Orhan Pamuk erhielt 2005 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2006 den Literaturnobelpreis
Live-realplayer Videotrailer O. Pamuk, Liederhalle, Stuttgart, 25.10.2005

Istanbul
"Orhan Pamuk - Istanbul"
Erinnerungen an eine Stadt

achdem der türkische Autor Orhan Pamuk, geb. 1952, den Nobelpreis für Literatur 2006 erhalten hat, ist "Istanbul" sein erstes Buch, das nach dieser höchsten Auszeichnung auf deutsch erscheint. Und nun ist alle Welt gespannt auf diesen außergewöhnlichen Schriftsteller. Seine Romane "Rot ist mein Name" und vor allem "Schnee" feierten beachtliche Erfolge, doch "Istanbul" ist ein ganz großer Wurf und Pamuk setzt seiner Heimatstadt ein bewegendes Denkmal.

Er beschränkt sich nicht darauf, sich in historischen Erinnerungen an seine Geburtstadt zu ergehen, sondern Orhan Pamuk versucht das Wesen dieser schillernden Metropole zu erfassen, in ihren Kern vorzudringen. Dabei entdeckt er einen melancholischen Charakter, den er auch bei sich seit seiner Kindheit als vorherrschenden Wesenszug wahrnimmt.

Auf ganz fantastische Weise kreuzt er Erinnerungen an Istanbul, an berühmte Autoren, wie zum Beispiel Flaubert, die in dieser Stadt lebten, mit seiner ganz persönlichen Familiengeschichte. Aufgewachsen ist Pamuk zusammen mit seinem älteren Bruder in einer wohlhabenden bürgerlichen Familie und noch heute lebt er im gleichen Haus, das schon seine Großmutter und die Brüder seines Vaters bewohnten. Die geschäftlichen Engagements seines Vaters und des Onkels waren nicht von großem Erfolg beschieden und so schmolz das finanzielle Polster der Familie in Windeseile beträchtlich. Auch die Ehe der Eltern wurde schon bald nach der Geburt der beiden Söhne schwierig und Orhan erinnert sich an die unzähligen Streitereien von Vater und Mutter. Immer wieder verschwindet sein Vater für längere Zeiträume ganz von der Bildfläche.

Orhan war ein schüchterner, sensibler Junge, der sich in seinen Kinderjahren am liebsten in der Wohnung der Familie aufgehalten hat und sich in seine eigene Welt zurückzog. Bis auf kleine Rangeleien mit dem jüngeren Bruder hatte er kaum Kontakt zu anderen Kindern. Auf faszinierende Weise deckt sich Pamuks persönliche Grundstimmung mit der Melancholie Istanbuls.

"Als ich in die Welt kam, war Istanbul so heruntergekommen, geschwächt und isoliert wie nie zuvor in seiner zweitausendjährigen Geschichte. Seit ich denken kann, ist die Stadt von Armut gekennzeichnet, von Untröstlichkeit über den Verfall des Reiches, von der Melancholie, die von den Überresten aus großer Zeit ausgeht. So bin ich seit jeher damit beschäftigt, diese Melancholie zu bekämpfen oder mich dann doch, wie alle Istanbuler, ihr endlich hinzugeben."

Unterstrichen wird diese Stimmung noch von zahlreichen schwarz-weiß Fotografien von Orhan Pamuk; der Großteil der Aufnahmen stammt aus dem Archiv des Fotografen Ara Güler, der eine wahre Fundgrube an Bildern aus der Zeit der fünfziger Jahre bis in die Gegenwart besitzt.

"Istanbul" ist kein herkömmlicher Reiseführer. Dieses Buch ist das Psychogramm der Stadt am Bosporus, die Ausleuchtung ihrer Seele und zugleich auch ein großartiger persönlicher Entwicklungsroman. Ursprünglich schwankte Orhan Pamuk, ob er Architekt oder doch lieber Maler werden wollte. Glücklicherweise hat er den richtigen Beruf ergriffen.
manuela haselberger

Orhan Pamuk -    Istanbul     Originaltitel: » Istanbul«, © 2003     Übersetzt von Gerhard Meier     © 2006, München, Hanser Verlag, 432 S., 25.90 € (HC)     © 2006, München, DHV Verlag, 11 CDs, 770 min (CD)               gebundenes Buch           Audiobook CD
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