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  Lesealter: 13-14 Jahre  



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Paulas fünfzehnter Geburtstag fiel auf einen strahlend blumigen Frühsommermittwoch, der vor Wärme und Licht nur so zu bersten schien. An den geöffneten Fenstern tänzelten heiter die hauchdünnen Vorhänge im Wind, es roch nach frischgemähtem Gras und den zartfarbigen Fresien aus Paulas Geburtstagsstrauß.

Adrienne hatte beschlossen, ihre jüngere Tochter mit einer kleinen Party zu überraschen und das erste Mal eine Torte gebacken, die ihr wirklich gelungen war.

"Really fantastic", schwärmte sie, während Josi mit Scheuerlappen und Schrubber bewaffnet verzweifelt dem Schmutz in der Wohnung zu Leihe rückte und sich fragte, warum Adrienne nicht einmal dazu in der Lage war, auf dem Flügel Staub zu wischen oder Julians Klebefingerspuren von den Türklinken zu entfernen. S. 5

"Sie ist nicht verrückt", tadelte Adrienne ihre ältere Tochter mit einer gezügelten, doch spürbaren Wut. "'Sie ist nur anders und muss so viel nachholen, was andere Kinder machen, wenn sie sind drei oder vier, wo Paula ihre Hände konnte noch nicht so gut bewegen wie sie!"

Danach fragte Josi ihre Mutter nie wieder um Rat, wenn es um ein Problem mit Paula ging. Paula war eben anders und das Wort behindert wurde geschickt umschifft, als wäre es eine gefährliche Klippe, an welcher die Hoffnung zerschellen könnte. S. 19


Lesezitat nach Martina Dierks - Romeos Küsse


Romeos Küsse
Martina Dierks - Romeos Küsse

Für Paulas fünfzehnten Geburtstag haben sich alle mächtig ins Zeug gelegt. Ihre Mutter mit einer selbst gebackenen Torte, Josie, die ältere Schwester, hat mit Hingabe die Wohnung auf Hochglanz gebracht, doch eine richtige Festtagsstimmung will bei Paula nicht aufkommen: "Dass ich nun fünfzehn Jahre auf dem Planeten verbracht habe, ändert nichts an der Tatsache, dass ich niemals Schlittschuhlaufen oder eine Schleife richtig binden kann."

Paula ist seit ihrer Geburt schwerstbehindert, "ein paar Sekunden Sauerstoffmangel und ein ganzes Leben war ruiniert." Aber nur weil Paula ihre Beine und Arme nur schwer unter Kontrolle hat, ist sie trotzdem ein junges Mädchen mit ganz normalen Wünschen und Sehnsüchten. Sie interessiert sich für Jungs, träumt von der ersten Liebe und möchte um jeden Preis ein selbständiges Leben führen.

Die Vorlage für Paula ist Antonia, die ebenfalls behinderte Tochter der Berliner Schriftstellerin Martina Dierks. Ihr hat sie dieses Buch gewidmet. Übrigens verdient Antonia ihr erstes eigenes Geld mit ihrem Foto auf dem gut gelungenen Buchumschlag.

Doch die Behinderung ist nur ein einziger Aspekt in "Romeos Küsse." Es geht in der Hauptsache um die Pubertät, die erste Liebe, Sexualität und Erfahrungen mit Jungs und damit hat Paulas nicht - behinderte Schwester Josie ebenso viel Probleme wie Paula selbst. Ja, noch nicht einmal die Eltern der beiden Mädchen, haben dieses schwierige Thema sicher im Griff.

Eine Stütze bei dieser emotionalen Achterbahnfahrt ist für Paula und Josie ihre Liebe zum Theater und zur Literatur. Paulas Selbstbewusstsein wächst um ein entscheidendes Stück, als ihr in der Schultheater-Aufführung eine Rolle in ihrem Lieblingsstück von Shakespeare angeboten wird. Jetzt kann sie allen zeigen, was in ihr steckt.

Ein vielschichtiges Jugendbuch, das vor allem durch seinen lebhaften Stil, der immer wieder von einem lyrischen Ton durchbrochen wird, besticht.
Lesealter ab 13 Jahren






Martina Dierks - Romeos Küsse
© 2000, Berlin, Altberliner Verlag, 301 S., 14.30 €


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Fortsetzung des Lesezitats ...

Paula weinte nicht. Was erschreckend für alle war. (Immer beunruhigt das besonders, was die Regeln verletzt.) Denn Paula lachte. Ja, sie lachte. "Ich lache mich tot", dachte sie. "Ich lache mich einfach tot!" Keiner ahnte, dass Paula sich die Schuld an Brunos Tod gab. Sie hätte die Zeichen erkennen und ernst nehmen müssen. Dieses Gerupfe Tag für Tag und sein gelegentliches schnabelhackendes lrresein. Nun, Papageien waren eben so. Besonders die Intelligenten, deren Unglück darin bestand, dass Menschen kaum etwas so sehr begeistern konnte wie ein Tier, das den Eindruck erweckte, sie zu verstehen. Eines aber, das in der Lage war, so zu sprechen, wie Menschen sprachen, war doppelt und dreifach verflucht! S. 111

Plötzlich spürte Paula einen unerklärlichen Widerwillen gegen Lennys Besuch. Das, was bis jetzt dem Zufall überlassen war, bekam nun klare Umrisse und eine andere Bedeutung, so dass Lenny buchstäblich zu einer greifbaren Wirklichkeit wurde, die die Möglichkeit vieler Enttäuschungen in sich barg. Dass er die Einladung angenommen hatte, hieß ja noch lange nicht, dass er ein echtes Interesse an Paula hatte. Adriennes Charme konnte vermutlich nicht einmal ein Junge in seinem Alter widerstehen. Möglicherweise langweilte er sich mit seinen Eltern, die wie die meisten Eltern eben älter und allein deswegen entsprechend uninteressant waren. Ein Kind der Familie Prinz zu sein bedeutete nämlich auch, von anderen dafür bewundert zu werden, dass man einen Vater hatte, der bekannten amerikanischen Schauspielern in ihren Filmen seine deutsche Stimme lieh. Wie die meisten auf der Schule wusste sicherlich auch Lenny davon und hatte sich vielleicht nur aus diesem einen Grund in ihre Nähe gewagt. `Warum musste er hier auftauchen`, dachte Paula, `warum ist plötzlich alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe?` S. 147

Es war nicht nur Eifersucht, die Paula Unbehagen bereitete, sondern die Tatsache, dass Pru sich in einen völlig anderen Menschen zu verwandeln schien. Seit den Sommertagen am Meer, wo sie so unerwartet Lenny begegnet war, ahnte Paula, welche Kraft eine Liebe besitzen konnte. Gefühle dieser Art verwirrten und zogen einem den Boden unter den Füßen weg. Für Paula um ein Vielfaches schlimmer als für jeden anderen, der diesem Zauber erlag, hatte sie sich doch jeden Millimeter sicheres Land mühsam erkämpfen müssen.

"Du wolltest doch immer unabhängig sein", sagte Paula. "Aber Paulakind! Man muss doch seine Unabhängigkeit nicht aus dem Grund verlieren, bloß weil man mit jemandem zusammenlebt", rief Pru eine Spur zu schnell und auch ein wenig verärgert. "Wenn du erst einmal so weit bist, dann wirst du merken, dass dieses Gefühl, das Mann und Frau miteinander verbindet, das Schönste ist, was ein Mensch erleben kann!" S. 154


Josi blickte in den Spiegel, um die Länge ihrer Wimpern zu überprüfen. Hatte sich in das Blau ihrer Augen nicht so ein rätselhaftes Funkeln gemischt? Außerdem schienen sich um die Mundwinkel feine Linien gesponnen zu haben. Zeichen der Reife und einer Veränderung, die Josi für zwangsläufig hielt, nachdem sie nun mit Leon geschlafen hatte. (Arme und Haar, ineinander verschlungene Beine, wie empfindlich ihre Zehen auf eine Berührung reagierten, Schweiß, der in kleinen Perlen auf der Haut hockte, der intensive Geruch des Lebens, warm und klebrig, angefüllt mit Millionen von Möglichkeiten, erregende Neugier beim Überschreiten der Grenze, die Josi von sich selbst getrennt hatte. Eine Sekunde Schmerz, der sich in einem kurzen überraschten Schrei entlud und Josi war frei!) Doch die Erdkugel war nicht aus ihrer Bahn geraten und eine weit von ihrem sommerlichen Zenit entfernte Sonne verstrahlte kein glorioses, sondern müdes Winterlicht, das wie verdünnte Milch durch das Fenster hereinfloss. S. 230

Lesezitate nach Martina Dierks - Romeos Küsse


© 8.10.2000 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de