"Dann können wir anfangen", sagte der Questore. "Es gibt eine gute Nachricht, wegen der ich Sie nicht hergebeten habe, die aber doch verdient, erwähnt zu werden: Die EU hat beschlossen, daß Triest Umschlagplatz für die Türkei-Hilfe sein wird. Wir sind ohnehin der größte türkische Hafen nach Istanbul, und unsere Spediteure haben offensichtlich eine gute Lobby. Schon ab morgen werden die ersten Hilfsgüter erwartet. Der Mob VII ist groß genug. Aber der Fernverkehr wird deutlich zunehmen, und es wird nicht ohne Staus abgehen. Die Stadt kann zeigen, daß sie gut organisiert ist, und wird vermutlich am Unglück der anderen viel Geld verdienen.
Aber der eigentliche Grund dieser Besprechung ist die extreme Zunahme illegaler Einwanderung an unseren Grenzen im Nordosten. Allein in diesem Monat verzeichnen wir fünfzig Prozent mehr Festnahmen als im Vorjahr. Seit die Behörden in Apulien ihre Maßnahmen verstärkt haben, suchen die Schleuser nach Alternativen. An die Dunkelziffer will ich gar nicht denken. Betroffen ist die ganze Grenze bis Villach, aber ausgerechnet unser Abschnitt, von Muggia bis Gorizia, scheint von großem Interesse zu sein. Der Karst ist in vielerlei Hinsicht ideal. Ich habe Sie hergerufen, meine Herren, weil wir unsere Kräfte koordinieren und die Kontrollen verstärken müssen."
Am Tisch saßen der Colonello der Carabinieri, der Maggiore der Guardia di Finanza, der Primo Dirigente der Vigih Urbani für die Stadtpolizei, ein Maggiore der Guardia Costiera und Commissario Laurenti von der Polizia Statale S. 80
Dann war eine unbemerkte Landung unmöglich. Die Küste des Triestiner Golfs wurde immer wieder für illegale Transporte genutzt. Die italienischen Behörden hatten ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Verbindung zwischen Albanien und Apulien gelegt, eine Strecke, die mit schnellen Booten in höchstens zwei Stunden zu machen war und vor allem von der Mafia zum Schmuggel von Zigaretten und Menschen genutzt wurde. Nach Norden schleuste man erst seit kurzem auf dem Seeweg. Hier rechneten die Behörden kaum damit. Die Strecke schien zu abgelegen, war keine klassische Balkanverbindung, und der Golf von Triest war überdies mit einem undurchlässigen Radarnetz überzogen. Die dunkelblauen Schlauchboote brauchten für Hin- und Rückweg gerade mal eine Stunde. Vom Radar wurden die Kunststoffboote nicht erfaßt. Sie hatten sich parallel zur kroatischen Küste gehalten, waren ohne Scheinwerfer, nur mit den Navigationsinstrumenten, eine knappe Meile vor der Küste gefahren, ohne in Gefahr zu geraten, anderen Schiffen zu begegnen. Kurs Nord-Nordwest vorbei an Parenzo, Cittanova d'Istria, Umago - bis zur Punta Salvore hatten sie ohnehin nicht viel zu befürchten. Erst dann, an der slowenischen Grenze, wenn sie auf Kurs Nordost zu wechseln hatten, mußten sie wachsam sein. Auf dem letzten Drittel der Strecke waren viele private Schiffe unterwegs, aber sie mußten vor allem auf die großen Schiffahrtswege in die Häfen von Capodistria und Triest achten. Viele Frachter lagen zwischen diesen Punkten vor Anker. Außerdem arbeiteten die Behörden Sloweniens und Italiens eng zusammen, um den Schiffsverkehr in diesem Teil des Meeres zu regeln. Aber es gab eine große Erleichterung: Das Leuchtfeuer des "Faro della Vittoria" von Triest ist das hellste in der nördlichen Adria. Noch auf eine Entfernung von zweiunddreißig Meilen konnte man es erkennen. S. 208
16:25 Uhr
Zumindest in einem Punkt seiner Beschreibung von Polizisten hatte Vincenzo Tremani recht, soweit es Proteo Laurenti betraf: Er war ungeduldig. Er war ungeduldig bis zum Erbrechen und hatte sich darin nie geändert. In seinem Beruf, aber auch privat. Er war es mit anderen und mit sich selbst. Als er Laura kennenlernte, war sie wegen seiner Ungeduld mehrmals vor ihm geflohen. Trotz ihrer Zuneigung zu diesem seltsamen Mann, der dem konventionellen Bild eines Polizisten schon wegen seiner Begeisterung für Malerei und Literatur nicht so recht entsprach, hatte sie lange gezögert, seinem Werben nachzugeben. Laurenti hatte seine spätere Frau mehr als ein Jahr hofiert, ihr Blumen geschickt, sie zum Essen ausgeführt, Bücher geschenkt, sie mit seinen Aufmerksamkeiten so überschüttet, daß sie eines ganz bestimmt wußte: Wenn sie sich diesem Mann hingäbe, dann ließe er sie wie ein trotziges Kind nie mehr los. Das hatte Laura auf Distanz gehalten, und Proteo hatte so sehr darunter gelitten, daß er sich immer wieder völlig zurückzog, sich in seine Bücher vertiefte und auch die engsten Freunde vor den Kopf stieß. Aber Laura ging ihm nie aus dem Kopf. Und irgendwann hatte er gewonnen, hatte sie gewonnen und sich selbst dabei fast verloren.
Nur seine Ungeduld war nicht von ihm gewichen. Auch an diesem Spätnachmittag spürte er sie, als er auf dem Weg in sein Büro an der Questura vorbeikam, wo der Leiter der mobilen Streifen seinen Dienst versah. Mit ihm, Fossa, hatte er eine Rechnung offen. Fossa, davon war Laurenti überzeugt, hatte ihm einen Prügel in die Speichen geworfen. Laurenti hatte ihm blind vertraut und war dafür bitter bestraft worden.S. 250
Lesezitate nach Veit Heinichen - Gib jedem seinen eigenen Tod