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Fortsetzung des Lesezitats ...
Als ich in Wien noch zur Schule ging, hatte ich manchmal den Eindmck, dass alle Welt in meine Stadt kam, um in den sonnlgen Cafés zu sitzen und sich an Kaffee und Kuchen und unvergleichlichen Gesprächen zu laben. Mein Schulweg führte an der Oper vorbei und über den schönen Josefsplatz und den Michaelerplatz. Ich spielte im Volksgarten und im Burggarten. Ich sah würdevolle Damen mit verwegenen Hüten auf den Köpfen und Seidenstrümpfen an den Beinen, Herren mit Spazierstöcken und goldenen Uhrketten, einfache Arbeiter aus allen Provinzen des vergangenen Habsburger-Reichs, die mit ihren kräftigen, geschickten Händen unsere prunkvollen Fassaden verputzten und bemalten. Die Läden quollen über von exotischen Früchten, Kristall und Seide. Auf Schritt und Tritt stolperte ich über neue Erfindungen. S. 21 Eine der ersten Maßnahmen der Nationalsozialisten war die kostenlose Verteilung von hunderttausend Rundfunkempfängern an österreichische Christen. Woher hatten sie diese Radios? Natürlich von uns. Gleich nach dem Anschluss mussten die Juden ihre Schreibmaschinen und Rundfunkempfänger abliefern, was den Sinn hatte, dass wir - ohne die Möglichkeit der Kommunikacion untereinander oder mit der Außenwelt - bald isoliert sein sollten und leichter zu terrorisleren und zu manipulieren wären. Es war eine gute Idee. Sie funktionierte. S. 54 Nachdem etwa 100000 der 186000 Wiener Juden es auf irgendwelchen Wegen geschafft hatten, aus dem Land zu kommen, beschlossen die Nazis, die in der Stadt Verbliebenen zu registrieren. Wir wurden unter Androhung von Gewalt gezwungen, uns auf einem Platz aufzustellen. .... Ein Lastwagen mit Gestapo-Leuten kam angefahren. Einer von ihnen sprang herunter und riss meine Mutter und mich am Arm. "Aufsteigen!", befahl er. "Wieso? Warum?" "SteIl keine dummen Fragen, du Judensau, steig auf!'' Wir wurden auf den Lastwagen gestoßen. Ich hielt Mamas Hand. Sie brachten uns zu einer SS-Dienststelle und legten uns ein Formular vor. "Sie werden beide für Landarbeit im Reich benötigt. Hier. Unterschreiben Sie. Das ist ein Vertrag." S. 76 lch unterschrieb das Papier. Es war ein Vertrag, der mich zu sechs Wochen Landarbeit in Norddeutschland verpflichtete. S. 77 Auf dem Leipziger Bahnhof wurden wir in einen Warteraum geführt, wo wir von zwei Polizisten bewacht wurden und die Anweisung bekamen, uns allen Lippenstift oder sonstlge Schminke abzuwischen. Wenn wir auf die Toilette wollten, mussten wir um Erlaubnis bitten. Dann ging die Fahrt in einem Personenzug weiter. S. 79 In Magdeburg mussten wir umsteigen und unser Gepäck eine steile Treppe hinaufschleppen. Ein Bummelzug brachte uns in eine Kleinstadt, wo wir frierend auf dem Bahnsteig standen. Die Bauern kamen - einfache, ungeschliffene Menschen, die fest entschlossen waren, sich als die Herren zu gebärden, sIch In ihrer Machtfülle aber sichtlich noch ein wenig unbehaglich fühlten. Sie beäugten uns kritisch, wie Pferde, dann teilten sie uns in Gruppen auf. Der kleinste Bauer nahm zwei, eIn paar andere gleich acht oder zehn. Ich ging mir der größten Gruppe - ich glaube, wir waren achtzehn. S. 80 Als die Zeit meiner Rückkehr nach Wien nahte, versuchte ich Pepi mitzuteilen, wie mir wirklich ums Herz war. Ich schrieb .... S. 101 "Sie fahren nicht nach Wien", sagte sie. "Sie fahren in eine Stadt am Rand des Harzes und werden dort in der Papierfabrik arbeiten. Schätzen Sie sich glücklich. Bedenken Sie, solange Sie fürs Reich arbeiten, sind Ihre Angehörigen sicher." S. 102 Wir standen auf dem Appellplatz des Arbeitslagers, angetan mit unseren saubersten Arbeitskleidern .... "Haben sie euch so herumlaufen lassen?" "Das war auf einem Bauernhof" "Also, hier werdet ihr euch anziehen müssen wie fürs Büro", sagte sie. Dann beugte sie sich vor und sprach leise weiter: "Die wollen hier den Anschein erwecken, als ob wir richtige Arbeitskräfte wären, ... " S. 104 1941 erlebte ich die bis dahin düsterste Weihnacht meines Lebens. S. 113 Meine Mutter wurde am 9. Juni 1942 deportiert. S. 127 Auf dem Türschild stand "JOHANN PLATTNER, SIPPENFORSCHER- BÜRO FÜR RASSENFRAGEN . Damals versuchten viele Leute an ein "Sippenbuch" zu kommen, einen Abstammungsnachweis der Eltern und Großeltern, aus dem hervorging, dass man seit drei Generationen Arier war. Dafur brauchten sie die Hilfe eines "Sippenforschers",eines Fachmannes in Rassenfragen. Dahin hatte Frau Doktor mich geschickt. Ich dachte, ich bin verraten worden. Herrn Plattners Sohn führte mich ins Büro. Als ich den Mann sah, zog sich mir das Herz in der Brust zusammen. Ertrug eine braune SA-Uniform mit Hakenkreuzbinde am Arm. "Sie haben Glück, dass Sie mich zu Hause antreffen", sagte er. "Morgen fahre ich nach Nordafrika zurück. So. Und nun erklären Sie mir Ihre Situation genau.'' Es gab kein Zurück. Ich erklärte ihm alles. Genau. "Haben Sie gute Freunde, die Arier sind?" "Ja." "Suchen Sie eine junge Frau, die Ihnen ähnlich sieht, die eine ähnliche Haut-, Augen- und Haarfarbe ... S. 147 Er verlangte kein Geld. Er wünschte mir Glück und verabschiedete mich. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Er hat mir das Leben gerettet. S. 149 In kaum mehr als einem Jahr war ich von der niedrigsten Kreatur im Dritten Reich - einer gesuchten jüdischen Sklavin, die sich vor dem Transport nach Polen gedrückt hatte - zu einer der angesehensten Volksgenossinnen ... S. 209 Die Russen kamen hoch zu Pferd in die Stadt geritten. S. 245 Die Russen luden mich zu einer Unterredung vor.S. 279 In Brandenburg war ich eine geachtete Gerichtsbeamtin gewesen, eine Bürgersfrau mit angemessenem _Gehalt und schöner Wohnung. Nach England kam ich als abgerissener Flüchtling mit einem Sechzig-Tage-Visum, ohne Arbeitserlaubnis, mit spärlichen Englischkenntnissen und nichts als einer Aktentasche,die eine Garnitur Unterwäsche zum Wechseln enthielt. S. 285 Lesezitate nach Edith Hahn Beer - Ich ging durchs Feuer und brannte nicht |