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Una - die Einzigartige
Sena Jeter Naslund - Ahabs Frau

ie selbst heißt Una, ihre Kinder Liberty und Justice und einer ihrer Ehemänner war der legendäre Kapitän Ahab. Genau jener Verrückte, der den weißen Wal "Moby Dick" im gleichnamigen Roman jagt. Herman Melville hat der Ehefrau Ahabs nur einen Nebensatz gewidmet, Sena Jeter Naslund verleiht ihr in "Ahabs Frau" eine Biografie. Und was für eine.

Die eigenwilligen Gedanken, ihre höchst unangepasste Sicht der Welt, sind Una in die Wiege gelegt. Bereits als Kind streitet sie sich in religiösen Fragen mit ihrem Vater so sehr, dass ihre Mutter um ihr Leben fürchtet. Vor dem jähzornigen Ehemann rettet sie Una zu ihrer Schwester. Diese lebt zurückgezogen an der amerikanischen Ostküste und ihr Mann arbeitet als Leuchtturmwärter. Bei dieser Familie, die sehr tolerante Ansichten vertritt, findet Una Ruhe und eine behütete Kindheit. "Der Leuchtturm schien uns Ordnung zu verleihen, dem Haus, dem Garten, der Muschel der ganzen Insel."

Zwei junge Männer, die zu Besuch auf die Insel kommen, locken Una zu neuen Abenteuern. Als Schiffsjunge verkleidet heuert sie an, erweist sich beim Walfang als äußerst geschickt und überlebt nur knapp, zusammen mit ihrem ersten Ehemann Kit, den Untergang ihres Schiffes, der Sussex. Kit übersteht die Ereignisse dieser dramatischen Tage nicht unbeschadet. Er sucht Zuflucht im Wahn. "Wie die schiffbrüchige Sussex ging sein Verstand unter in Wogen der Melancholie und des Irrsinns."

Auch Ahab, der zweite Ehemann, der von Moby Dick besessen ist und ihn um jeden Preis der Welt erlegen will, ist kein einfacher Mensch. Una liebt es, ihre Gedanken mit ihm zu teilen, tiefsinnige Gespräche zu führen über "das Zeug, aus dem Verstand besteht."

"Ahabs Frau" ist keinesfalls ein gewöhnlicher Frauenroman aus dem 19. Jahrhundert. Die unglaubliche Wucht, die Sena Jeter Naslund ihrer Hauptperson Una verleiht, ihre archaischen Züge, die sie mit Unas ständigem Streben nach Wissen kombiniert, das ist einfach umwerfend. In einem eher spröden, distanzierten Erzählstil, der jedoch sehr gut passt, legt Naslund "das Katastrophale über das Alltägliche."

Der Anfang des Romans ist etwas zäh, nur schwer lassen sich zunächst die beschriebenen Ereignisse in den Handlungsverlauf einordnen, doch nach etwa fünfzig Seiten folgt man Una, dieser exzentrischen Frau atemlos bei ihrem weiteren Schicksal. Sucht man nach einem passenden Vergleich, so erinnert die Atmosphäre des Buches an den Film "Das Piano". Una selbst findet am ehesten eine Entsprechung bei den Frauenfiguren der Norwegerin Herbjorg Wassmo (" Das Buch Dina").

In den USA war "Ahabs Frau" ein Bestseller und wurde von verschiedenen Literaturmagazinen zum besten Buch des Jahres gekürt. In Deutschland ist es derzeit noch ein Geheimtipp.
manuela haselberger


Sena Jeter Naslund - Ahabs Frau
Originaltitel: »Ahab's Wife«, © 1999
Übersetzt von Ursula Wulfekamp

© 2002, München, Scherz Verlag, 508 S., 24.90 € (HC)




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Ein milder, blauer Tag

Kapitän Ahab war nicht mein erster noch mein letzter Gemahl. Doch wenn ich in die Wolken emporschaue, sehe ich ihn dort vor mir - sein grauweißes Haar die gefurchte Stirn und das gezackte Mal (ich sah es, wenn ich im Kerzenlicht bei ihm lag, und auch, wenn wir auf dem sonnigen Moor uns der Wonne hingaben, umgeben von Grindelien und Wollziest). Und jetzt sehe ich einen gezackten Schatten in den aufreißenden Wölken. Dieses Narbenmal begann als Blitz an Ahabs Schläfe, fuhr jedoch nicht (wie einige glaubten) bis zu seiner Ferse, sondern endete bei seinem Herzen.

Gestern, als ich mein Gesicht zum Himmel hob, erkannte ich nicht seine ganze Gestalt, sondern nur seinen Kopf, ein Wolkenporträt, das meinen Blick über die Schulter hinweg erwiderte.

Welches Wetter verheißen Ahabs Züge?
Sein Gesicht erscheint mir sanft, wie auch damals, als er lebte, zumindest wenn er nur mich ansah und sein Blick keinem anderen galt; ein strahlendes Gesicht, auch wenn es ein wildes, verwegenes Strahlen war. Und jetzt erkenne ich in den sich aufbauschenden Wolken die Pequod. Halb hebe ich die Hand zum Abschiedsgruß, wie an jenem letzten Tag an der 8idichsten Landspitze von Nantucket Island, als ich mit einem Winken und dann einem unverwandten, sehnsüchtigen Blick seinem Schiff und Ihm gesegnete Reise wünschte, bis die Segel nur ein weißer Punkt noch waren, bis schließlich das Meer leer und weit vor mir lag, ein Glitzern.

Nantucket! Die Heimat, in der ich zuerst zu meinem Körper fand. Meine Füße wurden weniger ins sandige Ufer gezogen, als dass sie suchend hiabdrängten, die Zehen sich verwurzelten. Dann fand ich zu meinem Denken, das nicht geschaffen ist, die blaue Dünung des wogenden Meeres zu durchpflügen, sondern vielmehr den Nachthimmel, an dem die Sterne in ihrer eigenen feurigen Leidenschaft kreuzen und queren, treiben und kreisen. Nantucket! - nicht zuletzt auch die Heimat meiner Seele, gefunden auf einer acht mal acht Fuß großen Plattform, dem hölzernen Witwensteg, der wie eine Kanzel oben auf meinem Haus thront. Diese drei Teile meiner selbst - Körper, Geist, Seele - verquicken sich hier auf dieser kleinen Insel. Nantucket! Warum also lügen sich die Wolken, wenn ich in den Himmel des lauen Tages schaue, als Buchstaben des Alphabets nicht zu Nantucket zusammen, sondern schreiben mein erstes Zuhause - Kentucky? Und die Wolken, die zum Bild Ahabs sich formten - warum malen sie mir die Umrisse meines Heimatstaates, unten flach und oben aufgebauscht?

Als Dreijährige, wenn ich am Ufer des Ohio auf dem Rücken lag und nach oben schaute, bildeten die wattigen Wolken keine Landkarte, kein Gesicht, keine weißen Tiere, die am Himmel grasten, und trotzdem dachte ich: Schön! Das meinen sie, wenn sie schön sagen.

Schon als Kind wollte ich die Bedeutung von Wörtern erfahren, und lernte ich etwas Neues, war mir das stets ein Erlebnis. Als ich einmal im Hof auf einem Baumstumpf saß und meinen Vater mit der Peitsche in der Rand im schwarzen Pferdewagen fortfahren sah, dachte ich: Schmerz. Ich empfinde Schmerz. Und ich weiß, da gehörten zum ersten Mal Wort und Gefühl für mich zusammen. Ich bat meine Mutter, mir die Zeichen für das Wort zu zeigen, und so begann ich schon sehr früh, nicht nur zu lesen, sondern auch zu schreiben. «Sch-sch-sch», sagte sie. «Wie die Schlange, die durchs Gras schlängelt. Und sie beginnt mit S, wie der Schmerz.« Und Schmerz gehörte auch zu meinem Vater. Zu mir als Kind war er zwar freundlich, aber später wurde er launisch und dann verzweifelt und gewalttätig, und schließlich nahm er sich das Leben.

Sein Gespenst fährt schwarz an mir vorüber. An seinem Knie lehnt die Peitsche, die Schnur flattert wie ein schmales Banner.

Ich besprach mich nicht mit Ahab, bevor ich zu meiner Mutter reiste, um die Monate meiner Schwangerschaft bei ihr in einem einfachen Blockhaus in Kentucky zu verbringen und nicht im eleganten Zuhause der Kapitänsgattin in Nantucket. Aber natürlich schrieb ich ihm von meiner Entscheidung und sandte ihm den Brief auf der Dove nach, damit er seine Gedanken an mich zum richtigen Ort schicken konnte.

Die Zeit, die ich mit meiner Mutter in dem holden Sommer und dem goldenen Herbst von Kentucky draußen im Freien verbrachte, wurde noch versüßt durch unsere häusliche Vertrautheit, wenn wir Kinderkleidchen nähten, kochten und wieder die großen Werke der Literatur lasen, die meine Mutter in die Wildnis mitgebracht hatte, die grün gebundenen Bücher, aus denen sie mir schon als Kind vorgelesen hatte.

Manchmal standen meine Mutter und ich zusammen vor dem ovalen Spiegel, der sie von Osten her begleitet hatte, und betrachteten uns.
Dieser Spiegel mit der vielfach ziselierten Einfassung hob unser Blockhaus von denen der anderen Pioniere ab, ebenso wie die Truhe voller Bücher. Dergestalt gerahmt, bewahrte ich dieses Doppelporträt von uns in Erinnerung.

Als Mitte Dezember die Wehen einsetzten, aber vergebens fortzuschreiten suchten, fuhr meine Mutter mit der alten Stute und dem schwarzen Kutschwagen durch sechs Zoll tiefen verharschten Schnee, um den Arzt zu holen. Benommen von den Krämpfen, bemerkte ich kaum, dass sie mich verließ. Als meine Mutter nicht wiederkam, die Schmerzen fast unerträglich wurden und mir die Kälte in die Füße kroch, während ich in der Hütte auf und ab ging, suchte ich hilflos alle Federbetten, alle bunten Quilts zusammen, die ich finden konnte, warf sie auf das Bett, hängte die Schnur der Schlossfalle nach draußen, damit ich mein Nest nicht zu verlassen brauchte, wenn sie heimkehrte, und legte mich in mein Kindbett. Von unten gaben zwei weiche Matratzen mir Halt, von oben wärmte mich ein Berg Quilts in allen Farben des Regenbogens, und immer noch wand und krümmte ich mich.

Ich hatte Angst, denn ich wusste nicht, wie ich das Kind empfangen sollte. Und obwohl ich betete, dass die Wehen endeten, betete ich auch, die Zeit möge nicht vergehen, mich nicht der Mutterschaft näher bringen. Ich dachte an Ahab wie auf einem schwankenden Schiff, das weder vorankam noch zurücktrieb, sondern sich wie verankert in der stürmischen See hob und senkte. Manchmal schlief ich ein wenig.

In einer erschöpften Pause von den Schmerzen, die mich zerrissen, in meiner Sorge um meine Mutter, die allzu lange ausblieb, glaubte ich zu hören, wie die Tür sich knarzend öffnete, zu spüren, wie eine noch eisigere Kälte hereinwehte, aber dann riss der Schlaf mich wieder fort. Und in meinem Schlummer tobten Zephire durch die Hütte. Ihre Wangen waren gebläht vom frostigen Atem, den sie durch gespitzte Lippen auf meine Nasenspitze richteten, meinen Scheitel, meine Ohren.
Dann donnerte es so laut an die Tür, dass ich dachte: Vulkane! Sie wird aufbrechen!
«Mach auf!», schrien sie.
«Gib sie heraus!»
Und das tosende Hämmern geballter Fäuste an meiner Holztür.
«Zieht an der Schnur!», rief ich. So unheimlich sie auch klangen, ich wollte nicht, dass sie in ihrer Wut meine Tür einschlugen, und ich mochte auch mein Bett nicht verlassen. Würde nicht jedes Wesen, das eine menschliche Stimme besaß, sich beim Anblick meiner Leibesfülle erbarmen? Um mich her in der Hütte wir es fast schwarz, denn ich hatte keine Kerze angezündet, die Fenster waren mit den Winterläden verschlossen, das Feuer glühte nur mehr schwach.

«Da hängt keine Schnur!», rief ein Mann. Barschere Stimmen brummten, keine Menschensprache. Da schob ich die Decken von mir und erhob mich, doch bevor ich tat, wie sie mich hießen, deckte ich mein warmes Nest auf den beiden Matratzen mit meinen Quilts zu. Langsam ging ich durch das Dämmerlicht der Hütte - sah ich da die Schemen einer dunklen Gestalt, die an der Wand kauerte? - einen Vorboten der Schmerzen, die mich erwarteten? -, öffnete die Tür und stellte mich dem Schnee. Wie erstarrt in der eisigen Luft stand eine Gruppe von sechs Männern vor mit, alle in Pelz und Wolle gehüllt, erleuchtet vom Schein einer brennenden Kiefernfackel.

«Ihre Fußspuren führen zu Ihrer Tür, Madam», sagte einer. "Geben Sie sie heraus! »
Fast war mir, als würden die Kopfgeldjäger sich die Lippen lecken, dort, wo ihnen Eis in den langen Bärten starrte. Sie kamen mir vor wie Dämonen des Eises, aber meine Unschuld verlieh mir Mut, denn ich hatte keiner entlaufenen Sklavin Unterschlupf gewährt.

«Ich liege in den Wehen.» Die pralle Wölbung unter meinem Flanellgewand konnte ihren Blicken nicht entgehen. "Ich warte auf meine Mutter und den Arzt. Habt ihr sie gesehen?»

Einer der sechs war viel kleiner als bei Menschen üblich. Sein Kopf reichte den anderen nur bis zum Bauch, und er trug einen Wolfspelz. Ich hätte ihn für ein Kind gehalten, aber in seinem Gesicht wuchs ein buschiger Bart, seine Kopfhaare gingen in den Wolfspelz über. Ohren und Schnauze des Wolfes thronten auf seinem Kopf, die Zähne hatten sich in sein Haar verbissen. Wäre er nicht so klein gewesen, hätte er einem Herkules der Pioniere gleichen können, der ein Wolfsfell trug statt des Nemeischen Löwen. Der zwergenhafte Wolfsmann hielt den flammenden, schenkeldicken Kiefernscheit in die Mitte des Trupps. Als er die Fackel höher hob, reckten sich alle, um in meine Hütte zu äugen. Hinter ihnen sah ich in dem orangefarbenen tanzenden Licht Abdrücke bloßer Füße im Schnee, sehr klein, wie von einer Frau, und sie führten tatsächlich zu meiner Tür; oder vielmehr zu der zertrampelten Stelle im Schnee, wo die Jäger mit den gestiefelten Füßen scharrten. «Wir müssen Ihr Haus durchsuchen.»

Der frostige Wind war wie ein Guss Eiswasser auf meiner Haut, und dann schoss heißes Wasser zwischen meinen Beinen hervor und benässte mein Gewand und den Boden. Ich trat einen Schritt zurück.
«Seht!», rief ich. «Die Fruchtblase ist geplatzt!» Ich wollte sie mit meinem Zustand beschämen.
«Wir kriegen die Dirn trotzdem. Sie müssen sie ausliefern.»
«Dann durchsucht mein Haus», erwiderte ich ergeben. "Aber ich muss wieder ins Bett.»

Und ich tat, wie ich sagte. Ich schluckte meine Angst hinunter, sehnte mich nach meiner Mutter, beobachtete die Männer. An der großen Fackel, die sie in eine Schneewehe steckten, entzündete jeder einen kleineren Scheit, betraten mein Haus und schlossen die Tür. Sie hielten die brennenden Hölzer wie Kerzen erhoben und füllten die Blockhütte mit Licht. Im Bett vergraben, fragte ich mich: Werden diese Raubeine bleiben, bis mein herziges Kind herauskommt? Der Raum glühte, harziger Rauch stieg kräuselnd zur Decke. Ist unter diesen dämonischen Engeln ein Vater, der mir helfen kann? Doch die Vorstellung ihrer grausigen Pranken zwischen meinen Schenkeln schreckte mich so sehr, dass ich nicht fragen wollte. Ächzend und stöhnend lag ich da, während sie den Raum durchsuchten. Die Hütte bot wenig Platz für ein Versteck.

«Schau unter der Bettstatt nach. »
Der Zwerg ließ sich auf alle viere fallen, und wie er unter dem Bett stöberte, sah er wahrhaftig einem Wolf gleich. Und als er sich wieder aufrichtete, schien er wie ein Wunderwolf, den man gelehrt hatte, im Haus wider seine Natur auf Hinterbeinen zu gehen. Einer der Häscher öffnete meine Reisetruhe, doch sie war leer, das wusste ich. Er spähte hinein.
«Sie haben ja einen ganzen Berg auf sich liegen.»
«Das Mädel ist selbst ein Berg, Jack», antwortete ein anderer leise. Ich hörte das Schottische in seinem Akzent.
«Könntet ihr Holz für mich hereintragen? Bevor ihr geht?»

Der mit der schroffen Stimme streckte die Hand nach meinen Decken aus, um sie hochzureißen und die Suche fortzusetzen, aber der Schotte hielt ihn ab. «Nicht, Jack», sagte er. «Lass ihr die Wärme. Wir gehen jetzt.» Ich habe immer geglaubt, dass der Schotte mir Holz geholt hätte, doch er kannte die Männer und wusste, zu welch unaussprechlichen Gemeinheiten sie fähig waren, und deshalb trieb er sie erneut auf Jagd.

«Manchmal gehen sie rückwärts in ihren eigenen Fußstapfen», meinte der Zwerg, «um uns von ihrer Fährte abzulenken.» Bei seiner Stimme fuhr ich zusammen; sie war weich wie Pelz. "Sie ist nicht hier», fügte er im selben samtenen Ton hinzu. S. 9-14


Lesezitat nach Sena Jeter Naslund - Ahabs Frau










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Titel von
Sena Jeter Naslund
 Taschenbuch



Ahab's Wife Or, the Star-Gazer

amerikanische Ausgabe
© 2000

 Hardcover



Ahab's Wife Or, the Star-Gazer

illustrierte amerikanische Ausgabe
© 1999


© 30.11.2002
by Manuela Haselberger

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