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Er sagte auch nichts, als einer der Malergesellen einen Floh zwischen den Fingernägeln zerdrückte, den er sich nach langem, umständlichem Kratzen aus den Tiefen seiner Hose gezogen hatte. Wozu auch? Das Ungeziefer war nie geladen, aber immer anwesend. Im Grunde seines Herzens verabscheute er die Plage, doch konnten weder er noch sonst jemand dagegen ankämpfen, also war es sinnlos, sich darüber zu ereifern. Stattdessen erhob sich Valentin Pirment, dankte Gott unter Beifall der Gäste erneut für den gesunden Sohn, klatschte in die Hände und gab damit das Zeichen für den dritten und letzten Gang.

Diesen Abschluss bildeten Saiblings- und Kalbfleischpastete, Getreide mit Gemüse, Hanfsuppe, Fisch im Teig, Kürbistorte, gefüllte Eier im Teigmantel und frisch ausgebackene Brandteigkrapfen mit wenig Honig beträufelt.
Die Gesellschaft stürzte sich darauf, als hätte es vorher nichts gegeben. Mittlerweile hatten die Völlerei und die Sauferei die Gäste so in Wallung gebracht, dass der Gestank den ganzen Raum erfüllte und sich mit den wohlriechenden Düften der eben aufgetragenen Speisen vermengte. Selbst Pfarrer Bock schnappte ab und an nach Luft wie ein an Land geschwemmter Karpfen, und Clara Pirment fächelte sich mit einem Spitzentuch aus französischem Leinen - einem Geschenk ihres Gatten für die Geburt des dritten, kerngesunden Sohnes - Luft zu.
Der Malergeselle sprang plötzlich von der Bank auf und rannte in die Ecke, wo er sich krampfartig erbrach. Einer der Hunde folgte ihm und schnupperte an dem dampfenden Erbrochenen, während sich der Malergeselle keuchend wieder an die Tafel setzte.
Martha runzelte die Stirn. Sie hatte es nicht gerne, wenn Gäste ausfällig wurden, und hoffte inständig, es würde nur bei kleineren Übelkeiten bleiben .S. 14


Lesezitat nach Belinda Rodik - Trimalchios Fest


Er - L E S E N E Speisen
Belinda Rodik - Trimalchios Fest

er die antiken Schriftsteller kennt, assoziiert mit dem Namen Trimalchio sogleich ein rauschendes Fest mit erlesenen Tafelgenüssen. Und folglich handelt der Debutroman der in Köln lebenden Belinda Rodik von den Gaumenfreuden, genauer von der Lebensgeschichte des Nikolaus Pirment.

Nikolaus, 1635 drittgeborener Sohn eines kleinen Hofbeamten aus Nürnberg, wächst in den Wirren des 30jährigen Krieges heran.

Ähnlich anderen literarischen Vorbildern wie Alexandre Grimond de La Reynière (Lea Singer - Die Zunge) oder Jean-Baptiste Grenouille (Patrick Süskind - Das Parfum) kennt der kleine Nikolaus nur ein Faible: Die häusliche Küche.

So ist er auch wenig begeistert als er, 5jährig aus derselben vertrieben, die kalten Bänke der Klosterschule drücken soll. Doch bald stiehlt er sich aus dem Unterricht fort und taucht immer öfter in der Klosterküche auf, wo er den Bruder Koch allmählich von seiner Kochkunst im Umgang mit Soßen und Gewürzen überzeugen kann.

Den schlauen Mönchen gelingt es dem an sich lernunwilligen Nikolaus das Rechnen, Schreiben und Lesen schmackhaft zu machen. Das sind Dinge, die ein späterer Meisterkoch beherrschen muss, zumal dann, wenn er auf die Kochrezepturen aus der "Ars Magirica" des altrömischen Schriftsteller Apicius scharf ist, und letzterer schrieb bekanntlich nur in Latein.

Doch die solide Ausbildung endet zu früh - das Ende des Krieges naht zwar, aber kaum jemand hat mehr etwas zu beißen, geschweige denn, dass man noch der Kochkünste bedarf - bis auf einen Vorfall: Nikolaus beteiligt sich aus Not und Hunger an einem Raubüberfall auf einen bischöflichen Prälaten, nur, anstelle das Gold zu rauben, schlachtet er lieber das Ross des frommen Mannes, um es anschließend meisterhaft zu verwursten.

Eine wirklich harte Lehrzeit unter der Fuchtel eines stets besoffenen und hundsgemeinen Küchenchefs eines Nürnberger Gasthofes schließt sich an. Seine heroische Tat, auf eigene Faust dort als Geselle eine Pastete für den Wittelsbacher Fürsten aus München herzustellen, verhilft ihm zu einer Anstellung bei Hof.

Spannend und anschaulich erzählt die Autorin von Nikolausens Abenteuern in der Küche, insbesondere bei der Kreation und Zubereitung hochherrschaftlicher Schauessen, die wirklich in keinem Punkt den antiken oder heutigen Vorbildern nachstehen.
Auch lesen sich ihre Vorstellungen von der Lebenswelt der damaligen Zeitgenossen so authentisch, dass man unwillkürlich sich zu kratzen beginnt, wenn sie von den Wanzen, Flöhen und Läusen berichtet, mit denen sich das Gesinde im wortreich besudelten Stroh abkämpft.

1682 erreicht Nikolaus dann seine berufliche Krönung: Er wird Koch in Versailles am Hof des Sonnenkönigs Louis XIV und kreiert neben seinen Trüffeln in Teig allerlei Leckereien.
Selbstverständlich geht es auch in Frankreich nicht nur um Abenteuerliches aus der Küche - für Spannung sorgt die alte Geschichte mit dem geschlachteten Pferd, die unseren wackeren, zwischenzeitlich unbändig beleibten Niccolò in den Kerker der berühmten Bastille bringt.
Am Schluss des Buches winkt ein eher neuzeitlich anmutendes Wettkochen, ein erster Cup d´Or sozusagen, den der Titelheld für sich entscheidet.

Belinda Rodik verfasst ihren Roman mit viel Witz (das Duell bspw.) und einer gut recherchierten Geschichte des Kochens.

Sicher ist ihre Figur des Kochs erfunden, aber passgenau in die damalige Zeit integriert. So berichtet sie ausführlich ungeniert über die losen Sitten in Versailles und den infernalischen Gestank in Paris.
Dass die Autorin vermutlich keine gelernte Köchin ist, bereichert den Roman sogar - er ist unbeschwert frei von fachspezifischen Küchenvokabeln und kann sich daher auf die wesentliche Beschreibung der Culinaria konzentrieren, ohne dass es in irgendeiner Weise langweilig, belehrend oder öde wirkt.

Insgeheim beschleicht den Leser an manchen Stellen sogar, dass die damals gebotenen Gerichte weitaus umfang- und abwechslungsreicher ausfielen, als in Zeiten von McDonalds: Nikolaus erprobte nicht nur Rezepte für Rind, Schwein und Huhn, sondern auch Schwäne, Störche, Pfauen, Reiher, Kormorane und Rohrdommeln weckten seine Meisterschaft. Krebse, Austern, Lachs und Biberschwanz gehörten neben zahlreichen anderen Fischgerichten zum Standard der damaligen Küche.
Nur, ob ein heutiger Koch nicht lieber auf den Frische-Service von Rungis zurückgreift, als sich wie damals einfach ein scharrendes und kackendes Federvieh (Eierversorgung inkl.) aus seinem Küchenregal zu angeln oder wochenlang transportierten Seefisch zu verarbeiten, bleibt letztlich unbestritten.

Ein thematisch gut gelungener und unterhaltsamer historischer Roman, ein abgerundetes Sittenbild, das keinesfalls nur Köchen und Kochbuchliebhabern vorbehalten sein darf. Ein Buch, das sicher viele Leser findet, und vielleicht sogar, das ist einer von Belinda Rodiks heimlichen Träumen, ein bisschen die Bestsellerlisten stürmt. © manuela haselberger

Belinda Rodik - Trimalchios Fest

2001, Bergisch Gladbach, Gustav Lübbe Verlag, 416 S., 19.90 € (HC)
2002, Bergisch Gladbach, Gustav Lübbe Verlag, 420 S.,  8.90 € (TB)




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Fortsetzung des Lesezitats ...

Platina und Martino folgte der Michelanglo der Köche: Bernardo Scappi. Die Lektüre der Schriften des päpstlichen Leibkoches las sich für Nikolaus wie ein Bericht aus fernen Welten. Alles schien ihm wert, in Gedanken notiert und aufgezeichnet zu werden, und ab und an ließ er seinen Federkiel über das mittlerweile besorgte Papier kratzen, um sich die wichtigsten Dinge zu notieren und sie für immer und ewig zu konservieren.

Scappis Opera di Bartolomeo Scappi, maestro dell´arte del cucinare, cuoco secreto di Papa Pio Quinto divisa in sei Iibri beschrieb Kalbsnieren auf geröstetem Brot, verfeinert mit Schnaps, Anis, Olivenöl, Kräutern, Fenchel- und Nelkenpulver, abgerundet mit Zucker, Zimt und Granatapfelsaft und Rinderrücken auf venezianische Art mit Koriandersamen und Muskat in einer Sauce aus Zucker, Zimt, Essig und Nelken.

Ganz nebenbei ließ sich Nikolaus in die Welt der italienischen Renaissance entführen, lernte die Sprache des Papstes und erfuhr seine ersten Lektionen in Geographie, die ihn in die märchenhaften Welten Venedig, Mailands und noch weiter bis nach Sizilien, Arabien und auf die Molukken entführte, woher Muskatnuss, Zimt und Nelken auf abenteuerlichen Wegen kamen. Sein Wissensschatz wuchs mit jedem Tag, und seine Finger kneteten immer behänder und einfühlender die Teige, formten Pasteten, schnetzelten Fleisch und häckselten Gemüse. S. 46

"Bruder Markus, ich hätte eine Frage."
"Nur zu, mein Sohn."
Bruder Markus wandte sich Nikolaus zu.
Ich habe bemerkt, dass viele Gerichte die Namen ihrer Köche tragen. Ist das nicht ein wenig vermessen?", fragte Nikolaus. "Im Apicius gibt es ein Ferkel à la Celsinus, ein Huhn à la Frontinus und Hase nach Passenus. Sollten die Gerichte nicht die Namen der Fürsten und Könige tragen, für die sie kreiert wurden?"
"Warum nicht den Künstler ehren? Koch zu sein ist etwas ganz Besonderes. Es ist eine Gabe, die von den Engeln des Herrn persönlich in die Wiege der Auserwählten gelegt wird. Maler erfreuen das Auge ihrer Herrn, Dichter und Musiker die Ohren, aber ein Koch ist für alle Sinne zuständig." "Auch für die Ohren?" "Es gibt kein lieblicheres Geräusch auf dieser Welt als das satte Schmatzen eines zufriedenen Gastes. Fürsten und Könige wissen dies zu schätzen und haben seit Anbeginn der Zeit ihre Köche in Ehren gehalten."
Nikolaus sah lächelnd zu Bruder Markus auf. Es gab wirklich nichts, was er ihn nicht hätte fragen können.
"Das Wohl und der Erfolg eines Königshauses hängt nur zu oft von seinen Köchen ab", fuhr der Bruder fort. "Nichts kann angesehene, wichtige oder gar gefährliche Gäste mehr verstimmen als ein schlecht zubereitetes Mahl. Mit leerem oder verstimmtem Magen lassen sich Verhandlungen nur schlecht führen. Ganze Kriege wurden von Mahlzeiten bestimmt. Da ist es nur recht und billig, wenn man die Gerichte nach ihren Schöpfern benennt." S. 49

Er lief immer weiter, ohne nach links oder rechts zu sehen. Die zerschlissene, abgetragene Kleidung schlotterte an seinem Leib. Er stieg über Leichen, die nicht mehr abtransportiert wurden, da man es aufgegeben hatte, die Toten zu begraben, die dann ohnehin wieder ausgegraben wurden. Nur der Anstand hielt manche Menschen dazu an, nicht die eigenen Verwandten aufzuessen, und so ließen sie sie für die anderen liegen. Auf den verwesenden Körpern waren auch keine Maden oder Fliegen zu sehen, sie wurden als Erstes heruntergepult und in die Pfannen geworfen.

Er achtete auch nicht auf den Gestank, der sich wie ein dicker Nebel auf die Stadt senkte. In seine Schuhe quoll die Kloake, die wie ein zähflüssiger, brauner Brei den Boden bedeckte und schon lange nicht mehr auf den Schindanger oder wenigstens in die Abflussrinnen gekarrt wurde. Achtlos, wo sie gerade standen, pissten und schissen die Menschen auf die Straßen. Sie hockten sich nicht mehr ein wenig schamvoll in eine Seitengasse oder auf eines der Abtrittbretter über den öffentlichen Latrinen, sondern verrichteten ihr Geschäft neben und auf den Toten, auf dem Hauptplatz und vor Hauseingängen. Selbst der Beruf der Abtrittanbieter schien ausgestorben.

Nikolaus lief einfach weiter, bis er die Stadtmauern erreichte. Er wusste nicht, wohin er eigentlich wollte, aber er schritt stetig voran, und das war gut so. Gehen verhinderte die Gedanken an den unerträglichen Hunger, der ihn derart quälte, dass er Angst bekam, er könnte sich ebenfalls an Menschenfleisch vergreifen.S. 68

An manchen Tagen hatte er nur frisches Stroh in die Gästekammern zu tragen, die Laken mit Tabaktinktur gegen Krankheiten zu bestreichen oder die Stube zu fegen. Mit jedem Tag überkam ihn mehr Ekel vor all den Fremden, die mit Stiefel und Schuhen in ihre Betten krochen, in das Stroh, auf dem sie schliefen, pissten und den Boden mit ausgespucktem Kautabak zierten, bis sich eine schleimige Schicht darüberlegte. Und mit jedem Tag sehnte er sich mehr nach der wahren Arbeit eines Kochs. Er wollte schneiden, hacken und braten und durfte nur kehren, putzen und fegen. Mit Neid konnte er nur aus den Augenwinkeln erhaschen, wie die Lehrlinge sechs und manchmal sogar neun Gänge, also insgesamt vierundfünfzig Speisen pro Mahl bereiteten, dabei ins Schwitzen gerieten und vor Hast und Hektik nicht mehr wussten, wo ihnen der Kopf stand. Wie schnell und gerne hätte er dies alles zubereitet!

Er betrachtete die Lehrlinge voller Abscheu als unfähig, einen einfachen Braten schmackhaft zuzubereiten, und freute sich klammheimlich jedes Mal, wenn ihnen etwas misslang. Er konnte nicht anders, als die Todsünde des Neides in sein Herz einzulassen. Und er konnte auch nicht umhin, sich beinahe zu freuen, sein Herz bis zum Hals klopfen zu spüren, als Ignaz in seiner Ungeschicktheit das Hackbeil statt in das Rindfleisch auf die eigene Hand sausen ließ.

Er stand gerade neben ihm und eilte ihm auch sofort zur Hilfe, verband die blutende Wunde und goss ihm Branntwein zur Stärkung ein. Aber nachdem der sofort zur Hilfe gerufene Baderchirurg unter lautem Geschrei und Zuhilfenahme Unmengen Branntweins Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger von Ignaz' linker Hand abgenommen hatte, wusste Nikolaus, dass seine Stunde nun geschlagen hatte.

Und er behielt Recht mit seiner Vermutung. Noch am selben Abend teilte ihm Antonia mit, dass Ignaz fortan seine, Nikolaus' Arbeiten verrichten würde. S. 139

Aus dem ihm bis dato völlig unbekannten Libre de Sent Sovi von Rudolf Grewe entnahm er das Rezept für eine hinreißende Sauce für ein Bärengericht und ebenso das von halbgegrilltem Geflügel in süßsaurer, gewürzter Mandelsauce. Die "weiße Sauce" von Grewe mit Ingwer, Mandeln und Hühnerbrust ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen, und er beeilte sich, diese zu notieren und auszuprobieren.

Einen unbezahlbaren, weil noch per Hand kopierten Schatz, brachte Dupois mit der französischen Schrift des Viandier. Ihr entnahm Nikolaus ein Rezept für Hackbraten, welches er ein wenig abwandelte. Zwar blieb es dabei, dass das klein gehackte, gekochte Schweinefleisch wie beschrieben gemörsert und mit Eiern, Zucker und Rosinen gewürzt wurde. Aber er gab auch noch milde Gewürze und Drosselfleisch zu, riet zum Übergießen mit Süßwein aus Zypern und gab an, dass die Masse in einem Topf zu backen sei, dessen Boden mit Salz, Safran und Pflaumen ausgelegt ist.

Gerade dieses Buch erwies sich als sehr ergiebig, denn in ihm fanden sich ausschließlich Rezepte der höfischen Bankettküche, während sein geliebter und hochverehrter Platina neben Rezepten durchaus auch mit Ratschlägen zur Wohnungseinrichtung und zum Beischlaf aufwartete. Was er nicht verstehen konnte. In einem Kochbuch hatten weder die fleischlichen Gelüste, so sie denn nichts mit dem Essen zu tun hatten, noch Möbel und Tapisserien etwas verloren.
So hing er nun mit neuer Leidenschaft an dem Buch des Viandier. Mit Erstaunen las er von einer "deutschen Brühe" und nahm sie begeistert in seine Sammlung auf Sie wurde aus Bouillon, Wein, Speck, Zwiebeln, Mandeln, Zimt, Nelken, Paradieskörnern, Safran und Verjus bereitet und würde jedes Genießerherz erfreuen.

Das Galimafrée das Hammelragout, schließlich wollte er sogar demnächst der Madame servieren. Er fand Gefallen an dem kleinst gewürfelten Hammelfleisch, mit halb so viel gehackten Zwiebeln in Butter angeschwitzt, dann mit Essigsud abgelöscht und mit Ingwer, Pfeffer und Salz über kleinem Feuer geköchelt und mit geröstetem Brot serviert.

Viandier beschrieb Rezepte für Schwäne, Störche, Pfauen, Reiher, Kormorane, Kraniche und Rohrdommeln, die allesamt wie der Pfau auf der Alm im Federkleid serviert werden sollten. Nikolaus fügte die in Kampfer getränkte Wolle hinzu, die dem Federvieh beim Servieren ins Maul gesteckt und angezündet werden sollte, und erinnerte sich dabei liebevoll an den Flammen speienden Pfau.

Er wurde zu einem Rezept für Thunfisch mit Birnen, Oregano und Zitronen inspiriert, da Fabrizio von einem ähnlichen aus seiner toskanischen Heimat berichtet hatte.
Für die sparsame, aber dennoch exquisite Küche empfahl er neben Krebsen, Austern und Lachs auch Biberschwanz, der ein-gesotten in einer mit Lebkuchen gebundenen Pfeffersauce anzurichten war und dann mit ingwer bestreut werden sollte. Für Muscheln gab er den Hinweis, sie sollten besser in leichtem Weißwein als in Wasser gegart werden, und setzte auch damit neue Maßstäbe, das war sicher.

Als er die Fischrezepte für die Nachwelt zu Papier gebracht hatte, entsann er sich erneut des Apicius. Seit Jahren bereits bereitete er unter strengster Geheimhaltung das von Apicius beschriebene Garum. Eine Fischlake, die sowohl Fisch als auch Fleisch und sogar Bratwürste geschmacklich anreicherte. Nun war es wohl an der Zeit, dieses Geheimnis zu lüften.

Mit stolzem Ton erklärte er dem noch unbekannten Leser, wie ein Teil Sardinen mit drei Teilen Wein so lange zu kochen waren, bis diese eindickten. Die Masse musste anschließend durch ein Haarsieb in eine Glasflasche gestrichen werden. So konnte sie problemlos gelagert werden. Wurde sie zu lange aufbewahrt und zeigte sie bereits unangenehme Düfte, konnten ein mit Lorbeer und Zypressenzweigen ausgeräuchertes Gefäß die in frischer Luft gut geschlagene Sauce wieder aufnehmen. Wurde das Garum zu salzig, musste lediglich Honig beigemengt werden.

Da er nun auch das Geheimnis des Garum preisgegeben hatte, war es ein Leichtes, die Gemüserezepte zu vollenden, denn auch sie würzte er mit eben jener Fischlake. Er notierte, wie die Kürbisse zu brühen oder zu braten waren, wie er Malven und Mangold mit gerösteten Pinienkernen, Honig, Öl, Liebstöckel und Fischlake servierte und wie er Lauch, Sellerie und frische Kräuter mit blanchiertem Schweinehirn, Bratwürstchen, hart gekochten, halbierten Eiern, Hühnerleber, geriebenem Salzfleisch, Austern und frischem Käse der Madame kredenzte. Zu diesem Gericht empfahl er eine Sauce aus Pfeffer, Liebstöckel, Selleriesamen und Asant, mit durchgeseihter Milch vermischt und mit dem Eidotter von hart gekochten Eiern eingedickt. Wer mochte, konnte beim Auftragen noch mit frischen Seeigeln garnieren und alles nochmals mit Pfeffer bestreuen.

Nikolaus war in einem Feuer der Kochkunst, die sich mit der Kunst des Schreibens vermengte, gefangen. Am Ende zählte er 90 Rezepte für Rind, 57 für Kalb, 35 für Hammel, 30 für Reh, 56 für anderes Wild, 85 für Fisch, 76 für Schalentiere, über 100 für Gemüse und Suppen, ganze 80 für Salate und stolze 120 für Backwaren und Zuckerbackwerk.

Als sein Werk schließlich vollendet war, von Fabrizio begierig verschlungen und als epochal bezeichnet, von Dupois mit leuchtenden Augen gelesen und ebenso als magniflque in den höchsten Tönen gelobt. suchten die beiden einen Drucker auf und nahmen Nikolaus damit sein Kind aus der Hand. Aber es galt noch einen klingenden Namen für ihn zu finden, denn "Pirment" war für einen Künstlernamen nicht geeignet, wie Dupois trocken bemerkte. Sie dachten tagelang angestrengt nach, und im Traum fiel Nikolaus schließlich Trimalchio wieder ein. Jener Trimalchio aus dem Satyricon, das er als Knabe verschlungen und verehrt hatte. S. 330-332

"Ich verstehe nicht ...", begann Nikolaus, aber Dupois ließ ihn nicht zu Worte kommen.
"Wisst Ihr noch, wie ich Euch seinerzeit Gilbert Quintus in die Küche brachte - und damit fast Euren Tod herbeigeführt hätte. Seitdem habe ich ihn nie mehr aus den Augen gelassen, und so wusste ich, was er plante."
"Dann habt Ihr dem König davon erzählt?"
Dupois legte ihm die Hand auf den Arm. "Es war das Geringste, was ich für Euch tun konnte. Ja, ich weiß, was Ihr sagen möchtet - dass man einem Toten nichts Schlechtes nachsagen darf, aber er war böse. Abgrundtief böse. Ich habe die übelsten Dinge über ihn gehört. Es ist nicht Eure Schuld, dass er ein so schlimmes Ende gefunden hat. Sein Grab hat er sich letztendlich selbst geschaufelt. Und so fügt sich alles zum Besten."

Nikolaus sah ihn an, unfähig, etwas zu sagen.
"Oh, ich hatte Helfer", lachte Dupois. "Ihr wisst gar nicht, wie viele Freunde ihr habt, Trimalchio. Denn jeder, dem die Freude des Lebens und das Wohl der Menschen am Herzen liegt, wird auch von anderen geliebt."
Doch Nikolaus nahm ihn nicht mehr wahr. Während seine Augen in die Ferne starrten, wanderten seine Gedanken zurück in eine längst vergessene Vergangenheit, zu den Stationen seines Lebens. Er dachte an seinen Vater, seine Mutter, seine Brüder, die Mönche aus dem Kloster; sogar an Meister Pongratz dachte er. Lange, wie eine Ewigkeit erschien es ihm, verweilten seine Gedanken bei Antonia, der süßen, nach Apfel und Zimt duftenden Antonia, und beinahe wollte sich eine Träne des Wehmuts aus seinen Augenwinkeln stehlen.

"Ist dir nicht gut, Nikolaus?"
Fabrizios besorgte Stimmte holte ihn in das neue Jahrhundert zurück. Die Geister der Vergangenheit verblassten, und mit Entsetzen bemerkte er, wie Fabrizio Dupois Konfekt und Pralinés gemeinsam mit süßen Eierspeisen auf einem Teller reichen wollte.S. 408

Lesezitate nach Belinda Rodik - Trimalchios Fest













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Thomas Haselberger
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