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"Gott, ich schwör's, da unten ist der größte Fisch, den ich je gesehen hab!" rief er. "Schnell! Guck! Guck, da! Da ist er!" Ich blickte zu der Stelle, auf die er zeigte, und mein Herz hüpfte vor Aufregung. Er war so lang wie mein Arm. "Gott, o Got, guck ihn dir an!" sagte der Junge. Ich starrte auf den Fisch. Er stand im Schatten eines großen Zweiges, der über das Wasser ragte. "Allmächtiger Gott", sagte ich zu dem Fisch, "wo kommst du denn her?"

"Was machen wir?" sagte der Junge. "Hätte ich bloß mein Gewehr bei mir!" "Den holen wir uns schon", sagte ich. "Gott, guck ihn dir an! Komm, wir treiben ihn ins seichte Wasser."

"Dann willst du mir also helfen? Zusammen schaffen wir´s sagte der Kleine. Der große Fisch war ein paar Meter abwärts gedriftet und lag da und bewegte langsam die Flossen in dem klaren Wasser.

"Okay, was machen wir nun?" fragte der Junge. "Ich kann ein Stückchen raufgehen, und dann wate ich dem Bach runter und bring ihn in Bewegung", sagte ich. "Du wartest an er selchten Stelle, und wenn er durchzukommen versucht, trittst du auf ihn ein, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Schaff ihn irgendwie aus Ufer, egal wie. Und dann halt ihn gut fest und Iaß ihn nicht aus den Augen."

"Okay. O Scheiße, guck ihn dir an! Guck doch, er haut ab! Wo will er hin?" schrie der Junge.

........... weiter....


Lesezitat nach Raymond Carver - Würdest du bitte endlich still sein, bitte, S.



Vorwort zu den Erzählungen

Zum ersten Mal begegnete ich Raymond Carver im Herbst 1977, bei einem jener komischen kleinen Literaturfestivals, wie sie auch heute noch an amerikanischen Universitäten stattfindenden . Eine Gruppe von Schriftstellern - Lyriker und Prosaautoren gleichermaßen - läßt sich auf einem Campus einladen (in diesem Fall handelte es sich um die Universität von Dallas), jeden Abend gibt es öffentliche Lesungen und Podiumsdiskussionen, nachmittags nimmt man an Seminaren teil, und später sitzt man bis tief in die Nacht mit alten Kollegen an der Bar im örtlichen Hilton, manchmal kommt es auch zu ausgelasseneren Feierlichkeiten, aber nie übertrieben - eigentliche bleibt immer alles Im Rahmen. Eben das, was ein Literatenleben außerhalb von New York so ausmacht.

S 9 Richard Ford - Der gute Raymond


Das Schweigen
zum Sprechen bringen

Raymond Carver - Würdest du bitte endlich still sein, bitte

Auch wenn Raymond Carver (1938 – 1988) niemand war, dem man unbesorgt eine volle Flasche Whisky oder seinen Hund für einen Spaziergang um den Block anvertrauen konnte, auf seine Storys ist Verlass.

Dies zeigt überzeugend sein erster Erzählband, 1976 von ihm selbst zusammengestellt, mit dem ihm der Durchbruch in der literarischen Szene Amerikas gelang. Darunter sind neun Erzählungen erstmals in deutscher Übersetzung zu lesen.

Carvers Spezialität, die von vielen Autoren seither nachgeahmt und nur selten erreicht wird, ist der knappe Dialog in alltäglichen Situationen. Am meisten kommt zur Sprache, während die Personen miteinander schweigen oder sich, je mehr sie reden, immer weniger sagen. John Updike dazu: "Carver bringt die Dinge in ihrem Schweigen zum Sprechen."

Die Storys brauchen keine lange Einführung. Sofort befindet sich der Leser mitten im Geschehen. Der Anruf einer fremden Frau enzieht mit einem Ruck der gesicherten Welt Arnolds den Boden. Der kurze Blick, den er im Gespräch in ihr Leben wirft, lässt ihn verstört zurück.

Oder eine nebensächliche Bemerkung zweier Restaurant-Gäste nähren bei einem Ehemann aufkeimende Zweifel an seiner Frau. Kleinigkeiten, bedeutungslos, die plötzlich hochgeschwemmt werden und eine ganze Existenz in Frage stellen.

Richard Ford, der Carver sehr gut kannte schreibt in seiner Einleitung: "Und wenn Ray in den folgenden Jahren jedermanns Lieblingsschriftsteller wurde, dann liegt das daran, dass seine Erzählungen – zu deren Hauptfiguren Ray selbst gehörte – sich mit dem Leser zwar einig waren, dass man im Leben des öfteren den Wunsch verspürt, in sein Whiskyglas zu beissen, erstes Ziel der Erzählung aber dennoch war, einen genau hiermit zu versöhnen."

Achtung: Suchtgefahr!

Raymond Carver - Würdest du bitte endlich still sein, bitte
Übersetzt von Helmut Frielinghaus
Originaltitel: Will You Please Be Quiet, Please? © 1976, ""
2000, Berlin, Berlin Verlag, 326 S.

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Ich beobachtete, wie der Fisch den Bach wieder hinaufschwamrn und dicht am Ufer innehielt. "Er schwimmt nirgendwohin. Er kann nämlich nirgendwohinn. Siehst du ihn? Er hat gewaltigen Schiß. Er weiß, daß wir hier sind. Er paddelt nur ein bißchen hin und her und guckt, wohin er schwimmen kann. Siehst du, jetzt hat er wieder aufgehört. Er kann nirgendwohin, und er weiß das. Er weiß, daß wir ihn zur Strecke bringen. Er weiß, ß er in einer beschissenen Klemme ist. Ich geh jetzt ein Stückchen rauf und scheuch ihn flußabwärts. Und du packst ihn, wenn er hier durchkommt."

"Hätte ich bloß mein Gewehr bei mir!" sagte der Junge. "Dann wär er schon erledigt."

Ich ging ein Stück flußaufwärts, und dann watete ich langsam den Bach hinunter. Im Gehen beobachtete ich das Wasser vor mir. Plötzlich schoß der Fisch vom Ufer weg, drehte genau vor mir in einem riesigen wolkigen Wasserwirbel und sauste flußabwärts.

"Da kommt er!" brüllte ich. "He, he, da kommt er!" Aber der Fisch schwang herum, bevor er an die seichte Stelle kam, und schwamm zurück. Ich planschte und brüllte, und er wendete wieder. "Er kommt! Pack ihn, pack ihn! Da kommt er!"

Aber der blöde Idiot hatte einen Knüppel, das Arschloch, und als der Fisch an die seichte Stelle kam. Schlug er mit dem Knüppel nach ihm, statt zu versuchen, den Hurensohn mit Tritten ans Ufer zu befördern, wie er es hätte tun sollen, Der Fisch drehte ab und schlitterte wie verrückt auf seiner Flanke durch das seichte Wasser. Er schaffte es. Der Kleine, das dumme Arschloch, hechtete ihm nach und schlug der Länge nach hin. S. 104- 106




Am meisten tröstet einen natürlich solch eine Erzählung selbst. Und was mich an Rays Erzählungen am stärksten beeindruckte, war auch nicht sosehr die Unmittelbarkeit, mit der sie das Leben einfingen, oder wie schrecklich oder knapp sie dieses Leben schilderten (so knapp war das gar nicht Immer), sondern wie felsenfest überzeugt er selbst davon war, daß die Kunst - daß Erzählungen das waren, was einen am ehesten über das Leben hinwegtrösten, es verschönern konnte. Im Ausmalen fiktiver Ereignisse, im Umsetzen dieser Ereignisse in eine ebenmäßige, objektive Sprache, in der genauen Wiedergabe von Gefühlen, denen wir als Leser womöglich niemals im Leben ausgesetzt sein werden, In alledem liegt eine große Befriedigung und Befreiung und Schönheit. Und wenn Ray im Lauf der folgenden Jahre jedermanns Lieblingsschriftsteller wurde, dann legt das daran, daß seine Erzählungen - zu deren Hauptfiguren Ray selbst gehörte - sich mit dem Leser zwar einig waren, daß man im Leben des öfteren den Wunsch verspürt, in sein Whiskyglas zu beißen, erstes Ziel der Erzählung aber dennoch war, einen genau hiermit zu versöhnen. Damit er- füllen sie eines der ältesten Ideale der Kunst.

S 24 Richard Ford - Der gute Raymond


Lesezitate nach Raymond Carver - Würdest du bitte endlich still sein, bitte


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 6.4.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger