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Eine zweite Chance
Tony Parsons - One for my Baby

leich mit seinem ersten Roman "Männlich, alleinerziehend, sucht..." landete der Engländer Tony Parsons einen Publikumserfolg. Auch in seinem zweiten Roman "One for my Baby" beschäftigt er sich mit dem Typ des einsamen jungen Mannes, der verzweifelt auf der Suche nach dem richtigen Platz im Leben ist. Genau genommen handelt es sich dabei um eine so altmodische Einrichtung wie die Familie. Spannend daran ist jedoch Parsons höchst eigener Tonfall.

Alfie, der Erzähler, hat den Grundstein für eine solide Existenz gelegt, als er Rose heiratet. Sie ist die Traumfrau schlechthin. Noch ein Kind und alles wäre perfekt. Doch so einfach ist die Sache mit dem Glück nicht. Rose stirbt bei einem Tauchunfall und Alfie kehrt unglücklich und einsam nach London zurück. Er ist sich sicher, "beim Glück hat man nur eine Chance."

In der ersten Zeit lebt er wieder bei seinen Eltern und verdient sich, wenn er nicht gerade die alten Sinatra Songs hört, seinen Unterhalt als Lehrer. Nachdem sein Vater aber an seinem achtundfünfzigsten Geburtstag eine überaus peinliche Lachnummer mit dem Aupairmädchen hinlegt, bekommen die Scheidungsanwälte viel Arbeit. Die Familie aus Alfies Kindheit zerbricht.

Seine flüchtigen Affären mit seinen Schülerinnen aus der Winston-Churchill-Schule, befriedigen Alfie auf Dauer nicht. Mehr als ein Zeitvertreib steckt für ihn nicht dahinter. Das Leben wirkt hohl und belanglos, bis er Jackie kennen lernt. Eine jungen Frau, die hart arbeitet, um sich ihren Traum vom Leben zu erfüllen.

Im Grunde erzählt Tony Parsons eine Geschichte von den traditionellen Werten, die in der heutigen Gesellschaft häufig verdrängt werden. Es geht um einen Platz für den einzelnen, an dem er sich zu Hause fühlt, um eine so antiquierte Einrichtung wie die Familie und so überholte Begriffe wie Treue und Liebe. Doch er verpackt das nicht in einer Kitschnummer, die auf die Tränendrüse drückt. In coolem Ton, der durchaus mit warmherzigen Einsprengseln durchzogen ist, bringt er die Schwierigkeiten auf den Punkt und spitzt sie oft noch in einem kurzen Nebensatz humorvoll zu.

"Weihnachtsbäume sind ein bisschen wie Beziehungen: Echte sind natürlich schöner, machen aber entsetzlich viel Arbeit und Chaos. Über falsche kann man sagen was man will. Sie machen jedenfalls weniger Mühe." © manuela haselberger


Tony Parsons - One for my Baby
Originaltitel: One for my Baby, © 2000
Übersetzt von Christiane Buchner und Carina von Enzenberg

© 2002, München, Kabel, 362 S., 19.90 € (HC)



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Die Suppe kalt essen »Du mußt die Suppe kalt essen«, hat er einmal zu, mir gesagt.
Das ist ein chinesisches Sprichwort, ein kantonesisches vermutlich, denn er hatte zwar einen altmodischen blauen britischen Paß und nannte sich gern Engländer, war aber in Hongkong geboren, und manchmal merkte man genau, daß all seine wichtigen Glaubenssätze vor langer Xeit und irgendwo weit weg entstanden waren. Wie der von der Bedeutsamkeit, kalte Suppe zu essen. Ich hielt inne und starrte ihn an. Was sollte das jetzt wieder heißen? »»Iß die Suppe kalt.« Seiner Erklärung nach bedeutet »die Suppe kalt essen«, an etwas so lange zu arbeiten, daß beim Nachhausekommen nichts mehr auf dem Tisch steht, außer kalter Suppe.
Und ich dachte: Wen hat der Typ denn als Mitbewohner? Schneewittchen und die sieben Zwerge? So wird man in einer Sache gut, meinte er. So wird man in jeder Sache gut. Man ißt die Suppe kalt,
Man arbeitet daran, wenn die anderen spielen. Man arbeitet daran, wenn die anderen fernsehen. Man arbeitet daran, wenn die anderen schlafen.
Um in einer Sache Meister zu werden, mußt du die Suppe kalt essen, Grashupfer.
Eigentlich hat er mich nie Grashüpfer genannt. Aber es hätte immer leicht sein können. Ich habe mich wirklich bemüht, das zu verstehen. Er war mein Lehrer und außerdem mein Freund, und ich wollte immer ein guter Schüler sein. Das will ich heute noch. Aber ich kann mir nicht helfen - irgendwann zwischendrin hat das mit der kalten Suppe eine andere Bedeutung für mich bekommen

Eine völlig andere als die in dem kantonesischen Sprichwort.
Irgendwie hat sich in meinem Dummschädel eingenistet, daß kalte Suppe zu essen bedeutet, eine Leidenszeit durchzumachen. Schwere Tage, Wochen, Monate durchzustehen, weil einem nichts anderes übrigbleibt.
Ich habe die fernöstliche kalte Suppe mit der westlichen bitteren Pille vermischt. Und jetzt kann ich sie nicht mehr auseinanderhalten.

Er hatte das keineswegs so gemeint. Für ihn hieß der Spruch, Annehmlichkeiten und Vergnügen zugunsten höherer Werte zu opfern. Für ihn hieß er, auf flüchtigen Genuß zugunsten eines fernen Zieles zu verzichten.
Iß jetzt kalte Suppe, damit du morgen was Besseres kriegst. Oder übermorgen. Oder überübermorgen. Das hat nicht das geringste mit Schneewittchen und den sieben Zwergen zu, tun.

Aber vermutlich ist die Idee der Opferbereitschaft leichter z begreifen, wenn man in einem der ärmeren Viertel von Kowloon aufgewachsen ist. Wo ich herkomme, hält sich die Begeisterung für so was in Grenzen.
Die Suppe kalt essen - das heißt für mich, etwas auszuhalten, das man eben aushallen muß. Genauer gesagt heißt es, daß einem jemand fehlt. Richtig fehlt. So wie sie mir. Aber sie ist weg und kommt nicht zurück. Soviel ist mir inzwischen klar.

Ich werde sie nie wieder küssen. Ich werde nie wieder neben ihr aufwachen. Ich werde ihr nie wieder beim Schlafen zuschauen. Dieser herrliche Äugenblick, wenn sie die Augen aufmachte und mit ihren leicht vorstehenden Zahnen lächelte - ein Lächeln, bei dem sie soviel Zahnfleisch wie Zähne entblößte, ein Lächeln, hei dem ich innerlich zerfloß -, das sehe ich nun ganz bestimmt nicht wieder. Es gibt zehntausend Sachen, die wir nie wieder gemeinsam tun werden. Und das wäre ja in Ordnung - oder zumindest könnte ich mich irgendwann damit abfinden -, wenn ich diesem lächerlichen Drang widerstehen könnte, sie anzurufen. Alles wäre erträglicher, wenn ich mir merken könnte, wirklich merken könnte, daß sie weg ist. Es nie wieder vergessen.
Aber ich kann nicht anders.

Einmal am Tag rufe ich sie an. Ich habe noch nie wirklich die Nummer gewählt, aber nahe dran war ich. Ob ich die Nummer nachschlagen muß? Ich brauche sie nicht mal im. Kopf zu haben. Meine Finger können sie auswendig.
Ich habe auch Angst, daß ich eines Tages ihre alte Nummer wähle und Jemand anders drangeht. Ein wildfremder Mensch.
Und was passiert dann? Was mache ich dann?

Er überfällt mich ans heiterem Himmel, dieser Drang, sie anzurufen. Wenn ich glücklich oder traurig bin oder mich etwas bedrückt, dann habe ich plötzlich dieses Bedürfnis, ihr davon zu erzählen. So wie damals, als wir- beinahe hätte ich gesagt - verliebt waren, aber es war das und noch viel mehr.
Zusammen. Als wir zusammen waren.
Sie ist weg, und ich weiß, daß sie weg ist.
Bloß manchmal vergesse ich es eben.
Das ist alles.
Und jetzt weiß ich, was ich zu tun habe.
Ich muß kalte Suppe essen und mich gegen diesen übermächtigen. Drang wehren, zum Telefonhörer zu greifen. S. 7-9


"Denkst du noch manchmal an den Abend?" .frage ich ihn.
"Welchen Abend?" "Na, neulich, im "Shanghai Dragon". Als deine Nase und meine Rippen dran glauben mußten.."
"Möglichst nicht." "Ich denke dauernd dran. Ich verstehe immer hoch nicht,was passiert ist." "Überraschungsangriff. Hat mich kalt erwischt, Pearl Harbour und so. Dieser Fettsack. Wir hätten die Polizei holen sollen." "Ich meine nicht, was uns passiert ist, ich meine den alten Mann. Was bei dem passiert ist." "Nichts ist bei dem passiert. Als der auftauchte, war schon alles vorbei."
Ich schüttle den Kopf.
"Dieser Typ - der fette Skinhead -, der hätte jeden platt gemacht. Der wollte einfach Zoff. Und dann tauchte der Alte auf, und der Skin machte den Rückzug. Ich hab das damals nicht kapiert, und ich kapier's immer noch nicht."

"Da gibt es gar kein Geheimnis dahinter", sagt Josh mit vollem Mund. "Der Skinhead dachte wahrscheinlich, Charlie Chan hat noch fünfzig Verwandte im Hinterzimmer, alle mit Macheten bewaffnet. Komm schon, ich hab's eilig. Iß dein Curry, bevor es kalt wird." "Das war nicht der Punkt. Jedenfalls glaube ich das nicht. Er war einfach so - ich weiß nicht -, so völlig entspannt. Man hat ihm angesehen, daß er keine Angst hatte. Er hatte nicht die geringste Angst vor einem viel jüngeren, viel größeren Typen, der auf Zoff aus war. Und das hat der Skin gespürt. Der Typ hatte einfach keine Angst."

Josh schnaubt verächtlich.
"Hast du eine geheimnisvolle Kraft gespült, Alfie? Hast du sie dem alten Koch angemerkt? Wieder mal die Mysterien des Fernen Ostens live miterlebt?"
"Ich sage doch bloß, daß er keine Angst hatte. Obwohl er allen Grund gehabt hätte."
Josh hört mir nicht zu. Er schaufelt sein Curry in sich hinein und kalkuliert seine Chancen bei der Nobelblondine durch, die um zwei in sein Büro kommt. Trotzdem habe ich das Bedürfnis, ihm noch was zu erklären. "Ich überlege einfach, wie toll das sein muß, wenn man ohne Angst durchs Leben geht. Stell dir doch vor, wie frei man sich da fühlt. Wenn man keine Angst hat, kann einen schließlich keiner verletzen, oder?"

"Höchstens wenn er einen Baseballschläger dabei hat", .erwidert Josh. "Wie geht's deinem Vater? Wohnt er noch in der WG mit Miss Schweden?"
"Miss Tschechische Republik. Der ist weg und fort, für im-mer, da bin ich mir ziemlich sicher." Josh schüttelt den Kopf. "Aber den Hut muß man schon vor ihm ziehen. In seinem Alter noch mit blutjungen Mädels Zugange. Nicht zu verachten."
"Ich will aber keinen alten Bock als Vater, das will kein Mensch. Jeder bewundert Hugh Hefner, aber keiner will ihn als Vater."
"Schätze, er ist kein besonders gutes Vorbild, was? Einfach das Au-pair-Girl vögeln..."
"Er braucht auch kein Vorbild zu sein. Ich will bloß ein bißchen Verläßlichkeit, ein bißchen Ruhe und Frieden. Mehr verlangt man doch gar nicht von seinen Eltern. Das ist das Beste, was sie einem bieten können: keine Peinlichkeiten. Ich will nicht, daß mein Dad hinter tschechischen Röcken herjagt und seinen Bizeps aufpumpt und diesen ganzen Quatsch. Er soll sich um Wichtigeres kümmern. Er hat schließlich genug Zeit gehabt, das soll er mal kapieren. Aber anscheinend will kein Mensch mehr alt werden, was?" "Nur, wenn es gar nicht anders geht."
S. 128-129


Die veredelte Reinkarnation von The Slab. Als er fertig ist, gehe ich zu ihm. Ich habe Schuldgefühle. Die anderen mögen es vielleicht fertigbringen, ihre Tat-Chi-Stunden mit reinem Gewissen im Sand verlaufen zu lassen, aber ich fühle mich schlecht deswegen.
"Tut mir leid, daß ich so lang nicht vorbeigeschaut habe" George. Ich war ziemlich im Streß. Prüfungen und so."
Er nickt knapp, aber in seiner Geste hegt kein Vorwurf, kein Groll. Anscheinend hat er von einem langnasigen Pinky nichts anderes erwartet, als daß er sich irgendwann nicht mehr im Park blicken läßt.
Während ich ihm dabei zusehe, wie er sein Schwert in die lange, lederne Tragetasche schiebt, weil man in Londons Norden schließlich nicht mit einem nackten Schwert in der Hand durch die Straßen laufen kann, geht mir plötzlich auf, warum ich von diesem Mann Tai Chi lernen wollte- Es hatte nur wenig mit Streß Verarbeitung, Gewichtsabnahme oder dem Erlernen der richtigen Atemtechnik zu tun. Und obwohl das Händeschieben meiner Welt, meinem Leben und meiner Zukunft einen Sinn gegeben hat, hatte es auch nur bedingt damit zu tun, daß ich lernen wollte, mit Veränderungen fertig zu werden. Ich wollte wie er sein. Klarer Fall.

Gelassen, aber nicht passiv. Stark, aber nicht aggressiv. Ein Familienvater, aber kein Stubenhocker. Ein lauteres Herz in einem gesunden Körper. Das waren die Lektionen, die George Chang mir beibringen sollte, weil ich wußte, daß ich sie von meinem leiblichen Vater nie lernen würde.
"Für mich auch stressige Zeiten", sagt er, als könne er meine Gedanken lesen. "Mein Sohn und seine Frau ziehen aus. Viele Vorkehrungen treffen."
Ich traue meinen Ohren nicht. Wenn es bei den Changs etwas gab, woran ich nie einen Zweifel hatte, dann die Tatsache, daß Ihre kleine Familie unzertrennlich war. Und genau das hatte ich mir mehr als alles andere gewünscht: eine unzertrennliche Familie.
"Harold und Doris ziehen aus dem >Shanghai Dragon< aus?"
George nickt. "Frau meines Sohns glaubt, hier zu hartes Pflaster. Viele Betrunkene. Pinkeln in Hauseingänge und prügeln sich. Viele schöne Häuser, großes Geld, aber auch Abschaum. Keine gute Gegend, um Kinder aufziehen, denkt Frau meines Sohns." Er deutet mit dem Kinn in Richtung Vorstädte. "Will rausziehen, vielleicht nach Muswell Hill oder Cricklewood. Eigenes Restaurant aufmachen. Gute Schulen für Diana und William. Niemand pinkelt in Hauseingänge oder droht, dir in Kuchenluke hauen."

Ich bin fassungslos. "Und Harold macht alles mit, was? Muswell Hill und neue Schulen für die Kinder? Aus dem >Shanghai Dragon< ausziehen? Er fügt sich einfach, stimmt's?"
"Was er soll tun? Sie ist seine Frau. Muß auf sie hören. Nicht mehr in China." "Das ist ein ganz schön harter Schlag für dich, George. Für dich und Joyce. Nicht nur wegen all der zusätzlichen Arbeit. Nicht nur, weil dir die Kinder fehlen werden. Sondern weil deine Familie auseinanderbricht."
"Familien ändern sich. Meine Frau und ich, wir müssen verstehen. Mein Sohn, seine Frau, ihre Kinder - das ist eine neue Familie. Eine Familie geht auseinander und kommt neu zusammen. Muswell Hill - ich weiß nicht. War nie dort. Hab gehört, ist schön dort. Ich bin ganz gern hier. Aber vielleicht das ist eine gute Idee für sie. Und ihre Familie."
George Chang starrt an den Bäumen vorbei, als denke er an die sauberen Straßen von Muswell Hill und an chinesische Restaurants, in denen ein Betrunkener niemals damit drohen würde, jemandem auf die Kuchenluke zu hauen. Eine Zukunft, die er sich nicht recht vorstellen kann. Dann wendet er sich wieder mir zu und lächelt. "Das ist das Witzige mit Familie", sagt er. "Selbst beste Familie ist nicht in Stein gehauen."
S. 342-343

Lesezitate nach Tony Parsons - One for my Baby








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Titel von
Tony Parsons
 Taschenbuch



Männlich, alleinerziehend, sucht...

© 2002

 Hardcover



Open Secret.
Die Erfahrung der Nicht- Dualität.


© 2000



Männlich, alleinerziehend, sucht...

© 2000


© 16.3.2002 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de