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Alan bekam bald seinen Doktor und kehrte nach England zurück. Er schrieb Lawrence ein paar Briefe. Im letzten stellte er schlicht fest, er könne ihm keine ,,gehaltvollen" Briefe mehr schreiben und er, Lawrence, solle es nicht persönlich nehmen. Lawrence erkannte sofort, dass Alans Gesellschaft ihm eine Aufgabe übertragen hatte, mit der er sich nützlich machen konnte - wahrscheinlich sollte er herausfinden, wie sich verhindern ließ, dass sie von bestimmten Nachbarn bei lebendigem Leibe gefressen wurde. Lawrence fragte sich, was für eine Verwendung Amerika wohl für ihn haben würde.

Er kehrte an die lowa State zurück, erwog, sein Hauptfach zu wechseln und Mathematik zu studieren, und tat es dann doch nicht. Alle, die er deswegen befragte, stimmten darin überein, dass die Mathematik, wie die Orgelrestaurierung, etwas Schönes sei, dass jedoch von irgendetwas der Schornstein rauchen müsse. Er blieb bei den Ingenieurswissenschaften und schnitt darin immer schlechter ab, sodass die Universität ihm in seinem letzten Studienjahr schließlich nahe legte, er möge einen nützlichen Beruf wie zum Beispiel die Dachdeckerei ergreifen. Er ging umgehend vom College ab, geradewegs in die ausgebreiteten Arme der Navy.


Lesezitat nach Neal Stephenson - Cryptonomicon


Bookinists Buchtipp zu

wer Lust auf mehr Kryptologie bekommen hat: Ein ganz toller allgemeinwissenschaftlicher Sachroman dazu


Geheime Botschaften

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von Simon Singh




Sagen des 21. Jahrhunderts
Neal Stephenson - Cryptonomicon

u liebe Güte. 1200 Seiten, wer soll das lesen? Nun - einmal die Fans von Neal Stephenson, die die Auflage vor Erscheinen in den USA schon leergekauft hatten und nach der Lektüre ein wenig ernüchtert waren, da sie eigentlich einen Science Fiction erwartet und einen spannenden Kolportage-Roman nach dem Muster von Karl May erhalten haben, der in zwei Zeitebenen spielt: Einmal in Südostasien während des zweiten Weltkriegs (1943 Philippinen/USA/England) und zum anderen im Kalifornien der Gegenwart.

Worum geht's? Um Verschlüsselung! Kryptologie, Codes knacken und gegenüber dem Gegner im Vorteil sein. Und dafür lässt Stephenson drei Koryphäen in seinem Roman auftreten: Alan Turing (Brite), Lawrence Pritchard Waterhouse (Amerikaner) und Rudolph von Hacklheber (Deutscher), drei Princeton-Studenten, die sich am Vorabend des zweiten Weltkrieges über Riemann´sche Zetafunktionen, Russel´sche und Gödelsche Theoreme der Mathematik ungefähr so unterhalten können wie andere Zeitgenossen am Stammtisch über Bier oder Fußballergebnisse. Und ein wenig von ihren glanzvollen Gesprächen fällt auf den Leser ab, auch wenn er kein Mathematiker ist - zumindest wird er die Spannung erahnen, die drei Studenten befallen kann, wenn sie bei der gemeinsamen Radtour über die Wahrscheinlichkeit fachsimpeln bei der wievielten Kettenradumdrehung die Antriebskette abspringen wird. Dass Waterhouse nicht nur ein Mathegenie, sondern auch ein Orgelgenie ist, beweist er einige hundert Seiten später.

Doch zunächst zu den anderen Protagonisten des Romans: Corporal Bobby Shaftoe ist ein Marine und als solcher in kugelverseuchte Kriegshandlungen auf den Philippinen und anderswo auf der Welt verstrickt. Zufällig begegnet er 1941 sogar Goto Dengo, einem "Nip" (=Japaner), dem die Amerikaner eigentlich das Licht ausblasen sollen.

Goto Dengo ist Tiefbauingenieur und später maßgeblich beim Vergraben japanischer Goldhorte auf den Philippinen für eine kommende japanische Großoffensive nach dem Krieg beteiligt. Er wird am Ende des Buches die Person sein, die die Brücke über die Zeit schlägt: Zusammen mit dem Enkel von Waterhouse (Randy), dessen nur mäßig erfolgreiches Berufsleben in Kalifornien (Spielwelten-Programmierer, Unternehmensgründer) einen großen Teil des Romans einnimmt, wird er sich an der Bergung gigantischer Goldvorräte versuchen.
Und wozu das? Nein, nicht um nur reich zu werden, sondern um eine Vision zu finanzieren: Einen Datenhafen für das Internet, eine Insel auf der alle Chinesen, Amerikaner, Banken, Industrieunternehmen und Staaten der Welt ihre Daten und ihr e-Geld speichern können, ohne dass sie geknackt oder gestohlen werden können.

Was die Welt des Romans in sich abschließt und dem Leser einen Wissensvorteil gegenüber den Figuren im Buch verschafft ist, dass sich in der Zeit um das Jahr 2000 herum neben Randy noch andere Enkel der Protagonisten von 1935-45 tummeln. Zwar waren diese damals häufig in spannende Kriegshandlungen (U-Boot-Attacken, Stranderstürmung, Luftangriffe) verwickelt, aber ihre Handlungen waren ausschlaggebend für die politische und wirtschaftliche Entwicklung und ganz besonders für die Entwicklung des Computers und der Kryptologie. Und hier spart Stephenson nicht mit lehrreichen Abhandlungen und Skizzenmaterial oder Computerprogrammskripten. Alles ist da, was Männern Spaß macht, und das ist gleichzeitig die Achillesferse des Romans: Mädels kommen so gut wie gar nicht vor in diesem Wälzer, außer - na ja - eben für das eine .... wobei Mathematiker und Orgelspieler das auch nicht so häufig brauchen, es sei denn man ist genialer Mathematiker - dann allerdings versucht man dieses Problem in komplizierten Formeln anzupacken - ein Lesevergnügen erster Ordnung!

Für den philosophischen Tiefgang und die Ethik sorgt ein geheimnisvoller Reverend, der sich über root@pallas.eruditorium.org immer wieder einmal zu Wort meldet und selbstverständlich geht es seitenweise um Kryptologie mit und ohne Computer, jeder der sich ein wenig mit diesem Fachgebiet beschäftigt, wird viel Spaß beim Lesen haben.

Entscheidend für den Erfolg des Buches ist mit Sicherheit die Begabung des Autors ein großes Weltbild-Szenario aufzuspannen und es in kurzen und kürzesten Geschichten filigran ineinander zu verschachteln, so dass der Leser immer wieder nach dem Fortsetzungsschnippsel des aktuellen Handlungsstrang giert - das Buch nimmt regelrecht gefangen.

Und damit gelingt dem gebildeten Stephenson einmal persönlich der Übergang zur ernsthaften Literatur, zum anderen schafft er ein Stück zeitgenössischer Literatur, die zu den ersten Mythen des 21. Jahrhunderts zählen wird, wie beispielsweise die Bücher eines Jules Verne 100 Jahre vor ihm. © thomas haselberger


Neal Stephenson - Cryptonomicon
übersetzt von Juliane Gräbener-Müller und Nikolaus Stingl
Original: © 1999, Cryptonomicon
© 2001, München, Goldmann, 1180 S., 23.90 € (HC)
© 2003, München, Goldmann, 1180 S., 13.00 € (TB)



Fortsetzung des Lesezitats ...

Man unterzog ihn einem Intelligenztest. Die erste Frage im mathematischen Teil hatte mit Booten auf einem Fluss zu tun: Port Smith liegt 160 Kilometer stromaufwärts von Port Jones. Der Fluss fließt mit 8 Meilen pro Stunde dahin. Das Boot fährt mit 10 Meilen pro Stunde durchs Wasser. Wie lange braucht man von Port Smith bis Port Jones? Und wie lange für den Rückweg?

Lawrence erkannte sofort, dass es sich um eine Fangfrage handelte. Man müsste praktisch schwachsinnig sein, um von der oberflächlichen Annahme auszugehen, dass die Strömung die Geschwindigkeit des Bootes um 8 Kilometer pro Stunde erhöhen bzw. vermindern würde. 8 Kilometer pro Stunde war eindeutig nichts weiter als die Durchschnittsgeschwindigkeit. In der Mitte des Flusses wäre die Strömung schneller, an den Ufern langsamer. An Biegungen des Flusses waren noch kompliziertere Abweichungen zu erwarten. Im Grunde handelte es sich um eine Frage der Hydrodynamik, die sich unter Verwendung bestimmter wohlbekannter Differentialgleichungen angehen ließ. Lawrence vertiefte sich in das Problem und füllte dabei rasch (jedenfalls in seinen Augen) zehn Blatt Papier beidseitig mit Berechnungen. Zwischendurch ging ihm auf, dass ihn eine seiner Annahmen in Verbindung mit den vereinfachten Navier-Stokes-Gleichungen mitten in eine Untersuchung einer besonders interessanten Familie partieller Differentialgleichungen geführt hatte. Ehe er sich's versah, hatte er ein neues Theorem bewiesen. Wenn das nicht seine Intelligenz bewies, was dann?

Dann ertönte die Klingel und die Papiere wurden eingesammelt. Lawrence schaffte es, sein Schmierpapier zu behalten. Er nahm es mit ins Studentenwohnheim, schrieb es auf der Maschine zusammen und schickte es einem der zugänglicheren Mathematikprofessoren von Princeton, der prompt dafür sorgte, dass es in einer Pariser Mathematikzeitschrift veröffentlicht wurde.

Ein paar Monate später erhielt Lawrence in San Diego, Kalifornien, zwei frisch gedruckte Belegexemplare der Zeitschrift, und zwar beim Postappell an Bord eines großen Schiffes mit Namen U.S.S.Nevada. Das Schiff hatte eine Musikkapelle und die Navy hatte Lawrence den Job gegeben, darin das Glockenspiel zu spielen, weil ihre Testverfahren bewiesen hatten, dass er für alles andere nicht intelligent genug war.

Der Postsack, der Lawrences Beitrag zur mathematischen Literatur enthielt, kam gerade noch rechtzeitig an. Lawrences Schiff und ziemlich viele seiner Schwesterschiffe waren bis dato in Kalifornien stationiert gewesen. Doch in ebendiesem Moment wurden sie alle an einen Ort namens Pearl Harbor auf Hawaii verlegt, um den Nips zu zeigen, wer Chef im Ring war.

Lawrence hatte im Grunde nie gewusst, was er mit seinem Leben anfangen wollte, aber er kam rasch zu dem Schluss, dass zu Friedenszeiten Glockenspiel-Spieler auf einem Schlachtschiff in Hawaii zu sein ein ganzes Stück weit vom schlimmstmöglichen Leben entfernt war, das man führen konnte. Der unangenehmste Teil des Jobs bestand darin, dass man manchmal bei sehr warmem Wetter herumsitzen oder marschieren und gelegentlich verkorkste Töne von anderen Musikern ertragen musste. Er hatte reichlich Freizeit, die er damit Reihe neuer Theoreme auf dem Gebiet der Informationstheorie zu erarbeiten. Das Gebiet war von seinem Freund Alan erfunden und weitgehend abgehandelt worden, aber es gab noch reichlich Detailarbeit zu tun. Er, Alan und Rudi hatten einen allgemeinen Plan dessen skizziert, was noch bewiesen oder widerlegt werden musste. Lawrence raste förmlich durch diese Liste. Er fragte sich, was Alan und Rudi in England bzw~ Deutschland so trieben, aber er konnte ihnen nicht schreiben und es herausfinden, und so behielt er seine Arbeit für sich. Wenn er nicht gerade Glockenspiel spielte oder Theoreme ausarbeite, gab es Bars und Tanzveranstaltungen zu besuchen.

Waterhouse betätigte sich selbst mit seinem Penis, bekam den Tripper, wurde geheilt, kaufte Kondome. Alle Matrosen taten das. Sie glichen Dreijährigen, die sich Bleistifte in die Ohren stecken, feststellen, dass das weh tut, und damit aufhören. Lawrences erstes Jahr war im Nu vorüber. Die Zeit sauste nur so vorbei. Nirgendwo konnte es sonniger und entspannender sein als auf Hawaii. S. 31-32


Indigo

Lawrence Pritchard Waterhouse und der Rest der Kapelle stehen eines Morgens an Deck der Nevada, spielen die Nationalhymne und sehen zu, wie das Sternenbanner am Mast emporknattert, als sie sich plötzlich zu ihrer Verblüffung inmitten eines Schwarms von hundert-neunzig Flugzeugen unbekannter Bauart wiederfinden. Einige fliegen tief und in horizontaler Bahn, andere stürzen sich aus großer Höhe fast senkrecht nach unten. Letztere sind so schnell, dass man den Eindruck hat, sie fielen auseinander; kleine Stücke lösen sich von ihnen. Es ist ein schrecklicher Anblick - irgendeine heillos schief gegangene Übung. Aber sie fangen sich rechtzeitig aus ihrer selbstmörderischen Flugbahn ab. Die Stücke, die sich von ihnen gelöst haben, fallen glatt und zielgerichtet, ohne zu trudeln und zu flattern, wie es Trümmer täten. Sie regnen überall herab. Eigenartigerweise scheinen sie alle auf die vor Anker liegenden Schiffe zu zielen. Es ist unglaublich gefährlich - jemand könnte getroffen werden! Lawrence ist empört.

An einem der Schiffe weiter hinten ist ein kurzlebiges Phänomen zu beobachten. Lawrence wendet sich ihm zu, um es sich anzusehen. Es ist die erste Explosion, die er je zu Gesicht bekommt, deshalb braucht er eine ganze Weile, um sie als solche zu erkennen. Er kann auch die schwierigsten Glockenspiel-Partien mit geschlossenen Augen spielen und The Star Spangled Banner ist viel leichter zu pingen als zu singen. Sein suchender Blick heftet sich nicht an den Ausgangspunkt der Explosion, sondern an zwei Flugzeuge, die knapp über der Wasseroberfläche genau auf die Nevada zuhalten. Jedes wirft ein langes, schlankes Ei ab, dann bewegen sich deutlich erkennbar ihre Leitwerke und sie ziehen hoch und fliegen über das Schiff hinweg. Die aufgehende Sonne scheint direkt durch das Glas ihrer Kanzeln. Lawrence kann dem Piloten des einen Flugzeuges in die Augen sehen. Er bemerkt, dass es sich offenbar jemanden asiatischer Herkunft handelt.

Das Ganze ist eine unglaublich realistische Übung - bis hin zu dem Umstand, dass ethnisch passende Piloten eingesetzt und auf den Schiffen Manöver-Sprengkörper zur Explosion gebracht werden. Lawrence billigt das voll und ganz. Es ist hier einfach zu lax zugegangen.

Ein ungeheurer Stoß durchfährt das Deck des Schiffes, sodass Lawrences Füße und Beine sich anfühlen, als wäre er von einem drei Meter hohen Vorsprung auf soliden Beton gesprungen. Dabei steht er einfach nur plattfüßig da. Er kann sich das Ganze nicht erklären.

Die Kapelle ist mit der Nationalhymne fertig und betrachtet das Spektakel um sie herum. Überall, auf der Nevada, auf der nebenan liegenden Arizona und auf Gebäuden an Land heulen Sirenen und Signalhörner los. Lawrence sieht keinerlei Flugabwehrfeuer, keinerlei vertraute Flugzeuge in der Luft. Die Explosionen setzen sich einfach fort. Lawrence schlendert zur Reling hinüber und starrt über ein paar Meter offenes Wasser hinweg zur Arizona hinüber.

Wieder wirft eines der sich herabstürzenden Flugzeuge ein Projektil ab, das geradewegs auf das Deck der Arizona heruntersaust, dann jedoch seltsamerweise verschwindet. Lawrence blinzelt und sieht, dass es ein sauberes, bombenförmiges Loch in das Deck gestanzt hat, genau wie eine Figur in einem hektischen Warner-Brothers-Cartoon, die mit Höchstgeschwindigkeit durch eine ebene Fläche wie etwa eine Wand oder eine Decke bricht. Ungefähr eine Mikrosekunde lang schießt Feuer aus dem Loch, ehe das ganze Deck sich aufwölbt, zerbirst und sich in eine schwellende Kugel aus Feuer und Schwärze verwandelt. Verschwommen nimmt Waterhouse wahr, dass eine Menge Zeug rasend schnell auf ihn zukommt. Die Masse ist so groß, dass er sich eher so vorkommt, als fiele er hinein. Er erstarrt. Sie fliegt an ihm vorbei, über ihn hinweg, durch ihn hindurch. Ein schrecklicher Lärm durchbohrt seinen Schädel, ein aufs Geratewohl angeschlagener Akkord, misstönend, aber nicht ohne so etwas wie eine verrückte Harmonie. Von den musikalischen Qualitäten abgesehen ist das Geräusch so verflucht laut, dass es ihn fast umbringt. Er schlägt sich die Hände über die Ohren.

Der Lärm bleibt, wie glühend heiße Stricknadeln durch die Trommelfelle. Er taumelt davon weg, doch der Lärm folgt ihm. Lawrence trägt einen dicken, breiten Gurt um den Hals, der auf Unterleibshöhe zusammengenäht ist und einen Becher hält. In diesem Becher steckt die Mittelstange seines Glockenspiels, das wie ein leierförmiger Brustharnisch mit flauschigen, lustig baumelnden Troddeln an den oberen Ecken vor ihm steht. Eigenartigerweise brennt eine der Troddeln. Mit dem Glockenspiel stimmt allerdings so Einiges nicht, doch was genau, kann er nicht recht ausmachen, weil ihm ständig etwas die Sicht verdeckt, das er alle paar Augenblicke wegwischen muss. Er weiß nur, dass das Glockenspiel ein riesiges Quantum Energie aufgenommen hat und in einen unglaublichen Extremzustand versetzt worden ist, wie er mit einem solchen Instrument noch nie erreicht wurde; es ist ein brennendes, glühendes, gellendes, dröhnendes, strahlendes Monstrum, ein Komet, ein Erzengel, ein an seinen Körper geschnallter Baum aus brennendem Magnesium, der auf seinem Unterleib steht. Diese Energie wird über die summende, brummende Mittelachse und durch den Becher in seine Genitalien übertragen, die unter anderen Umständen anschwellen würden.

Lawrence streift einige Zeit ziellos über das Deck. Irgendwann muss er helfen, für ein paar Männer eine Luke zu öffnen, und dabei wird ihm bewusst, dass er sich immer noch die Ohren zuhält, und das schon seit geraumer Zeit, außer wenn er sich die Augen auswischt. Als er die Hände herunter nimmt, ist das Dröhnen verstummt und er hört keine Flugzeuge mehr. Eigentlich will er sich unter Deck flüchten, weil die üblen Dinger vom Himmel regnen und er gern ein Stück dickes, schweres, haltbar erscheinendes Material zwischen sie und sich brächte, aber eine Menge Seeleute vertreten die gegenteilige Ansicht. Er hört, dass sie von einem, vielleicht auch zwei Dingern getroffen worden sind, deren Name sich auf "Torpedo" reimt, und dass sie versuchen, Dampf aufzumachen. Offiziere und Unteroffiziere, schwarz und rot von Rauch und Blut, ordnen ihn in einem fort zu verschiedenen, extrem dringenden Aufgaben ab, die er nicht recht versteht, und dies nicht zuletzt deshalb, weil er sich immer wieder die Ohren zuhält.

Es vergeht vielleicht eine halbe Stunde, ehe ihm der Gedanke kommt, sein Glockenspiel loszuwerden, das ihn letztlich nur noch behindert. Die Navy hat es mit jeder Menge eindringlicher Warnungen vor den Konsequenzen eines Missbrauchs an ihn ausgegeben. Lawrence ist in solchen Dingen durchaus gewissenhaft, was auf seine Orgelspielprivilegien in West Point, Virginia, zurück geht. Aber in diesem Augenblick, während er da steht und die Arizona brennen und untergehen sieht, sagt er sich zum ersten Mal in seinem Leben schlicht: Ach, was soll's. Er nimmt das Glockenspiel aus der Halterung und wirft einen letzten Blick darauf, denn es ist das letzte Mal in seinem Leben, dass er ein Glockenspiel anfassen wird. Es hat ohnehin keinen Sinn mehr, es noch aufzuheben, wie ihm nun klar wird; mehrere Platten sind verbogen. Er dreht es herum und stellt fest, dass sich geschwärzte, verbogene Metallbrocken in mehrere Platten eingeschweißt haben. Nun läßt er jede Vorsicht außer Acht und wirft das Instrument in der ungefähren Richtung der Arizona über Bord, eine Militärleier aus brüniertem Stahl, die tausend Männer auf dem Grund des Hafens zur ewigen Ruhe singt.

Während das Glockenspiel in einem Flecken brennendem Öl verschwindet, trifft die zweite Welle angreifender Flugzeuge ein. Die Fliegerabwehr der Navy eröffnet endlich das Feuer, lässt Granaten auf die umliegende Gebäudeansammlung regnen und jagt bewohnte Häuser in die Luft. Er sieht menschenförmige Flammen, verfolgt von Leuten mit Decken, durch die Straßen laufen.

Den Rest des Tages schlagen sich Lawrence Pritchard Waterhouse und der Rest der Navy mit der Tatsache herum, dass viele zweidimensionale Strukturen auf diesem und anderen Schiffen, die verhindern sollen, dass verschiedene Fluide (z.B. Treibstoff und Luft) sich vermischen, Löcher haben, dass darüber hinaus eine Menge Zeug brennt und reichlich verqualmte Verhältnisse herrschen. Bestimmte Gegenstände, die (a) in horizontaler Lage verbleiben und b) schwere Dinge abstützen sollen, haben aufgehört, das eine wie das andere zu tun.

Es gelingt den Leuten im Maschinenraum der Nevada, in ein paar Kesseln Dampf aufzumachen, und der Kapitän versucht, das Schiff aus dem Hafen zu bringen. Sobald es sich in Bewegung setzt, wird es Ziel eines konzertierten Angriffs, vorwiegend durch Sturzkampfbomber, die darauf aus sind, es in der Einfahrt zu versenken und so den Hafen insgesamt zu blockieren. Um dies nicht geschehen zu lassen, setzt der Kapitän das Schiff schließlich auf Grund. Leider hat die Nevada mit den meisten anderen Schiffen gemeinsam, dass sie eigentlich nicht darauf ausgelegt ist, von einer stationären Position aus zu operieren, und erhält infolgedessen drei weitere Treffer von Sturzkampfbombern. Alles in allem ist es somit ein recht aufregender Vormittag. Als Angehöriger der Kapelle, der nicht einmal mehr ein Instrument besitzt, hat Lawrence recht vage umrissene Aufgaben und er verbringt mehr Zeit, als er sollte, damit, die Flugzeuge und die Explosionen zu betrachten. Er ist auf seinen früheren Gedankengang betreffend Gesellschaften und ihre Bemühungen, sich gegenseitig auszustechen, zurückgekommen. Während sich Welle auf Welle japanischer Sturzkampfbomber mit kalligraphischer Präzision auf das Schiff wirft, auf dem er steht, und die Creme der Kriegsmarine seines Landes, praktisch ohne Widerstand zu leisten, verbrennt, explodiert und versinkt, wird ihm ganz klar, dass seine Gesellschaft ein, zwei Dinge wird überdenken müssen.

Irgendwann verbrennt er sich an etwas die Hand, und zwar die rechte, was weniger schlimm ist - er ist Linkshänder. Außerdem wird ihm deutlicher bewusst, dass ein Teil der Arizona versucht hat, ihn zu skalpieren. Nach Pearl-Harbor-Maßstäben sind das geringfügige Verletzungen und er bleibt nicht lange im Lazarett. Der Arzt weist ihn daraufhin, dass die Haut an seiner Hand sich möglicherweise zusammenziehen und die Beweglichkeit seiner Finger einschränken wird. Sobald er imstande ist, die Schmerzen auszuhalten, beginnt Lawrence, auf seinem Schoß Bachs Kunst der Fuge zu spielen, wann immer er nicht anderweitig beschäftigt ist. Die meisten dieser Stücke beginnen einfach; man kann sich leicht vorstellen, wie der alte Johann Sebastian an einem kalten Morgen in Leipzig auf der Bank sitzt - ein, zwei Blockflöten-Register herausgezogen, drüben in der Ecke ein, zwei pummelige Chorknaben, die sich an den Blasebälgen ins Zeug legen, dazu ein leises Ächzen aus sämtlichen Lecks in der Mechanik - und wie seine rechte Hand ziellos über die abschreckende Schlichtheit des Manuals für das Hauptwerk gleitet und auf der Suche nach irgendeiner Melodie, die er nicht schon erfunden hat, die rissigen, vergilbten Elefantenstoßzähne streichelt. Im Augenblick tut Lawrence das gut und so lässt er seine rechte Hand die gleichen Bewegungen durchlaufen wie die Hand Johanns, obwohl die Hand bandagiert ist und er ein umgedrehtes Tablett als Ersatz für die Tastatur verwendet und die Musik leise summen muss. Wenn er sich richtig hineinsteigert, gleiten und stampfen seine Füße auf imaginären Pedaltasten unter den Laken hin und her und seine Zimmernachbarn beschweren sich.

Er wird binnen weniger Tage aus dem Lazarett entlassen, gerade rechtzeitig, um zusammen mit dem Rest der Kapelle der Nevada einer neuen Verwendung zugeführt werden zu können. Für die Personalexperten der Navy war das ersichtlich eine ziemlich harte Nuss. Diese Musiker sind (unter dem Gesichtspunkt des Japaner-Kaltmachens) zunächst einmal völlig nutzlos. Vom 7. Dezember an haben sie nicht einmal mehr ein funktionierendes Schiff und die meisten haben ihre Klarinetten verloren.

Trotzdem geht es nicht nur darum, Granaten zu befüllen und Abzüge zu betätigen. Keine große Organisation kann auf systematische Weise Nips umbringen, ohne eine fast unglaubliche Menge von Schreib- und Ablagearbeit zu bewältigen. Es ist logisch, davon auszugehen, dass sich Männer, die Klarinette spielen können, bei dieser Art von Arbeit auch nicht dämlicher anstellen als andere. Und so werden Waterhouse und ade Musikerkollegen zu einer Einheit abkommandiert, bei der es sich um eine der Schreib- und Ablageabteilungen der Navy zu handein scheint.

Sie ist in einem Gebäude, nicht auf einem Schiff untergebracht. Es gibt nicht wenige Navy-Angehörige, die für den Gedanken, in einem Gebäude zu arbeiten, nur Hohn übrig haben, und Lawrence und einige andere Frischlinge haben sich in ihrem Anpassungseifer angewöhnt, die gleiche Haltung an den Tag zu legen. Doch nun, da sie gesehen haben, was mit einem Schiff passiert, wenn man darauf, darin und darum herum Hunderte von Pfund hochexplosiven Sprengstoff zur Detonation bringt, revidieren Waterhouse und viele andere ihre Ansichten zur Arbeit in Gebäuden. Sie melden sich mit hoher Moral an ihrem neuen Einsatzort.

Ihr neuer befehlshabender Offizier ist weniger erheitert, und jedermann in der gesamten Abteilung scheint seine Gefühle zu teilen. Man empfängt die Musiker, ohne sie willkommen zu heißen, und man grüßt sie, ohne ihnen Ehre zu bezeigen. Die Leute, die bereits in dem Gebäude arbeiten - alles andere als übermäßig beeindruckt davon, dass die Neuankömmlinge bis vor kurzem nicht nur auf einem richtigen Schiff gearbeitet, sondern sich auch in ummittelbarer Nähe von Dingen befunden haben, die brannten, explodierten etc., und zwar nicht aufgrund routinemäßiger Beurteilungsfehler, sondern weil böse Menschen bewusst dafür gesorgt haben - scheinen nicht der Ansicht zu sein, dass Lawrence und seine Kollegen es verdienen, mit dieser neuen Arbeit betraut zu werden, worin sie auch bestehen mag.

Niedergeschlagen, ja fast verzweifelt bringen der befehlshabende Offizier und seine Untergebenen die Musiker irgendwie unter. Obwohl man nicht genug Schreibtische für alle hat, bekommt jeder zumindest einen Stuhl an einem Tisch oder einer Arbeitsplatte. Bei der Suche nach einem Plätzchen für jeden Neuankömmling legt man eine ziemliche Findigkeit an den Tag. Es wird deutlich, dass diese Leute sich alle Mühe geben, obwohl sie die Aufgabe von vornherein für hoffnungslos halten.

Dann ist die Rede von Geheimhaltung. Es ist sehr viel davon die Rede. Sie absolvieren Übungen, mit denen ihre Fähigkeit, Dinge richtig wegzuwerfen, geprüft werden soll. Das geht lange Zeit so, und je länger es sich fortsetzt, ohne dass ihnen der Grund dafür erklärt würde, desto rätselhafter kommt es ihnen vor. Die Musiker, die sich zunächst ein wenig über den frostigen Empfang geärgert haben, fangen an, untereinander darüber zu spekulieren, in was für einen Laden sie hier geraten sind.

Eines Morgens schließlich versammelt man sie in einem Klassenzimmer vor der saubersten Tafel, die Waterhouse je gesehen hat. Die letzten paar Tage haben ihm gerade so viel Paranoia eingeflößt, dass er den Verdacht hat, sie ist aus einem ganz bestimmten Grund so sauber - das Sauberwischen von Tafeln ist in Kriegszeiten nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Sie sitzen auf kleinen Stühlen mit daran befestigten Schreibplatten, und zwar solchen, die für Rechtshänder gedacht sind. Lawrence legt sich seinen Schreibblock auf den Schoß, lagert sodann seine bandagierte Rechte auf der Schreibplatte und beginnt, eine Melodie aus der Kunst der Fuge zu spielen und dabei vor Schmerzen Grimassen zu schneiden und zu ächzen, als seine verbrannte Haut sich dehnt und über die Knöchel gleitet.

Irgendwer stupst ihn an der Schulter. Er schlägt die Augen auf und sieht, dass er der einzige Mensch im Raum ist, der sitzt; auf dem Podium steht ein Offizier. Lawrence erhebt sich und sein schwaches Bein gibt beinahe nach. Als er sich vollends aufgerappelt hat, sieht er, dass der Offizier (wenn es sich überhaupt um einen Offizier handelt) nicht in Uniform ist. Weit davon entfernt. Er trägt einen Bademantel und raucht Pfeife. Der Bademantel ist außerordentlich abgetragen, und zwar nicht wie beispielsweise ein Krankenhaus- oder Hotelbademantel, der häufig gewaschen wird. Das Ding hier ist schon lange nicht mehr gewaschen, aber dafür intensiv benutzt worden. Die Ellbogen sind durchgewetzt und die Unterseite des rechten Ärmels ist aschgrau und schmierig von Graphit, weil sie Zehntausende von Malen auf dicht mit Bleistiftschrift, Härte 2, bedeckten Blättern hin und her gefahren ist. Der Frotteestoff sieht nach Schuppen aus, aber das hat nichts mit Abblätterungen der Kopfhaut zu tun; die Flöckchen sind viel zu groß, und außerdem zu geometrisch: rechteckige und runde Pünktchen, herausgestanzt aus Karten bzw. Bändern. Die Pfeife ist längst ausgegangen und der Offizier (oder was immer er ist) tut nicht einmal so, als mache er sich Gedanken darum, sie wieder anzuzünden. Sie ist einfach nur dazu da, dass er etwas zum Daraufbeißen hat, was er so heftig tut wie ein Infanterist aus dem Bürgerkrieg, dem gerade ein Bein abgesägt wird.

Irgendein anderer Mensch - einer, der sich tatsächlich die Mühe gemacht hat, sich zu rasieren, zu duschen und eine Uniform anzuziehen - stellt den Bademantelträger a la Commander Shane, geschrieben S-C-H-O-E-N, vor, doch Schoen will nichts davon wissen; er kehrt ihnen den Rücken zu und zeigt so die Rückseite seines Bademantels, die um den Hintern herum bis zur Durchsichtigkeit eines Negligees abgewetzt ist. Aus einem Notizbuch ablesend, schreibt er in deutlicher Schrift Folgendes an die Tafel:

19 17 17 19 14 20 23 18 19 8 12 16 19 8 3
21 8 25 18 14 18 6 3 18 8 15 18 22 18 11

Ungefähr zu dem Zeitpunkt, wo die vierte oder fünfte Zahl an der Tafel erscheint, spürt Waterhouse, wie sich ihm die Nackenhaare sträuben. Bis die dritte Fünfergruppe dasteht, ist ihm aufgefallen, dass keine Zahl größer als 26 ist - das entspricht der Anzahl der Buchstaben des Alphabets. Sein Herz klopft wilder als in den Momenten, da japanische Bomben in parabelförmiger Fallkurve auf das Deck der auf Grund gelaufenen Nevada zuflogen. Er zieht einen Bleistift aus der Tasche. Da er kein Papier zur Hand hat, schreibt er die Zahlen von 1 bis 26 auf die Oberfläche der Schreibplatte.

Als der Mann im Bademantel die letzte Zahlengruppe hingeschrieben hat, befindet sich Waterhouse schon mitten in der Häufigkeitszählung. Er schließt sie ab, als der Bademantel gerade ungefähr so etwas sagt wie "für Sie sieht das vielleicht nach einer sinnlosen Zahlenreihe aus, aber für einen japanischen Marineoffizier bedeutet sie vielleicht etwas ganz Anderes." Dann lacht der Mann nervös, schüttelt traurig den Kopf, reckt entschlossen das Kinn und betet eine ganze Litanei emotionsgeladener Ausdrücke herunter, von denen kein einziger hier angemessen ist.

Waterhouses Häufigkeitszählung ist schlicht eine Strichliste, die angibt, wie oft jede Zahl auf der Tafel vorkommt. Sie sieht folgender maßen aus:

1 2 3 // 4 5
6 / 7 8 //// 9 10
11 12 13 14 // 15 /
16 /1 17 // 18 ////// 19 //// 20 /
21 22 / 23 24 25 /
26

Das Interessanteste daran ist, daß zehn der möglichen Symbole (nämlich 1,2,4, 5, 7,9, 10, 13, 24 und 26) überhaupt nicht vorkommen. Die Mitteilung weist nur sechzehn verschiedene Zahlen auf. Angenommen, jede dieser Zahlen steht für einen, und nur einen, Buchstaben des Alphabets, so hat die Mitteilung (wie Lawrence im Kopf ausrechnet) 111136315345735680000 mögliche Bedeutungen. Das ist eine komische Zahl, denn sie beginnt mit vier Einsen und endet mit vier Nullen; Lawrence kichert, wischt sich die Nase und macht weiter.

Die häufigste Zahl ist 18. Sie steht wahrscheinlich für den Buchstaben E. Wenn er überall, wo er eine 18 sieht, ein E in die Mitteilung einsetzt, dann -
Nun ja, um ehrlich zu sein, müsste er die ganze Mitteilung noch einmal schreiben und dabei E für 18 setzen, und das würde lange dauern und wäre womöglich vergeudete Zeit, weil er ja falsch geraten haben könnte. Wenn er dagegen seine Wahmehmung einfach derart modifiziert, dass sie 18 als E auffasst - ein Vorgang, der ihm in etwa der Betätigung der Koppeltaste an einer Orgel gleichzukommen erscheint so sieht er, wenn er zur Tafel schaut, vor seinem geistigen Auge Folgendes:

19 17 17 19 14 20 23 E 19 8 12 16 19 8 3
21825E14 E63E8 15E22E11
was nur noch 10103301995066880000 mögliche Bedeutungen hat. Auch das ist wegen all der Einsen und Nullen eine komische Zahl - aber das ist ein vollkommen bedeutungsloser Zufall.

"Die Wissenschaft der Herstellung von Geheimcodes heißt Kryptographie", sagt Commander Schoen, "und die Wissenschaft ihrer Entschlüsselung heißt Kryptoanalyse." Dann seufzt er, hat sichtlich mit einigen stark entgegengesetzten Gemütszuständen zu kämpfen und schleppt sich resigniert durch die Pflichtübung, diese Begriffe auf ihre Wurzeln zurückzuführen, die entweder im Lateinischen oder im Griechischen liegen (Lawrence passt nicht auf, es ist ihm egal, er sieht nur flüchtig das schlichte Wort KRYPTO in handgroßen Druckbuchstaben).

Die Eröffnungssequenz "19 17 17 19" ist eigenartig. 19 ist, zusammen mit 8, die zweithäufigste Zahl auf der Liste. 17 ist nur halb so häufig. Vier Vokale oder vier Konsonanten hintereinander kommen nicht vor (es sei denn, es handelt sich um deutsche Wörter), also ist entweder 17 ein Vokal und 19 ein Konsonant oder umgekehrt. Da 19 in der Mitteilung häufiger (nämlich viermal) vorkommt, ist es eher der Vokal als 17 (das nur zweimal vorkommt). A ist der häufigste Vokal nach E, wenn er also davon ausgeht, dass 19 A ist, erhält er

A1717A14 2023EA8 1216A83
21825E14 E63E8 15E22E11
Das engt die Zahl der möglichen Antworten ziemlich ein, nämlich auf bloße 841941782922240000. Er hat den Lösungsbereich bereits um einige Größenordnungen verkleinert!

Schoen hat sich mittlerweile in beunruhigend heftigen Schweiß geredet und stürzt sich fast körperlich in einen historischen Überblick über die Wissenschaft der KRYPTOLOGIE, wie man die Verschmelzung von Kryptographie und Kryptoanalyse nennt. Es ist die Rede von einem Engländer namens Wilkins und einem Buch mit dem Titel Cryptonomicon, das dieser vor Hunderten von Jahren geschrieben hat, aber Schoen streift (vielleicht weil er die Intelligenz seiner Zuhörer nicht allzu hoch einschätzt) den historischen Hintergrund nur sehr flüchtig und springt von Wilkins direkt zu Paul Revere und dessen "Eine für den Landweg, zwei für den Seeweg"-Code. Er macht sogar einen nur Kennern begreiflichen mathematischen Scherz darüber, dass dies eine der frühesten praktischen Anwendungen der binären Notation sei. Lawrence wiehert und schnaubt pflichtschuldig und erntet dafür einen entsetzten Blick des Saxophonisten, der vor ihm sitzt.

Zu Beginn seiner Ansprache hat Schoen erwähnt, dass die Mitteilung (im Rahmen eines offenbar fiktiven Szenarios, das man sich ausgedacht hat, um diese mathematische Übung für einen Haufen Musiker, von denen man annimmt, dass ihnen die Mathematik scheißegal ist, interessanter zu gestalten) an einen japanischen Marineoffizier gerichtet sei. Angesichts dieses Kontextes kann Lawrence nur vermuten, dass das erste Wort ATTACK, also Angriff, lautet. Das würde bedeuten, dass 17 für T steht, 14 für C und 20 für K. Als er diese Buchstaben einsetzt, erhält er

ATTAC K23EA8 1216A83
21T25EC E63E8 15E22E11
und der Rest ist so offensichtlich, dass er sich nicht die Mühe macht, es auszuschreiben. Unwillkürlich springt er auf. Er ist so aufgeregt, dass er seine schwachen Beine vergisst und über ein paar benachbarte Stühle stürzt. Das macht einen Heidenkrach.

,,Haben Sie ein Problem, Seemann?" fragt einer der Offiziere in der Ecke, einer, der sich tatsächlich die Mühe gemacht hat, eine Uniform anzuziehen.

,,Sir! Die Mitteilung lautet ,Attack Pearl Harbor December Seven!' Sir!", brüllt Lawrence und setzt sich wieder. Vor Aufregung zittert er am ganzen Leib. Adrenalin hat die Herrschaft über seinen Körper und seinen Geist angetreten. Er könnte auf der Stelle zwanzig Sumoringer erdrosseln.

Commander Schoen bleibt vollkommen ungerührt, außer dass er ein einziges Mal ganz langsam blinzelt. Er wendet sich an einen seiner Untergebenen, der, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, an der Wand steht, und sagt: ,,Besorgen Sie dem da eine Kopie des Cyryptonomicon. Und einen Schreibtisch - so nahe bei der Kaffeemaschine wie möglich. Und wo Sie gerade dabei sind, befördern Sie den Kerl doch auch gleich."

Die Bemerkung über die Beförderung ist, wie sich herausstellt, entweder militärischer Humor oder ein weiterer Beleg für Commander Schoens geistige Labilität. Von dieser kleinen komischen Einlage abgesehen ist die Geschichte von Waterhouse in den zehn Monaten ab diesem Zeitpunkt nicht sehr viel komplizierter als die Geschichte einer Bombe, die soeben aus dem Bauch eines sich herabstürzenden Flugzeugs ausgeklinkt worden ist. Was ihm an Hindernissen im Weg steht (das Durchackern des Cryptonomicon, das Knacken des Meteorologischen Codes der japanischen Luftwaffe, das Knacken der Maschinenchiffre für den Angriff im Korallenmeer, das Knacken des Unbenannten Japanischen Schiffstransport-Codes 3A, das Knacken des Codes des Ministeriums für die Großostasiatische Wirtschaftssphäre) bietet etwa so viel Widerstand wie die aufeinander folgenden Decks einer wurmzerfressenen Holzfregatte. Binnen weniger Monate schreibt er sogar neue Kapitel des Cryptonomicon. Die Leute reden davon, als handele es sich um ein Buch, aber es ist keines. Es handelt sich im wesentlichen um eine Zusammenstellung sämtlicher Papiere und Notizen, die sich in dem Zeitraum von etwa zwei Jahren, die Commander Schoen nun schon in Station Hypo *, so die offizielle Bezeichnung, stationiert ist, in einer bestimmten Ecke seines Schreibtisches angesammelt haben. Es ist alles, was Commander Schoen über das Knacken von Codes weiß, und das bedeutet, alles, was die Vereinigten Staaten von Amerika wissen. Dieses Wissen könnte jederzeit vernichtet werden, wenn ein Hausmeister für ein paar Minuten ins Zimmer käme und einmal gründlich aufräumte. S. 85-95 ,

(* "Hypo" steht militärisch für den Buchstaben H. Waterhouse, der helle Junge, folgert daraus, dass es mindestens sieben weitere geben muss: Alpha, Bravo, Charlie etc.)


Mädchen

Wohnungen sind in Brisbane, das zu einer Goldgräberstadt der Spione - Bletchley Park Down Under - geworden ist, immer schwer zu finden. Da gibt es das Central Bureau, das seine Zelte auf der Rennbann von Ascot aufgeschlagen hat, und in einem anderen Stadtteil einen anderen Verein namens Allied Intelligence Bureau. Die Leute, die im Gentral Bureau arbeiten, sind in aller Regel blässliche Mathematikexperten. Die AlB-Leute dagegen erinnern Waterhouse sehr stark an die Burschen von Abteilung 2702: wachsam, wettergegerbt und wortkarg.

Eine halbe Meile von der Rennbahn entfernt sieht er einen der letzteren mit einem fünfhundert Pfund schweren Seesack auf dem Rücken leichtfüßig die Treppe einer hübschen Lebkuchen-Pension hinunterhüpfen. Der Mann ist für eine längere Reise angezogen. Eine großmütterliche Frau mit Schürze steht auf der Veranda und winkt ihm mit einem Geschirrtuch nach. Das Ganze gleicht einer Filmszene; man könnte nicht ahnen, dass sich nur ein paar Flugstunden entfernt Menschen wie Fotopapier in einer Entwicklerschale schwärzen, während ihr lebendiges Fleisch von Clostridium-Bakterien in fauliges Gas verwandelt wird.

Waterhouse hält nicht inne, um die Wahrscheinlichkeit dafür abzuschätzen, dass er, der einen Platz zum Wohnen braucht, zufällig genau in dem Moment vorbeikommt, in dem ein Zimmer frei wird. Kryptoanalytiker warten auf glückliche Zufälle und nutzen sie dann aus. Nachdem der abreisende Soldat um die Ecke verschwunden ist, klopft er an die Tür und stellt sich der Frau vor. Mrs. McTeague sagt (soweit Waterhouse aus ihrem Akzent schlau werden kann), dass ihr sein Gesicht sympathisch sei. Sie hört sich deutlich erstaunt an. Wie es scheint, ist die Unwahrscheinlichkeit, dass Waterhouse zufällig auf dieses freie Zimmer gestoßen ist, nichts im Vergleich mit der Unwahrscheinlichkeit, dass Mrs. McTeague sein Gesicht sympathisch findet. Und so stößt Lawrence Pritchard Waterhouse zu einer kleinen Elitegruppe junger Männer (insgesamt vier), deren Gesichter Mrs. McTeague sympathisch findet. Sie schlafen, jeweils zu zweit, in den Zimmern, in denen Mrs. McTeagues Nachwuchs von den klügsten und schönsten Kindern, die jemals geboren wurden, zu den prächtigsten Erwachsenen auf Gottes Erde, ausgenommen der König von England, der General und Lord Mountbatten, heranwuchs.

Waterhouses neuer Zimmergenosse ist im Moment nicht in der Stadt, aber nach einem flüchtigen Blick auf seine persönliche Habe vermutet Waterhouse, dass er in einem schwarzen Kajak von Australien zum Flottenstützpunkt Yokosuka paddelt, wo er sich an Bord eines Schlachtschiffes schleichen und dessen gesamte Mannschaft geräuschlos mit bloßen Händen umbringen wird, um sodann mit einem olympiareifen Kopfsprung in die Bucht zu springen, ein paar Haie auszuknocken, wieder in seinen Kajak zu klettern und auf ein Bier nach Australien zurückzupaddeln.

Am nächsten Morgen, beim Frühstück, lernt er die Burschen vom Zimmer nebenan kennen: einen rothaarigen britischen Marineoffizier, der sämtliche Merkmale eines im Central Bureau Beschäftigten aufweist, und einen Burschen namens HaIe, dessen Nationalität sich nicht bestimmen lässt, weil er zu verkatert ist, um etwas zu sagen.

Nachdem er (seiner Übereinkunft mit den Trabanten des Generals zufolge) seinen Auftrag erledigt, eine Wohnung gefunden und seine anderen persönlichen Angelegenheiten geregelt hat, beginnt Waterhouse, um die Rennbahn von Ascot und das angrenzende Bordell herumzulungern, und versucht eine Möglichkeit zu finden, sich nützlich zu machen. Eigentlich würde er lieber den ganzen Tag in seinem Zimmer sitzen und an seinem neuen Projekt, der Konstruktion einer Hochgeschwindigkeits-Turing-Maschine, arbeiten. Aber er hat die Pflicht, zu den Kriegsleistungen beizutragen. Selbst wenn es nicht so wäre, vermutet er, würde ihn sein neuer Zimmergenosse, wenn er von seinem Einsatz zurückkäme und ihn den ganzen Tag in seinem Zimmer hocken und Diagramme zeichnen sähe, so verdreschen, dass Mrs. McTeague sein Gesicht nicht mehr sympathisch fände.

Central Bureau ist, um es milde auszudrücken, nicht gerade ein Ort, wo ein Fremder einfach hereinschneien, sich gründlich umsehen, sich vorstellen und dann eine Beschäftigung finden kann. Schon das Hereinschneien ist potenziell tödlich. Zum Glück hat Waterhouse Sicherheitsstufe Ultra Mega, die höchste Sicherheitsstufe auf der ganzen Welt.

Leider ist diese Geheimhaltungskategorie ihrerseits so geheim, dass schon ihre bloße Existenz ein Geheimnis ist und er sie demzufolge eigentlich niemandem offenbaren darf - es sei denn, er findet jemanden, der Sicherheitsstufe Ultra Mega hat. In ganz Brisbane gibt es nur ein Dutzend Leute mit dieser Sicherheitsstufe. Acht davon umfassen die Spitze der Befehlshierarchie des Generals, drei arbeiten im Central Bureau und einer ist Waterhouse.

Waterhouse spürt das Nervenzentrum in dem ehemaligen Bordell auf. Überalterte australische Territorial Guards mit flotten asymmetrischen Hüten umstehen das Gebäude, in den Händen Donnerbüchsen. Im Gegensatz zu Mrs. McTeague ist ihnen sein Gesicht nicht sympathisch. Andererseits sind sie an derlei gewöhnt: Kluge Jungs von weither erscheinen am Tor und erzählen lange und letzten Endes langweilige Geschichten darüber, wie das Militär ihre Befehle durcheinandergebracht, sie in das falsche Boot gesetzt, sie an den falschen Ort geschickt, ihnen Tropenkrankheiten angehängt, ihre Habseligkeiten über Bord geworfen und sie ihrem Schicksal überlassen habe. Sie erschießen ihn nicht, aber sie lassen ihn auch nicht herein.

Er lungert ein paar Tage dort herum und geht allen auf die Nerven, bis er schließlich Abraham Sinkov erkennt und von diesem erkannt wird. Sinkov ist ein erstklassiger amerikanischer Kryptoanalytiker; er hat Schoen geholfen, Indigo zu knacken. Er und Waterhouse sind sich ein paar Mal über den Weg gelaufen; zwar sind sie an sich nicht befreundet, aber ihr Verstand arbeitet auf die gleiche Weise. Das macht sie zu Brüdern einer sonderbaren Familie, die nur ein paar hundert über die ganze Welt verstreute Mitglieder hat. In gewisser Weise ist das eine Sicherheitsstufe, die seltener, schwerer zu kriegen und geheimnisvoller ist als Ultra Mega. Sinkov stellt ihm neue Papiere aus und gibt ihm eine Sicherheitsstufe, die sehr hoch ist, aber nicht so hoch, dass er sie nicht offenbaren kann.

Waterhouse kommt in den Genuss einer Führung. Männer in Unterhemden sitzen in Nissenhütten, in denen die rot glühenden Röhren ihrer Funkgeräte eine erstickende Hitze erzeugen. Sie pflücken die ja-panischen Armeefunksprüche aus der Luft und reichen sie an Legionen junger Australierinnen weiter, die die abgehörten Funksprüche in ETC-Karten stanzen.

Es gibt einen Kader amerikanischer Offiziere, der aus einer kompletten Abteilung der Electrical Till Gorporation besteht. Eines Tages, Anfang 1942, haben sie ihre weißen Hemden und blauen Anzüge eingemottet, Army-Uniformen angezogen und sich nach Brisbane eingeschifft. Ihr Anführer ist ein Oberstleutnant namens Comstock, der den gesamten Vorgang des Codeknackens vollständig automatisiert hat. Die von den Aussie-Mädels gestanzten Karten kommen, zu Blöcken sortiert, in den Maschinenraum, wo man sie durch die Maschinen laufen lässt. Entschlüsselte Meldungen sausen aus einem Zeilendrucker am anderen Ende heraus und werden in eine andere Baracke gebracht, wo amerikanische nisei und ein paar Weiße, die des Japanischen mächtig sind, sie übersetzen.

Ein Waterhouse ist das Letzte, was diese Leute gebrauchen können. Er versteht allmählich, was der Major neulich zu ihm gesagt hat; sie haben die Wasserscheide überschritten. Die Codes sind geknackt.

Was ihn an Turing erinnert. Seit Alan aus NewYork zurückgekommen ist, distanziert er sich von Bletchley Park. Er hat sich in eine andere Einrichtung versetzen lassen, eine Funkzentrale namens Hanslope in Nord-Buckinghamshire, einen Ort aus verstärktem Beton, Kabeln und Antennen, an dem eine militärisch-förmlichere Atmosphäre herrscht.

Damals konnte Waterhouse nicht verstehen, warum Alan von Bletchley Park weg wollte. Doch nun weiß er, wie es Alan gegangen sein muss, nachdem sie die Entschlüsselung in einen mechanischen Vorgang verwandelt und Bletchley Park industrialisiert hatten. Er muss der Ansicht gewesen sein, die Schlacht sei gewonnen, und mit ihr der Krieg. Der Rest mochte für Leute wie den General nach glorreichem Siegeszug aussehen, aber für Turing, und nun auch für Waterhouse, sieht es bloß nach Säuberungsaktion aus. Es ist aufregend, Elektronen zu entdecken und die Gleichungen zu entwickeln, die ihre Bewegungen bestimmen; es ist langweilig, mithilfe dieser Prinzipien elektrische Dosenöffner zu konstruieren. Von jetzt an geht es nur noch um Dosenöffner.

Sinkov besorgt ihm einen Schreibtisch im Bordell und beginnt ihn mit den Funksprüchen zu füttern, die das Central Bureau nicht hat entschlüsseln können. Es gibt noch immer Dutzende unbedeutenderer japanischer Codes, die noch zu knacken sind. Vielleicht kann Waterhouse, wenn er einen oder zwei davon knackt und den ETC-Maschinen beibringt, sie zu lesen, den Krieg um einen einzigen Tag verkürzen oder ein einziges Leben retten. Das ist eine vornehme Aufgabe, die er bereitwillig übernimmt, aber sie unterscheidet sich ihrem Wesen nach nicht von der eines Rettungsboot-Inspekteurs der Navy oder eines Army-Metzgers, der Leben rettet, indem er seine Messer sauber hält.

Waterhouse knackt diese unbedeutenderen japanischen Codes der Reihe nach. Einmal fliegt er sogar nach Neuguinea, wo Navy-Taucher Codebücher aus einem untergegangenen japanischen U-Boot bergen. Er lebt zwei Wochen lang im Dschungel, versucht, nicht umzukommen, kehrt nach Brisbane zurück und führt die geborgenen Codebücher einer sinnvollen, aber langweiligen Verwendung zu. Doch eines Tages wird die Langeweile seiner Arbeit irrelevant.

An diesem Tag kommt er abends in Mrs. McTeagues Pension zurück, geht auf sein Zimmer und findet dort einen stark gebauten Mann vor, der im oberen Bett schnarcht. Eine Menge Kleider und Ausrüstungsgegenstände, die einen schwefligen Gestank verströmen, liegen überall herum.

Der Mann schläft zwei Tage lang, kommt dann eines Morgens verspätet zum Frühstück herunter und starrt aus Atabrin-gelben Augen um sich. Er stellt sich als Smith vor. Sein merkwürdig vertrauter Akzent ist dadurch, dass seine Zähne heftig klappern, nicht eben leichter zu verstehen. Es scheint ihn nicht sonderlich zu stören. Er nimmt Platz und krallt sich mit einer Hand, die steif und wund ist, eine Serviette aus irischem Leinen auf den Schoß. Mrs. McTeague macht ein derartiges Getue um ihn, dass sämtliche Männer am Tisch an sich halten müssen, um sie nicht zu schütteln. Sie gießt ihm Tee mit reichlich Milch und Zucker ein. Er nimmt ein paar Schlucke, entschuldigt sich dann und geht auf die Toilette, wo er sich kurz und höflich übergibt. Er kommt zurück, isst aus einem Eierbecher aus feinem Porzellan ein weichgekochtes Ei, läuft grün an, lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und schließt für ungefähr zehn Minuten die Augen.

Als Waterhouse an diesem Abend von der Arbeit zurückkommt, tappt er ins Wohnzimmer und stört Mrs. McTeague beim Teetrinken mit einer jungen Dame.

Die junge Dame heißt Mary Smith; sie ist die Cousine von Waterhouses Zimmergenossen, der oben in seinem Etagenbett schlottert und schwitzt.

Um sich vorstellen zu lassen, steht Mary auf, was strenggenommen nicht nötig wäre; aber sie kommt aus dem Outback und kann mit geziertem Getue nichts anfangen. Sie ist eine grazile junge Frau in Uniform.

Sie ist die einzige Frau, die Waterhouse je gesehen hat. Genau genommen ist sie der einzige andere Mensch im Universum, und als sie aufsteht, um ihm die Hand zu geben, verdunkelt sich sein peripheres Blickfeld, als habe er an einem Auspuffrohr gesaugt. Schwarze Vorhänge schieben sich vor ein silbernes Cyclorama und verengen seinen Kosmos uaf einen senkrechten Strahl von kohlenbogenhaften Glanz, eine Lichtsäule, einen auf SIE gerichteten Verfolgerscheinwerfer.

Mrs. McTeague, die weiß, was gespielt wird, bittet ihn Platz zu nehmen. S. 624-629


Glory

Mit bloßer Brust, den Körper mit Tarnfarbe beschmiert, in der Hand das Kampfmesser, die 45er Colt in den Bund seiner Khakihose gesteckt, bewegt sich Bobby Shaftoe wie eine Dunstwolke durch den Dschungel. Als er den japanischen Armeelastwagen, der von den faserigen, eng beieinander stehenden Stämmen einiger Dattelpalmen eingerahmt wird, deutlich sehen kann, bleibt er stehen. Eine Schützenlinie von Ameisen krabbelt über die Haut seines in einer Sandale steckenden Fußes. Er ignoriert sie.

Das Ganze sieht sehr nach einer Pinkelpause aus. Zwei japanische Gefreite steigen aus dem Lkw und besprechen sich kurz. Einer von ihnen watet in den Dschungel. Der andere lehnt sich an den Kotflügel des Lkw und zündet sich eine Zigarette an. Ihre glühende Spitze ist ein Widerschein des Sonnenuntergangs hinter ihm. Der im Dschungel lässt die Hose herunter, hockt sich hin und lehnt sich an einen Baumstamm, um zu scheißen.

In diesem Moment sind sie überaus verwundbar. Der Gegensatz zwischen der Helligkeit des Sonnenuntergangs und der Düsternis des Dschungels macht sie fast blind. Der Scheißende ist hilflos, der Rauchende wirkt erschöpft. Bobby Shaftoe streift seine Sandalen ab. Er tritt hinter dem Lkw aus dem Dschungel auf die Straße hinaus, macht auf von Ameisen zerbissenen Füßen ein paar rasche Schritte vorwärts, duckt sich hinter der Stoßstange des Lkws. Leise gleitet die Waffe aus seiner Tasche. Ohne den Blick von den Füßen des Rauchenden zu wenden - sie sind unter dem Fahrgestell des Lkws zu sehen -, zieht er die Rückseite der Waffe ab und klatscht sie an die Ladeklappe des Lkws. Dann klebt er, bloß um es ihnen ganz deutlich unter die Nase zu reiben, gleich noch eine daneben. Auftrag ausgeführt! Da hast du, Tojo!

Gleich darauf ist er wieder im Dschungel und schaut dem japanischen Lkw nach, der nun zwei rot-weiß-blaue Aufkleber mit der Aufschrift ICH KOMME WIEDER! spazieren fährt. Bobby beglückwünscht sich zu einem weiteren erfolgreichen Einsatz.

Lange nach Einbruch der Dunkelheit erreicht er das Hukbalahap-Lager auf dem Vulkan. Er arbeitet sich zwischen den Sprengfallen des äußeren Sicherheitsrings hindurch und macht, wahrend er sich nähert, viel Lärm, damit die Huk-Wachen nicht im Dunkeln auf ihn schießen. Aber er hätte sich die Mühe sparen können. Die Disziplin ist zusammengebrochen, sie sind alle betrunken und werden immer betrunkener, und zwar wegen einer Meldung, die sie über Funk gehört haben: Mac Arthur ist zurückgekehrt. Der General ist auf Leyte gelandet.

Bobby Shaftoes Reaktion besteht darin, dass er einen Topf starken Kaffee braut und ihn ihrem Funker Pedro einzuflößen beginnt. Während das Koffein seine Zauberwirkung entfaltet, schnappt sich Shaftoe einen Notizblock samt Bleistiftstummel und schreibt zum siebten Mal seine Idee nieder: ES BESTEHT GELEGENHEIT FIL-AMERIKANISCHE ELEMENTE IN CONCEPCION ZU KONTAKTIEREN UND ZU UNTERSTÜTZEN STOP MELDE MICH FREIWILLIG STOP ERWARTE ANWEISUNGEN STOP GEZ SHAFTOE.

Er bringt Pedro dazu, das Ganze zu verschlüsseln und zu senden. Danach kann er nur warten und beten. Diese Scheiße mit den Aufklebern muss aufhören.

Er war tausendmal in Versuchung, zu desertieren und auf eigene Faust nach Concepcion zu gehen. Aber dass er draußen in der Wildnis mit einer Bande Huk-Irregulärer zusammensteckt, heißt noch lange nicht, dass er außer Reichweite der Militärgerichtsbarkeit ist. Deserteure können immer noch erschossen oder aufgehängt werden, und obwohl er in Schweden selbst einer war, ist Bobby Shaftoe davon überzeugt, dass sie das auch verdienen.

Concepcion liegt unten im Flachland nördlich von Manila. Von den höher gelegenen Stellen der Zambales Mountains aus kann man die Stadt zwischen den grünen Reisfeldern liegen sehen. Dieses Flachland wird nach wie vor völlig von den Nips beherrscht. Doch wenn Der General landet, wird er es - genau wie die Nips bei ihrer Invasion 41 - wahrscheinlich nördlich von hier, im Lingayen GuIf, tun und dann liegt Concepcion genau auf der Mitte seiner Route nach Manila. Er wird dort ein Paar Augen brauchen.

Und tatsächlich kommt ein paar Tage später der Befehl: TREFFEN SIE TARPON PUNKT 5 GRÜN 5 NOVEMBER STOP S. 910

Lesezitate nach Neal Stephenson - Cryptonomicon





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