. Verantwortung kann ich keine übernehmen. Ich unterschreibe ja nicht mal!> Dann tippte er mit dem Zeigefinger auf die Zahlungsaufforderung. "Aber gottlob geht's um den Onkel Ihrer Frau. Also erst mal getrennte Veranlagung beantragen." Dann setzte er hinzu: "Und bitten Sie das Finanzamt um Stundung. Reden Sie mit Ihrer Bank! Das ist alles hinzukriegen, Herr Semmeling, alles hinzukriegen."
Er machte sich Notizen, doch die fielen, als die Sekretärin nach Semmelings Abgang Ihm die Unterschriftenmappe vorlegte, in den Papierkorb.
Als Bruno Semmeling fünf Minuten später wieder auf der Straße stand und frische Luft schnappte, wusste er immer noch nicht, wie es nun eigentlich hinzukriegen sein sollte.
Und er hatte auch nicht den Eindruck, dass Dr. Bossel es wusste. Das Einzige, was ihm jetzt als Trost noch blieb, war die Wohnung in Dresden: Wenigstens mit der sparte er kräftig Steuern. Das Geld warf er dem Finanzamt nicht auch noch in den Rachen!
Axel Ropert hatte Silke und Sigi Karten für die Opernpremiere geschickt. Er wollte Silke wiedersehen und mit Sigi reden. Charly hatte angekündigt, der hätte ihm etwas zu sagen.
Die Musiker stimmten ihre Instrumente, die Besucher suchten ihre Plätze. Als Klaus Hennig und Doris Berg kamen, standen mehrere Premierengäste auf, um dem Bürgermeister die Hand zu schütteln. Hennig nickte Walter Wegener zu, der kühl zurückgrüßte. Sigi bemerkte er nicht.
Sigi schaute vom Balkon hinunter und murmelte: "Wir hätten vielleicht doch vorher noch was essen sollen. "
Silke streichelte seinen Rücken. "Hast du Hunger? Nachher in der Pause kriegst du ein Würstchen."
Silke war gut gelaunt. Sigi verzog das Gesicht und kratzte sich am Hals. "Mein Smokinghemd muss bei der Wäsche eingegangen sein", sagte er gereizt.
" Oder du bist dicker geworden. Also doch kein Würstchen in der Pause", stichelte Silke.
Unten im Parkett entdeckte Sigi einen massigen, älteren Mann
- Walter Wegener "Der Königsmacher!", sagte Sigi ehrfürchtig. "Der ist schon Senator seit... ich weiß nicht, wie lange. Ich glaube, der war schon immer Senator"
" Beton-Walter? Helga hat mir von ihm erzählt. Gnadenlos in Machtfragen, eine richtige Walze. Aber mit unerschöpflichen Möglichkeiten, seine Freunde in Lohn und Brot zu bringen. " Sie ließen ihre Blicke über die Besucher im Parkett schweifen, um weitere Größen der Stadt auszumachen.
Vicky Fleming bat den Senator Walter Wegener noch für einen Augenblick zurück ins Foyer. Dort wartete Axel Ropert auf ihn. Hennig beobachtete das besorgt. War sein schroffes Verhalten nicht ein folgenschwerer Fehler gewesen?
Das Licht wurde gedimmt, der Dirigent trat ans Pult. Die Zuschauer klatschten, der Vorhang hob sich.
"Ich schlaf bei Opern regelmäßig ein, aber Susanne besteht darauf", grinste Ropert.
"Du hast eine kultivierte Frau", erwiderte Wegener. Er blieb so stehen, als wolle er gleich wieder in den Saal zurück.
"Klar. Bloß ist kultiviert verdammt anstrengend. Leb mal mit so was!" Ropert versuchte, dem Gespräch eine leichte Note zu verleihen. Doch für ihn ging es jetzt um alles oder nichts.
Die Ouvertüre begann. Die beiden Männer wussten, was zu besprechen war, und zogen sich auf eine kleine Bank zurück, die um die Ecke stand. Vicky Fleming bezog Posten im Foyer, damit niemand unbemerkt zuhören konnte. Ropert eröffnete: "Hennig hat über die Bestechungskiste Bescheid gewusst, bevor er auf Jamaika landete. "
"Na und?", fragte Walter achselzuckend. "Er hat sie nicht gebilligt."
"Er hat in der Bürgerschaft gelogen", gab Ropert zu bedenken.
"Wer will das beweisen? "
"Es gibt immer einen Informanten im Hintergrund."
"Der bereit ist, Selbstmord zu begehen? Sich zu demaskieren?", fragte Wegener höhnisch. Er hustete. Dann zog er ein Taschentuch heraus und tupfte sich die Stirn trocken.
Ropert fragte besorgt: "Gesundheitlich geht's wieder? "
"Prächtig!", behauptete Walter. "Ich hatte einen Leistenbruch. Nichts Schlimmes. Hab zu viel mit den Enkeln rumgespielt. Aber jetzt bin ich wieder voll auf dem Damm."
Ropert nickte nachdenklich. "Fein!", sagte er. Dann kam er zum eigentlichen Punkt: "Nach der Wahl wird's ohne Koalitionspartner voraussichtlich nicht gehen. Bist du sicher, dass du im nächsten Senat sitzt? Hat dir Klaus Hennig schon ein Angebot gemacht?"
Wegener schwieg einen Augenblick. Hennig hatte ihm tatsächlich noch kein Angebot gemacht. Er zog einen Zettel aus der Tasche und sagte beiläufig: "Falls Klaus das Handtuch wirft - noch ist er in Amt und Würden, und vielleicht sollten wir die Leiche nicht verscharren, solange sie noch atmet -, aber mal rein hypothetisch." Er reichte Ropert den Zettel. "Das ist eine Liste von ein paar tüchtigen Leuten, die dir nützlich wären. Neun Staatsratsanwärter, sieben Senatoren."
"Nun lass die Kirche im Dorf, Walter", wehrte Ropert ab. Aber er war durchaus beeindruckt von Wegeners Machtwillen.
"Auf meine Art oder gar nicht! " Das war eine offene Drohung. "Du brauchst Leute, die dir in der Partei den Rücken stärken. Ich bin schon lange in der Politik. Es gibt nichts Traurigeres als einen Bürgermeister mit nur einer Amtszeit. Weißt du, warum? Weil vier Jahre zu kurz sind, um irgendwas zu bewegen. Genau in dem Moment, wo du wirklich was durchziehen kannst, musst du dein Büro schon wieder für einen anderen räumen. Und alles ist dahin. "
Axel Ropert schwieg. Nach einer Weile sagte er: "Fünf Staatsräte. Vier Senatorenposten. Inklusive du selbst. Du bleibst natürlich."
"Wenn du darauf bestehst", sagte Wegener kokett.
"Das Ressort suchst du dir aus. Jedes. Außer Arbeit und Soziales. Das ist für Ullrich Jansen reserviert. "
Walter Wegener dachte einen Augenblick nach. "Vielleicht ist Klaus tatsächlich ein bisschen lang am Ruder. Vielleicht braucht die Partei frisches Blut - und Hamburg einen Wechsel. "
Ropert strahlte. Er streckte Wegener die Hand hin, der schlug ein. Die beiden Männer erhoben sich und gingen auseinander.
Als es zur Pause wieder hell wurde, kniff Sigi benommen die Augen zusammen. Er war lange nicht mehr in der Oper gewesen. Hatte er nun Kunst erlebt - oder die Verschwendung von Steuergeldern? Er war nicht sicher. Aber er war froh, die Karte nicht selbst bezahlt zu haben.
Alle trafen sich im Foyer.
Axel Ropert flüsterte seiner Frau zu: "Wir kriegen, was wir wollen."
"Du hast ihn auf deiner Seite? Wie hast du das gedeichselt?", fragte Susanne verblüfft.
Ropert trank sein Champagnerglas leer und ließ sich von Vicky Fleming ein neues reichen. "Etwas für ihn, etwas für mich", erklärte er sein Geheimrezept.
"Aber mehr für dich?", fragte Susanne. Sie kannte doch ihren Axel.
"Für Hamburg!", korrigierte der gespielt empört.
Charly begrüßte seine Freunde Silke und Sigi Semmeling. "Silke, du siehst toll aus! Warum hab ich bloß die Zeit nicht besser genutzt, die dein Mann sich auf Jamaika rumgetrieben hat? So eine attraktive Frau ganz alleine!"
"Du hast dir nur unnötige Anstrengungen erspart, Charly", gab Silke zurück. Sie lächelte dabei und hakte sich zufrieden bei Sigi ein.
"Wir hätten ein Wochenende nach Mallorca fliegen können", phantasierte Charly. "Schwimmen, Sonne tanken."
S. 127-131
Lesezitate nach Dieter Wedel, Ulrich Hoffmann - Die Affäre Semmeling