen Elementen an, die bis in das Reich der Träume und der Fantasien reichen. So gibt er dem Ganzen einen Hauch an Leichtigkeit und Unwirklichkeit, die den Roman zu einem besonderen Leseerlebnis machen. Nicht zu vergessen die wunderbare Sprache Murakamis, mit der er wieder seine Leser verwöhnt. Am Schluss noch eine Kostprobe: "Schließlich dreht sich die Erde nicht quietschend und knirschend um die Sonne, damit die Menschen etwas zu lachen haben und sich amüsieren." Aber vielleicht, damit sie sich von Romanen dieser Art bestens unterhalten lassen.
© manuela haselberger


Haruki Murakami - Sputnik Sweetheart
Originaltitel: Supuutoniku No Koibito, © 1999
Übersetzt von Ursula Gräfe

© 2002, München, Dumont Verlag, 234 S., 19.90 € (HC)




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Im Frühling ihres zweiundzwanzigsten Lebensjahres verliebte sich Sumire zum allerersten Mal. Heftig und ungezügelt, wie ein Wirbelsturm über eine weite Ebene rast, fegte diese Liebe über sie hinweg. Ein Sturm, der alles niedermäht, vorn Boden fegt und hoch in die Lüfte schleudert, wahllos in Stücke reißt, wütet, bis kein Ding mehr auf dem anderen ist. Ohne in seiner Kraft auch nur für einen Augenblick nachzulassen, braust er über die Meere, legt Angkor Wat erbarmungslos in Schutt und Asche, setzt einen indischen Dschungel mitsamt seinen bedauernswerten Tigern in Brand und begräbt als persischer Wüstenwind eine orientalische Festungsstadt im Sand. Kurzum, es ging um eine Leidenschaft von monumentalen Ausmaßen. Sumires Liebe war siebzehn Jahre älter als sie und verheiratet. Überdies, so sollte man hinzufügen, handelte es sich um eine Frau. Der Ort, an dem die Geschichte beginnt, ist zugleich der Ort, an dem (fast) alles zu Ende ging.

Damals kämpfte Sumire verbissen darum, Romanschriftstellerin zu werden. Von all den Möglichkeiten, die das Leben eventuell für sie bereithielt, kam für sie einzig und allein die Laufbahn einer Schriftstellerin in Betracht. Ihr Entschluss stand felsenfest. Kompromisse ausgeschlossen. Zwischen Sumire und ihrer unerschütterlichen Hingabe an die Literatur hatte nicht einmal ein Haar Platz gefunden.

Nachdem Sumire ein staatliches Gymnasium in Kanagawa absolviert hatte, schrieb sie sich im Fachbereich Geisteswissenschaften einer hübschen kleinen Privatuniversität in Tokyo ein. Leider war die Uni überhaupt nicht nach ihrem Geschmack. Sie empfand den Unterricht als fantasielos und lau und war zutiefst enttäuscht. Die Mehrheit ihrer Kommilitonen war für sie hoffnungslos langweilig und mittelmäßig (was leider auch auf mich zutrifft), und sie verließ die Uni abrupt noch vor Ende des Grundstudiums, denn jeder weitere Tag erschien ihr wie reine Zeitverschwendung. Ich hielt ihre Entscheidung für richtig, gestatte mir jedoch den etwas banalen Einwand, dass in unserem unvollkommenen Dasein auch Überflüssiges seine Berechtigung hat. Würde man aus einem ohnehin unvollkommenen Leben auch noch alles Überflüssige streichen, bliebe wohl nicht mehr viel davon übrig.

Mit anderen Worten, Sumire war eine hoffnungslose Romantikerin, eigensinnig und zynisch, und, gelinde gesagt, ziemlich weltfremd. Wenn sie einmal angefangen hatte zu reden, war sie nicht mehr zu bremsen, aber wenn ihr jemand nicht in den Kram passte (was auf den größten Teil der Menschheit zutraf), bekam sieden Mund nicht auf. Sie rauchte zu viel und verlor auch bei kürzesten Fahrten unweigerlich ihre Fahrkarte. Da sie vor lauter Nachdenken zuweilen das Essen vergaß, war sie mager wie die Kriegswaisen in alten italienischen Spielfilmen und bestand fast nur aus unstet umherwandernden Augen. Da sie es hasste, fotografiert zu werden, und nicht den geringsten Wunsch verspürte, der Nachwelt ein Porträt der Künstlerin als junge Frau zu hinterlassen, besitze ich nicht eine einzige Fotografie von ihr. Was schade ist, denn ein Foto von Sumire aus jener Zeit wäre zweifellos ein außergewöhnliches Zeugnis menschlicher Individualität.

Doch ich will der Reihe nach erzählen. Sumires große Liebe hieß Miu. Alle nannten sie so, sodass ich ihren richtigen Namen nicht kenne (woraus mir später einige Schwierigkeiten erwuchsen, aber ich will nicht vorgreifen. Eigentlich war Miu Koreanerin, das heißt, sie hatte die koreanische Staatsbürgerschaft, sprach aber kaum ein Wort Koreanisch, bis sie mit Mitte zwanzig anfing, es zu lernen. Sie war in Japan geboren und aufgewachsen, und da sie an einem Konservatorium in Frankreich studiert hatte, sprach sie neben Japanisch auch fließend Französisch und Englisch. Sie kleidete sich stets makellos und elegant, trug dezente, aber teure Accessoires und fuhr einen zwölfzylindrigen marineblauen Jaguar.

Als Sumire und Miu sich zum ersten Mal begegneten, sprachen sie über Jack Kerouac, für den Sumire gerade schwärmte. Sie wechselte ihre literarischen Idole mit schöner Regelmäßigkeit, und damals war es eben der ein wenig aus der Mode gekommene Kerouac. Sie trug ständig eine Ausgabe von Unterwegs oder Lonesome Traveller in der Jackentasche bei sich und blätterte bei jeder Gelegenheit darin. Passagen, die sie ansprachen, unterstrich sie und lernte sie auswendig wie heilige Sutren. In ihrer Lieblingsepisode aus Lonsome Traveller verbringt Kerouac drei einsame Monate als Brandwache in einer Hütte auf einem hohen Berg. Folgende Zeilen gefielen Sumire am besten:

»Kein Mensch sollte durch das Leben gehen, ohne sich einmal der gesunden, ja langweiligen Einsamkeit auszusetzen, einer Situation, in der er allein auf sich selbst angewiesen ist und dadurch seine wahre und verborgene Stärke kennenlemt.«

»Ist das nicht einfach toll?« sagte sie. »Jeden Tag auf einem Berggipfel zu stehen und einen Ausblick von dreihundertsechzig Grad zu haben. Aufpassen, dass nirgends schwarzer Rauch aufsteigt, und das war's. Mehr hast du den ganzen Tag nicht zu tun. Danach kannst du lesen, schreiben, machen, was du willst. Und nachts streichen riesige Zottelbären um deine Hütte. Das ist das Leben, das ich mir erträume. Im Vergleich dazu ist ein Literaturstudium wie auf einem bitteren Gurkenende herumzukauen.«
»Das Problem ist nur, dass man irgendwann wieder von dem Berg runterkommen muss«, wandte ich ein. Aber wie üblich machten meine prosaischen und banalen Ansichten keinen großen Eindruck auf sie.

Sumire wünschte sich nichts sehnlicher, als so wild, so cool und ungehemmt zu sein wie eine Figur von Kerouac. Die Hände in die Taschen gestemmt, die Haare absichtlich zerzaust, starrte sie durch eine schwarz gerahmte Sonnenbrille ä la Diz~ Gillespie, die ihr Sehvermögen nicht gerade steigerte, betont unbeteiligt in den Himmel. Fast immer trug sie ein viel zu große. Tweedjackett, das sie bei einem Trödler erstanden hatte, und Bauarbeiterstiefel. Am liebsten hätte sie sich vermutlich noch einen Bart stehen lassen.

Mit ihren eingefallenen Wangen und dem etwas zu breit geratenen Mund konnte man Sumire nicht im landläufigen Sinne als hübsch bezeichnen. Sie hatte eine zierliche Himmelfahrtsnase, ein ausdrucksvolles Gesicht und viel Sinn für Humor, obwohl sie so gut wie nie laut lachte. Sie war nicht groß, aber ihre Stimme klang, selbst wenn sie guter Laune war, immer irgendwie aggressiv. Einen Lippen- oder Augenbrauenstift hatte sie wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben noch nie in der Hand gehabt. Ich frage mich, ob sie überhaupt wusste, dass es BHs in verschiedenen Größen gab. Dennoch hatte Sumire etwas Besonderes an sich, das einen anzog. Worin dieses Besondere bestand, kann ich nicht mit Worten beschreiben, aber sooft ich ihr in die Augen sah, leuchtete es mir entgegen. Am besten gebe ich es gleich zu: Ich war in Sumire verliebt. Schon nach unserer ersten Begegnung fühlte ich mich in ihrem Bann, und irgendwann gab es kein Zurück mehr. Lange Zeit existierte nur Sumire für mich. Natürlich nahm ich unzählige Male Anlauf, ihr meine Gefühle zu offenbaren, konnte aber in ihrer Gegenwart nie die richtigen Worte finden. Vielleicht war das im Endeffekt für mich nicht die schlechteste Lösung, denn sie hätte mich aller Wahrscheinlichkeit nach doch nur ausgelacht.

Während ich mit Sumire befreudet war, traf ich mich mit zwei, drei anderen Mädchen (was nicht heißen soll, dass ich die Zahl nicht mehr genau wüsste. Ob es zwei oder drei waren, hängt einzig davon ab, wie man zählt). Würde ich die Mädchen, mit denen ich nur ein- oder zweimal geschlafen habe, mitzählen, wäre die Liste etwas länger. Wenn ich mit einem Mädchen zusammen war, dachte ich meist an Sumire. Zumindest war sie in irgendeinem Winkel meines Gehirns immer präsent. Natürlich war das nicht richtig, aber es ging dabei ja auch nicht um Kategorien wie richtig oder falsch.

Doch zurück zu der Geschichte, wie Sumire und Miu einander kennen lernten.
Miu hatte den Namen Jack Kerouac schon gehört und erinnerte sich vage, dass er ein Autor war. Aber um wen es sich genau handelte, wusste sie nicht mehr.
»Kerouac, Kerouac... war das nicht so ein Sputnik?«
Sumire verstand nicht, was sie meinte, und hielt beim Essen inne, um einen Moment lang zu überlegen. »Sputnik? Sputnik hieß doch dieser Satellit, den die Sowjets 1950 in den Weltraum geschossen haben. Jack Kerouac ist ein amerikanischer Schriftsteller. Ist aber ungefähr die gleiche Zeit, oder?«
»Aber hat man diese Schriftsteller nicht auch so genannt?« fragte Miu und ließ ihre Fingerspitze auf dem Tisch kreisen, als suche sie in einem Gefäß nach einer ganz bestimmten Erinnerung.
»Sputnik?«
»ja, der Name dieser literarischen Bewegung. Sie wissen schon, diese Gruppen. Wie die "Weiße Birke" in Japan.«
Endlich dämmerte es Sumire. »Beatnik«
Miu tupfte sich mit ihrer Serviette den Mund ab. »Beatnik, Sputnik - solche Sachen kann ich mir nie merken. Wie die Kemmu-Restauration oder den Vertrag von Rapallo - was eben vor Urzeiten passiert ist. ?«
Einen Augenblick herrschte ein schwereloses Schweigen, in dem die Zeit wie ein Lufthauch vorüberstrich.
»Der Vertrag von Rapallo?« fragte Sumire.
Miu lächelte. Ein wehmütiges. ungekünsteltes Lächeln, wie nach langer Zeit aus einer halb vergessenen Schublade gezogen. Reizend, wie ihre Augen sich dabei verengten. Dann streckte sie die Hand aus und zerzauste mit ihren fünflangen schlanken Fingern Sumires verstrubbeltes Haar noch ein bisschen mehr. Die Geste war so natürlich und spontan, dass Sumire unwillkürlich zurücklächelte.

Seit dieser Zeit nannte Sumire Miu insgeheim ihren »süßen Sputnik«. Sumire liebte dieses Wort, das in ihr das Bild des künstlichen Satelliten heraufbeschwor, der im Dunkel des Weltalls lautlos seine Bahnen zog, und das der Hündin Laika, wie sie mit schwarzen glänzenden Knopfaugen durch das winzige Bullauge spähte. Was es für einen Hund wohl in der grenzenlosen Leere des Weltalls zu sehen gab?

Zugetragen hatte sich die Sputnik-Geschichte in einem vornehmen Hotel in Akasaka auf der Hochzeitsfeier einer von Sumires Cousinen. Keiner Cousine, die sie besonders mochte (eher im Gegenteil). Überdies waren Hochzeiten für Sumire eine wahre Tortur, aber sie hatte sich nicht drücken können. Sie saß mit Mia an einem Tisch. S. 7-13

Lesezitate nach Haruki Murakami - Sputnik Sweetheart










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Titel von
Haruki Murakami
 Taschenbuch



Naokos Lächeln. .

Nur eine Liebesgeschichte
© 2003



Untergrundkrieg.
Der Anschlag von Tokyo.


© 2002



Gefährliche Geliebte.

© 2002



Wilde Schafsjagd.

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Mister Aufziehvogel.

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Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah.

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Der Elefant verschwindet.

© 1998



Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt.

© 2000

 Hardcover



Tanz mit dem Schafsmann

© 2002



Naokos Lächeln.

Nur eine Liebesgeschichte.
© 2001



Gefährliche Geliebte.

© 2000


© 15.9.2002bestens bestens bestens bestens by Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de