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Paradies ?
Liza Marklund - Paradies

hematisch schließt sich Liza Marklunds neuer Krimi "Paradies", mit der unbequemen Journalistin Annika Bengtzon in der Hauptrolle, an ihren zuletzt veröffentlichten Roman "Studio 6" nahtlos an. In der zeitlichen Chronologie folgt einige Jahre später der in Deutschland zuerst erschienene Krimi "Olympisches Feuer". Dies als kleiner Hinweis für Leser, die es vorziehen, Bücher eines Autors in der richtigen Reihenfolge zu lesen. - Super spannend sind sie alle drei.

Als Annika Bengtzon in der Redaktion des »Abendblatt« von einer Frau einen Anruf erhält, die ihr gerne einmal die neue Stiftung "Paradies" vorstellen möchte, wird sie hellhörig. »Es geht um Menschen, die isoliert sind, [... ] die Morddrohungen erhalten, um ihr Leben bangen. Wie sehr sie sich auch verstecken, es gibt immer jemanden oder etwas, das dafür sorgt, dass man sie aufstöbern kann - ein Sachbearbeiter auf dem Sozialamt, ein Gericht, ein Bankkonto, ein Kindergarten.... «

Eine Organisation, die sich darauf spezialisiert hat, verfolgte Menschen einfach verschwinden zu lassen. Und zwar ohne Spuren zu hinterlassen. Ihre Dateien werden gelöscht, sie bekommen ein neues Leben und alle notwendigen Kontakte zu Banken, Ärzten oder Rechtsanwälten werden von der Stiftung übernommen. Auf den ersten Blick eine gute Sache, befindet Annika.

Annikas Zweifel mehren sich allerdings, nachdem sie einer jungen Frau aus Bosnien, Aida, die von einem Killer verfolgt wird, die Telefonnummer der Organisation genannt hat und Aida wenige Tage später stirbt. Wurde sie verraten? Wer verbirgt sich hinter der Stiftung mit dem wohlklingenden Namen "Paradies" wirklich? Hilfe bei ihren Recherchen erhält die hartnäckige Journalistin unerwartet von staatlicher Stelle. Thomas Samuelsson, der Sozialkämmerer ist nicht bereit, überhöhte Rechnungen der Stiftung »Paradies« zu begleichen. Doch Thomas hilft Annika nicht nur beruflich mit wichtigen Infos weiter, er versetzt ihr Privatleben auch in gehörigen Aufruhr.

Die gute Kombination von politischen Geschichten, die direkt aus den Schlagzeilen der aktuellen Tageszeitungen stammen könnten, zusammen mit den persönlichen Ups and Downs der sympathischen Journalistin Annika Bengtzon, das verleiht den schwedischen Thrillern von Liza Marklund ihren Reiz. Und dafür verdient sie ihren Platz in den oberen Ränge der Bestsellerlisten. © manuela haselberger


Liza Marklund - Paradies
Originaltitel: Paradiset, 2000
Übersetzt von Paul Berf

© 2002, Hamburg, Hoffmann und Campe, 430 S., 23.90 € (HC)
© 2003, Reinbeck, Rowohlt, 430 S.,    9.00 € (TB)
© 2002, Hamburg, Hoffmann und Campe, 4 CDs., 29.90 € (CD)
© 2002, Hamburg, Hoffmann und Campe, 4 MCs., 29.90 € (MC)






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PROLOG Die Zeit ist abgelaufen, dachte sie. So ist es also, wenn man stirbt. Sie schlug mit dem Kopf auf den Asphalt auf, ihr Bewusstsein trübte sich. Die Angst verschwand zusammen mit der Wahrnehmung von Geräuschen. Es herrschte Stille.
Ihre Gedanken waren ruhig und klar. Bauch und Geschlecht pressten sich auf die Erde, Eis und Schotter an Haar und Wange.
Wie eigentümlich doch alles sein konnte, wie wenig man im Grunde vorhersehen konnte. Wer hätte ahnen können, dass es ausgerechnet hier geschehen würde? An einer fremden Küste, hoch im Norden.
Dann sah sie den Jungen wieder vor sich, seine ausgestreckten Arme, empfand das Entsetzen, hörte die Schüsse, wurde von Tränen und dem Gefühl der eigenen Unvollkommenheit erfüllt.
»Verzeih«, flüsterte sie. »Verzeih mir meine Feigheit, meine erbärmliche Unfähigkeit.«

Plötzlich spürte sie wieder den Wind. Er schmerzte, zerrte an ihrer großen Tasche. Die Geräusche kehrten zurück, ihr Fuß tat weh. Sie wurde sich der Kälte und der Feuchtigkeit bewusst, die durch ihre Jeans krochen. Sie war nur gestolpert, nicht getroffen worden. Ihr Kopf leerte sich wieder, bis nur ein einziger Gedanke blieb. Weg hier.
Sie stemmte sich hoch auf alle viere, der Wind warf sie wieder zu Boden> sie stand auf. Die umstehenden Gebäude machten die Windböen unberechenbar, sie fuhren, vom Meer kommend, die Straße herauf wie unbarmherzige Stockschläge. Ich muss hier weg. Sofort.

Sie wusste, dass der Mann irgendwo hinter ihr war. Er versperrte ihr den Weg zurück in die Stadt, sie saß fest.
Ich darf nicht im Scheinwerferlicht stehen bleiben. Ich muss fort. Fort! Eine neuerliche Windbö verschlug ihr den Atem. Sie schnappte nach Luft, drehte ihr den Rücken zu, noch mehr gelbe Scheinwerfer, die aus all dem Schäbigen Gold machten, wo sollte sie hin?
Sie nahm die Tasche und lief mit dem Wind im Rücken auf ein Gebäude zu, dessen Längsseite parallel zum Wasser verlief. Ein langer Ladekai führte daran vorbei. Der Wind hatte einiges Gerümpel umgeweht, was zum Teufel war das? Eine Treppe? Ein Schornstein! Möbel. Ein gynäkologischer Behandlungsstuhl. Ein Ford-T. Das Cockpit eines Kampfflugzeugs.
Sie schwang sich auf den Kai hinauf, riss die Tasche hoch, kreuzte zwischen Badewannen und Schulbänken hindurch und verkroch sich hinter einem alten Schreibtisch.
Er findet mich, dachte sie. Es ist nur eine Frage der Zeit. Er wird niemals aufgeben. Sie kauerte sich zusammen wie ein Embryo, schwankend, keuchend, nass von Schweiß und Straßendreck. Begriff dass sie in die Falle gegangen war. Hier kam sie nicht mehr weg. Er brauchte nur zu ihr zu kommen, den Revolver an ihren Hinterkopf zu setzen und abzudrücken.
Vorsichtig lugte sie an den Schubladen vorbei, konnte aber nichts sehen außer Eis und Lagerhallen, die in gelbes Scheinwerfergold getaucht waren. Ich muss warten, dachte sie. Ich muss herausfinden, wo er ist. Dann erst kann ich versuchen abzuhauen.
Nach ein paar Minuten taten ihr die Kniekehlen weh. Ober- und Unterschenkel wurden taub, die Fußgelenke brannten, besonders das linke. Sie musste es sich bei ihrem Sturz verstaucht haben. Blut tropfte aus einer Wunde an der Stirn auf den Kai. Dann sah sie ihn. Er stand an der Kaikante, drei Meter von ihr entfernt, sie sah sein markantes Profil im Dunkeln vor dem gelben Lichtschein. Der Wind trug sein Flüstern zu ihr.
»Ajda.«

Sie krümmte sich zusammen und schloss fest die Augen, machte sich klein, zu einem unsichtbaren Tier.
»Aida, ich weiß, dass du hier bist.«
Sie atmete mit offenem Mund und wartete. Der Wind war auf seiner Seite, machte seine Schritte lautlos. Als sie das nächste Mal aufschaute, ging er auf der anderen Seite der breiten Straße am Zaun entlang, die Waffe diskret unter der Jacke in Bereitschaft. Sie atmete schneller, in unregelmäßigen Schüben, ihr wurde schwindlig. Als er um die Ecke und in das blaue Lagerhaus hineinglitt, stand sie auf, sprang auf den Asphalt hinunter und lief. Ihre Füße donnerten, verräterischer Wind, die Tasche schlug gegen den Rücken, sie hatte Haare in den Augen.
Sie hörte den Schuss nicht, spürte nur, wie die Kugel an ihrem Kopf vorbeipfiff, und begann Zickzack zu laufen, schlug abrupte, willkürliche Haken. Ein neues Pfeifen, ein neuer Haken.

Plötzlich endete das Land, und die rasende Ostsee lag vor ihr. Wellen wie Segel, scharf wie Glas. Sie zögerte nur einen Moment.

Der Mann trat an die Kaikante, von der die Frau gesprungen war, und spähte auf das Meer hinaus. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, die Waffe war schussbereit. Vergeblich versuchte er, ihren Kopf zwischen den Wellen auszumachen.
Das würde sie nie schaffen. Es war zu kalt, der Wind war zu stark. Es war zu spät. Zu spät für Aida aus Bijeljina. Sie war zu groß geworden. Sie war zu einsam.
Er blieb noch einen Moment in der beißenden Kälte stehen. Der Wind schlug ihm entgegen, schleuderte Eisstücke in sein Gesicht. Das Geräusch, das der Anlasser des Scania hinter ihm machte, wurde verweht, fort, nach hinten, drang niemals zu ihm durch. Der Sattelschlepper glitt im Goldschein lautlos, spurlos davon.S. 5-7


»Ja, verdammt, wir sind kräftig dabei«, meinte das Flanellsakko und lehnte sich mit ein paar Blättern in der Hand vor. »Calel Wennergren hat einen sauguten Tipp über eine der Ministerinnen bekommen. Offensichtlich hat sie mit ihrer Dienstkreditkarte eingekauft, und zwar Windeln und Schokolade.« Die Männer wieherten, ja, zum Teufel, niemals konnten sie mii Geld umgehen! Windeln! Und Schokolade!

Schyman sah den anderen ungerührt an.
»So, so«, meinte er. »Und wo ist die Pointe?«
»Privat«, erwiderte der Mann. »Sie hat Privateinkäufe mit der Dienstkreditkarte getätigt.«
Alle nickten zustimmend, das war ein Ding!
»Okay«, sagte Schyman. »Wir werden der Sache nachgehen. Woher kam der Tipp?«
Empörtes Murmeln war zu hören, über so etwas sprach man nicht. Schyman seufzte.
»Ja, verdammt noch mal«, sagte er. »Ihr kapiert doch wohl, dass es jemanden gibt, der es darauf angelegt hat, sie fertig zu machen. Findet heraus, wer das ist. Das ist vielleicht die Pointe. Der Machtkampf innerhalb der Sozialdemokratie, wie weit sind sie bereit zu gehen, um sich vor dem Parteitag gegenseitig zu schaden. Noch etwas? Das Parlament?«
Sie gingen die einzelnen Themen durch, die in den Ressorts Politik, Unterhaltung, Ausland, Nachrichten in Arbeit waren. Die Leitartikelredaktion machte sich Notizen und gab Kommentare ab, unterschiedliche Standpunkte wurden deutlich gemacht, Richtlinien gezogen.

»Malochen und Knete?«
Der Leiter des Ressorts Arbeit & Geld schlug voller Enthusiasmus eine neue Artikelreihe zum Thema Aktienfonds vor, welche Fonds m Kommen waren und welche man besser meiden sollte, welche ethisch vertretbar waren und welche langfristige Sicherheit boten.

Überschriften wie »So machen Sie Gewinne« verkauften sich immer gut. Alle nickten, das war ganz eindeutig eine gute Sache. Alle Flanelllappen besaßen ein ordentliches Paket Wertpapiere.

»Die Kriminalredaktion?«
Sjölander räusperte sich, setzte sich mit einem Ruck auf. Beinahe wäre er auf seinem Stuhl eingenickt.
»Also gut«, sagte er, »wir haben da den Doppelmord im Freihafen, und wenn man der Polizei Glauben schenken darf, ist das erst der Anfang. Wie ihr der heutigen Ausgabe entnehmen könnt, haben wir als Einzige die Information über den verschwundenen Zigarettenlaster gebracht. Fünfzig Millionen. Sie werden sich wegen dieses Lastwagens gegenseitig umbringen.«

Alle nickten anerkennend. Das war ein gutes Thema. »Und dann haben wir da noch die Privatisierungen im öffentlichen Dienst«, meinte der Chefredakteur, dessen Stimme ein wenig heller als die der anderen war. »Arbeitet schon ein Reporter an der Sache?«

Schyman ignorierte ihn.
»Annika Bengtzon hat eine Sache am Laufen, ich weiß noch nicht, was dabei herauskommt. Sie hat irgendeine dubiose Stiftung aufgetan, die Aufgaben übernimmt, mit denen die Sozialämter überfordert sind, sie versteckt Frauen und Kinder, die Morddrohungen erhalten haben.«

Die Flanelllappen rutschten unruhig auf ihren Stühlen herum, was war das denn jetzt, was denn für eine Stiftung, das klang aber verdammt vage.
»Annika Bengtzon bringt manchmal gute Sachen, aber sie ist so verdammt fixiert auf alles, was mit Frauen und Kindern zu tun hat«, meinte Sjölander. Alle nickten, ja genau, das war eine ewige Litanei, das Thema brachte nicht viel Aufmerksamkeit, hatte keinen hohen Status, war nur schäbig und tragisch.
»Aber man darf natürlich auch nicht vergessen, wo sie herkommt«, sagte Sjölander, grinste ein wenig, und alle grinsten mit, das stimmte natürlich. Schyman beobachtete die Männer schweigend.

»Wäre die Sache besser gewesen, wenn sie bedrohte Männer verstecken würde?«, fragte er.

Man begann wieder mit den Stühlen zu rücken, auf die Uhr zu schauen, verdammt, jetzt wurde es aber langsam Zeit, etwas zu produzieren, war man nicht bald fertig? Alle brachen auf, das Radio wurde eingeschaltet, es wurde laut. Anders Schyman ging mit dem gleichen Gefühl von Frustration zu seinem Büro zurück, das ihn noch jedes Mal nach den Planungsbesprechungen überkommen hatte. Die schematische Aufteilung der Wirklichkeit durch die redaktionellen Leiter der Zeitung, ihre homogen-inzestuöse Sicht der Dinge, der entsetzliche Mangel an Selbstkritik ermüdeten ihn. Als er sich hingesetzt und die Agenturmeldungen auf den Bildschirm geholt hatte, gab es nur noch einen alles überschattenden Gedanken in seinem Kopf: Wie zum Teufel sollte das weitergehen?
S. 100-102

Lesezitate nach Liza Marklund - Paradies



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© 16.2.2002 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de