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Thema im Literarischen Quartett 
am 10.12.1999


 



 


Leseprobe

»Das sind unsere letzten Ferien für einige Zeit«, sagte Sandra. »In einem halben Jahr Irriegen wir ein Baby. Nicht wahr, Michael?«

Michael schaute wieder aus dem Fenster und Sandra wiederholte: »Nicht wahr, Michael?«

»Ja«, sagte er endlich.

»Ihr scheint ja ganz begeistert zu sein«, sagte Monika mit übertrieben freundlichem Lächeln.

»Es ist wie ein Wunder«, sagte Sandra, »das Leben in sich wachsen zu fühlen.«

»Das wirkliche Wunder wirst du erleben, wenn das Leben aus dir herausgewachsen ist«, meinte Monika trocken.

»Wollt ihr keine Kinder?« fragte Sandra, an mich gewandt.

»Es würde nicht zu unserer Wohnungseinrichtung passen«, sagte Monika schnell.

Der Zeltplatz lag am Rande einer Kleinstadt, zwischen einer Autofabrik und dem großen See. Als wir im laden Vorräte einkauften, trafen wir Sandra und Michael wieder. Sandra sagte, wir müßten unbedingt Mückenschutzmittel kaufen, schwedische Mücken ließen sich nur mit schwedischem Mückenschutzmittel vertreiben.

»Have you vino«, fragte eine Österreicherin vor uns an der Kasse. Die Verkäuferin schüttelte den Kopf, und Sandra erklärte der Touristin das schwedische Alkoholgesetz.

»Ich hasse dieses Weib«, flüsterte ... weiter....
Leseprobe aus: 
Peter Stamm - Blitzeis (S.46-47)

 

Blitzeis
Peter Stamm - Blitzeis

Nach seinem fulminanten und mehrfach ausgezeichnetem Debüt "Agnes", einem vielschichtigen Roman über Identität, legt der Schweizer Peter Stamm, geboren 1963, einen schmalen Band mit neun Erzählungen nach. 

Seinem bewährten kurzen, knappen, lakonischen Stil bleibt er auch in seinen Stories treu. Die Sätze sind bis aufs Skelett abgemagert, da gibt es nicht ein Gramm einer überflüssigen Beschreibung. 

Seine Themen sind die großen Sujets der Literatur: Einsamkeit, Krankheit, Tod. Sie spielen in der Schweiz, in Schweden und New York. Stamms Könnerschaft setzt ein, wenn es darum geht, alltägliche Kleinigkeiten sehr genau zu beobachten, die, ohne dass er es explizit erwähnen muss, zu den großen, oft tödlichen, Konsequenzen im Leben eines Einzelnen führen. 

In der ersten Geschichte "Am Eisweiher" treffen sich eine Gruppe Jugendlicher, um abends noch baden zu gehen. Stefanie hat eine Fahrradpanne und ihr hilfsbereiter Freund Urs radelt noch einmal ins Dorf zurück, um die nötigen Werkzeuge für die Reparatur zu holen. Währenddessen vergnügt sich die Schöne mit einem anderen Jungen beim Schwimmen. Es wird dunkel. Die beiden Schwimmer verbringen einen gemeinsamen Abend am Bootshaus und sind nicht erfreut, als Urs plötzlich auch am Bootshaus auftaucht. Keiner von ihnen sagt wenige Stunden später der Polizei, warum der Junge völlig kopflos in den See gesprungen ist, ohne an die Pfähle im Wasser zu denken, die sie alle aus ihrer Kindheit kennen. 

Der Reiz: bei Peter Stamm bleibt immer ein wesentlicher Teil der Handlung unter der Oberfläche seiner Geschichten verborgen, er lässt ihnen und dem Leser ihr Geheimnis.

Peter Stamm - Blitzeis
1999, Zürich, Arche Verlag, 136 S. 

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Fortsetzung der Leseprobe ...

»Ich hasse dieses Weib«, flüsterte Monika mir ins Ohr. Als wir am Abend in die Pizzeria neben dem Zeltplatz gingen, sahen wir Sandra und Michael vor ihrem Zelt kauern und kochen.
»Wir machen echte Abenteuerferien«, rief Sandra. »Das Essen in der Pizzeria ist sowieso nichts. Nur teuer.«
Michael sagte nichts. Die Pizzas waren wirklich nicht gut und viel zu teuer. Aber Monika äffte Sandra während des ganzen Essens nach, und wir verbrachten einen lustigen Abend.
»Mit dir kann ich viel besser lachen als mit Stefan«, sagte sie.
»Habt ihr euch deswegen getrennt?« »Nein«, sagte Monika. »Er wollte ein Kind.« »Und du?«
»Er wollte es nur aus Angst. Weil alle seine Freunde Kinder haben. Und er wohl Angst hatte, es werde immer alles so weitergehen. Und daß er allein altwerden würde. All das. So hat er das gesagt.«
»Und du?« fragte ich noch einmal.

»Am Ende ist man sowieso allein«, sagte Monika.
»Möchtest du kein Kind?«
»Nein. Ich möchte es aushalten, allein zu sein. Meinetwegen allein alt zu werden.«
Monika sagte, am liebsten hätte sie die Kanutour allein gemacht. Aber dann habe sie gelesen, man müsse das Boot an einigen Stellen über Land transportieren.
Leseprobe aus: 
Peter Stamm - Blitzeis (S.46-47)


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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© 2001

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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999-12-07

Quelle: http://www.bookinist.de 
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