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Die Nacht war zum Fürchten

Die Nacht war zum Fürchten. Ein gewaltiger Donnerschlag brachte die Fensterscheiben zum Klirren und schreckte den knapp zehnjährigen Gerd Hoffer aus dem Schlaf. Im selben Augenblick spürte er, daß er dringend mußte. Das mit der schwachen Blase war eine alte Geschichte: die Ärzte hatten dem Knaben eine angeborene Nierenfunktionsstörung diagnostiziert, und Bettnässen war also etwas ganz Natürliches bei ihm. Doch sein Vater, der Bergbauingenieur Fridolin Hoffer, war auf den Ohr taub: es ließ ihm keine Ruhe, einen solchen Nichtsnutz von deutschem Sohn in die Welt gesetzt zu haben. Er war der Meinung, daß hier keine medizinische Behandlung, sondern eine feste Hand zur Stärkung der Willenskraft angesagt sei. So machte er sich jeden von Gott gewollten Morgen daran, das Bett des Sohns zu untersuchen: er lüpfte die Decke oder das Leintuch, je nach Jahreszeit, ließ die inquisitorische Hand darunter gleiten ... und stieß unweigerlich auf etwas Feuchtes. Darauf versetzte er dem Kind eine saftige Ohrfeige, auf daß die getroffene Wange anschwoll wie ein Klumpen Hefeteig. Um zumindest an diesem Morgen der Bestrafung durch die väterliche Hand zu entgehen, erhob sich Gerd in der Dunkelheit, die von Blitzen erleuchtet war, und machte sich tapsend auf den Weg in Richtung Abort. Das Herz schlug ihm bis zum Halse aus Angst vor lauernden Gefahren und Überraschungen auf seiner nächtlichen Wanderung. Einmal war ihm eine Eidechse die Beine hinaufgekrochen, und ein andermal war er mit nacktem Fuß auf einen Käfer getreten ... S. 5-6

 

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Lesezitat nach Andrea Camilleri - Die sizilianische Oper, S.


Die sizilianische Oper
Andrea Camilleri - Die sizilianische Oper

Als ehemaliger Theaterregisseur hat der berühmteste sizilianische Krimiautor Andrea Camilleri seinen neuen Roman "Die sizilianische Oper" mehrschichtig angelegt. Das gehört zum Fach.

Doch zunächst zum Plot. Am 10. Dezember 1874 brennt im kleinen verschlafenen sizilianischen Städtchen Vigata das Opernhaus. Kommissar Puglisi vermutet Brandstiftung, denn dieser geplante kulturelle Höhepunkt war von Anfang an von Schwierigkeiten begleitet.

Der neue Präfekt in Montelusa, der zu allem Unglück auch noch aus der Toskana stammt, hat nicht mit dem Starrsinn der Vigateser gerechnet. Er möchte am liebsten "das Wohlgefallen an einer Oper polizeilich verordnen." Doch sein gut gemeinter Einsatz für die Kunst scheitert schmählich. Die Oper mit dem nicht unbedingt rasend interessanten Titel "Der Bierbrauer von Preston" wird vom Publikum ab der ersten Szene boykottiert und ins Lächerliche gezogen. Die Handlung auf der Bühne wird laut und sehr unfachmännisch aus dem Zuschauerraum kommentiert, die Sänger als "Erzlangweiler" beschimpft. Wobei niemand die Oper als solche auch nur einen Deut schert. Doch keiner in Vigata lässt sich aus Montelusa irgendetwas vorschreiben. Schon gar nicht Musik.

Camilleri hat sich für den Leser einige nette Spielereien einfallen lassen. So beginnt jedes Kapitel und jeweils der erste Satz mit einer Überschrift aus bekannten Romanen. Auch die Reihenfolge der Abschnitte lässt mehr als nur eine mögliche Lesart zu. Jeder kann sich die Ereignisse um den Brand des Opernhauses selbst zusammenstellen, denn die Kapitel sind in sich abgeschlossen. Das ganze Geschehen komponiert Camilleri als eine Oper in der Oper, zum Beispiel die vielfältigen Intrigen, die eingefädelt werden, um die Aufführung zu verhindern.

Der Erzählstil ist, wie von Camilleri gewohnt, deftig und prall. Das sizilianische Leben eben. Hier nimmt keiner ein Blatt vor den Mund, und wenn es darum geht, Klartext zu reden, dann bestehen die Sizilianer darauf, lateinisch zu sprechen. Das muss man einfach wissen. Und wenn sie im Unklaren bleiben wollen? Dann weichen sie aufs Sizilianische aus, logisch, oder?


Andrea Camilleri - Die sizilianische Oper
aus dem Italienischen von Monika Lustig
Originaltitel: © 1995, "Il birraio di Preston"
2000, München, Piper Verlag, 271 S.

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Erstes Kapitel

Andere hätten aus den Ereignissen in Vigàta am Abend des zehnten Dezember achtzehnhundertvierundsiebzig, als das frisch eingeweihte Theater »Re d'Italia« wenige Stunden nach der Eröffnungsvorstellung ein Opfer der Flammen wurde, einen Roman gemacht. Nicht wenige Gelegenheiten wären dem Vorhaben eines Schriftstellers und seiner Einbildungskraft zugute gekommen, da viele Punkte schon von Anfang an sehr unklar waren und es auch im folgenden blieben. So konnte man die kühnsten und abartigsten Vermutungen anstellen.

Für mich ist es eine Pflicht, den Verführungen der Einbildungskraft nicht nachzugeben. Ich war es nämlich, der im Alter von knapp zehn Jahren als erster Alarm in Montelusa schlug und meinem armen, vor Jahren verstorbenen Vater, der als Bergbauingenieur tätig war, den Brand meldete. Mit unübertrefflichem Altruismus und allgemeinnützigen Absichten eilte er; begleitet von einigen seiner Arbeiter, nach Vigàta. Er hatte ein von ihm erfundenes Gerät bei sich, das zum Löschen von Bränden oder zumindest ihrer Eindämmung bestimmt war. Voller Sohnesstolz darf ich hier festhalten, daß der prompte Einsatz dieses Geräts dem schon stark in Mitleidenschaft gezogenen Städtchen weitere Schäden ersparte. S. 248

Wie lange wird denn das noch dauern?

»Wie lange wird denn das noch dauern? Sehen wir mal auf die Uhr«, sagte der Commendatore Restuccia. Über den Daumen gepeilt, fehlte nicht mehr viel bis zum Ende des zweiten Akts. Er drehte sich zu seiner Frau, die eingenickt war, und rüttelte an ihrem Arm. Sie fuhr zusammen und schlug die Augen auf.

»Was ist?« fragte sie erschrocken.
»Nichts, Assunta. Wenn die zwischen dem zweiten und dritten Akt fertig sind mit Singen, stehen wir auf, holen unsere Mäntel und gehen heim.«
Genau in diesem Augenblick ertönte' aus dem dritten Rang die wütende Stimme Lollò Sciacchitanos.

»Mich darf keiner für doof verkaufen, ist das klar? Nicht im Himmel und nicht auf Erden! Niemand kann das! Der muß erst noch geboren werden, der es schafft, mich zu verarschen! Seht euch das an! Vier Schwachköpfe, die singen und mich zum Narren halten wollen!«

Sein Zorn galt denen auf der Bühne, die sangen und die ihrerseits ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrten.

Wie der Blitz war Kommissar Puglisi vom Parkett, wo er sich in jenem Augenblick befand, auch schon im Gang, um in die Galerie hinaufzustürmen und sich persönlich davon zu überzeugen, was zum Teufel Lollò durch den Kopf ging. Statt dessen stieß er buchstäblich mit einem der Soldaten Villaroels zusammen, der ihn packte und an die Wand drängte. S. 166


Lesezitate nach Andrea Camilleri - Die sizilianische Oper




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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 10.5.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger