Paula weinte nicht. Was erschreckend für alle war. (Immer beunruhigt das besonders, was die Regeln verletzt.) Denn Paula lachte. Ja, sie lachte. "Ich lache mich tot", dachte sie. "Ich lache mich einfach tot!" Keiner ahnte, dass Paula sich die Schuld an Brunos Tod gab. Sie hätte die Zeichen erkennen und ernst nehmen müssen. Dieses Gerupfe Tag für Tag und sein gelegentliches schnabelhackendes lrresein. Nun, Papageien waren eben so. Besonders die Intelligenten, deren Unglück darin bestand, dass Menschen kaum etwas so sehr begeistern konnte wie ein Tier, das den Eindruck erweckte, sie zu verstehen. Eines aber, das in der Lage war, so zu sprechen, wie Menschen sprachen, war doppelt und dreifach verflucht!
S. 111
Plötzlich spürte Paula einen unerklärlichen Widerwillen gegen Lennys Besuch. Das, was bis jetzt dem Zufall überlassen war, bekam nun klare Umrisse und eine andere Bedeutung, so dass Lenny buchstäblich zu einer greifbaren Wirklichkeit wurde, die die Möglichkeit vieler Enttäuschungen in sich barg. Dass er die Einladung angenommen hatte, hieß ja noch lange nicht, dass er ein echtes Interesse an Paula hatte. Adriennes Charme konnte vermutlich nicht einmal ein Junge in seinem Alter widerstehen. Möglicherweise langweilte er sich mit seinen Eltern, die wie die meisten Eltern eben älter und allein deswegen entsprechend uninteressant waren. Ein Kind der Familie Prinz zu sein bedeutete nämlich auch, von anderen dafür bewundert zu werden, dass man einen Vater hatte, der bekannten amerikanischen Schauspielern in ihren Filmen seine deutsche Stimme lieh. Wie die meisten auf der Schule wusste sicherlich auch Lenny davon und hatte sich vielleicht nur aus diesem einen Grund in ihre Nähe gewagt.
`Warum musste er hier auftauchen`, dachte Paula, `warum ist plötzlich alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe?`
S. 147
Es war nicht nur Eifersucht, die Paula Unbehagen bereitete, sondern die Tatsache, dass Pru sich in einen völlig anderen Menschen zu verwandeln schien. Seit den Sommertagen am Meer, wo sie so unerwartet Lenny begegnet war, ahnte Paula, welche Kraft eine Liebe besitzen konnte. Gefühle dieser Art verwirrten und zogen einem den Boden unter den Füßen weg. Für Paula um ein Vielfaches schlimmer als für jeden anderen, der diesem Zauber erlag, hatte sie sich doch jeden Millimeter sicheres Land mühsam erkämpfen müssen.
"Du wolltest doch immer unabhängig sein", sagte Paula.
"Aber Paulakind! Man muss doch seine Unabhängigkeit nicht aus dem Grund verlieren, bloß weil man mit jemandem zusammenlebt", rief Pru eine Spur zu schnell und auch ein wenig verärgert. "Wenn du erst einmal so weit bist, dann wirst du merken, dass dieses Gefühl, das Mann und Frau miteinander verbindet, das Schönste ist, was ein Mensch erleben kann!"
S. 154
Josi blickte in den Spiegel, um die Länge ihrer Wimpern zu überprüfen. Hatte sich in das Blau ihrer Augen nicht so ein rätselhaftes Funkeln gemischt? Außerdem schienen sich um die Mundwinkel feine Linien gesponnen zu haben. Zeichen der Reife und einer Veränderung, die Josi für zwangsläufig hielt, nachdem sie nun mit Leon geschlafen hatte. (Arme und Haar, ineinander verschlungene Beine, wie empfindlich ihre Zehen auf eine Berührung reagierten, Schweiß, der in kleinen Perlen auf der Haut hockte, der intensive Geruch des Lebens, warm und klebrig, angefüllt mit Millionen von Möglichkeiten, erregende Neugier beim Überschreiten der Grenze, die Josi von sich selbst getrennt hatte. Eine Sekunde Schmerz, der sich in einem kurzen überraschten Schrei entlud und Josi war frei!) Doch die Erdkugel war nicht aus ihrer Bahn geraten und eine weit von ihrem sommerlichen Zenit entfernte Sonne verstrahlte kein glorioses, sondern müdes Winterlicht, das wie verdünnte Milch durch das Fenster hereinfloss.
S. 230
Lesezitate nach Martina Dierks - Romeos Küsse