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Im Sommer heizen sich ihre Körper auf. Die Hitze sickert durch die Poren ihrer nackten Haut. Helles Licht dringt in ihre Dunkelheit. Ich stelle mir vor wie es in ihrem Innern umherwogt und sie erregt. Ich denke an die dunkle, glänzende Flüssigkeit unter ihrer Haut. Sie ziehen ihre Sachen aus, all die dicken, hochgeschlossenen Schichten, die sie im Winter tragen, und lassen die Sonne auf ihre Arme und ihren Hals scheinen, lassen sie zwischen ihren Brüsten nach unten strömen. Mit zurück gelegtem Kopf genießen sie die Wärme auf ihrem Gesicht. Sie schließen die Augen und öffnen den Mund, ihre geschminkten oder nackten Lippen. Die Gehsteige, auf denen sie mit strumpflosen Beinen dahineilen, flimmern vor Hitze. Dünne Röcke flattern im Rhythmus ihrer Schritte. Frauen. Im Sommer beobachte ich sie, rieche sie, präge sie mir ein.
Sie betrachten ihr Spiegelbild in den Schaufenstern, ziehen den Bauch ein, stellen sich aufrechter hin, und ich sehe ihnen dabei zu. Ich beobachte sie dabei, wie sie sich betrachten. Ich sehe sie, wenn sie glauben, unbeobachtet zu sein.

Die Rothaarige im orangefarbenen Sommerkleid. Einer von den Trägern ist verdreht. Sie hat Sommersprossen auf der Nase, einen großen Leberfleck am Schlüsselbein. Sie trägt keinen BH. Beim Gehen schwingt sie die bleichen, mit feinen Härchen bedeckten Arme, und ihre Brustwarzen zeichnen sich unter dem straffen Baumwollstoff ihres Kleides ab. Flache Brüste. Kantige Hüftknochen. Sie trägt Sandalen mit niedrigen Absätzen. Ihre zweite Zehe ist länger als die große. Sie hat schlammgrüne Augen, die an den Grund eines Flusses erinnern. Helle Wimpern, die zu viel blinzeln. Schmale Lippen, eine Spur von Lippenstift in den Mundwinkeln. Sie beugt unter der Hitze die Schultern, hebt einen Arm, um sich die Schweißperlen von der Stirn zu wischen. Unter ihrer Achsel schimmern kupferrote Haarstoppeln, vielleicht ein paar Tage alt. S. 7-8


Lesezitat nach Nicci French - Der Sommermörder


Ein mörderischer Voyeur
Nicci French - Der Sommermörder

s ist ein heißer Sommer in London und ein Mann freut sich ganz besonders an der Hitze. Seine absolute Vorliebe ist es, die Frauen im Park zu beobachten, in ihren kurzen Kleidern, weit ausgeschnittenen Tops und nackten Beinen. Doch es bleibt nicht beim Schauen. Die junge Lehrerin Zoe gefällt ihm ausgezeichnet. Und er will sie nicht nur betrachten, er will sie ganz und er will sie tot, um sie in aller Ruhe studieren zu können. Mit anonymen Briefen stellt er Zoe nach, jagt ihr Angst ein und terrorisiert sie. Leider nimmt die Polizei die Bedrohung zu wenig ernst.

"Alles an ihr war so sorgsam zusammengehalten, aber jetzt beginnt sie auseinander zu fallen. Stück für Stück bricht ihre Schale auf. Ich kann sie sehen. Die Teile von ihr, die sie niemals jemandem zeigen wollte. Angst bringt die Menschen dazu, ihr Innerstes nach außen zu kehren."

Jennifer ist sein zweites Opfer. Sie ist verheiratet und Mutter dreier Kinder und auch bei ihr lösen seine Schriftstücke Panik aus. Wer beobachtet sie? Ist es einer der vielen Handwerker, die dabei sind ihr Haus zu renovieren? Oder doch der Gärtner?

Erst Nadia, die dritte Frau, ist so gewitzt, sich nicht ins Boxhorn jagen zu lassen. Sie ist energisch und couragiert genug, um die Ermittlungsakten der Polizei gründlich zu lesen. Ist der Mörder vielleicht auf der Seite der treuen Gesetzeshüter zu suchen? Ihre Bemühungen, den "Sommermörder" dingfest zu machen, sind wenig überzeugend.

Die Londoner Krimiautorin Nicci French - ein Pseudonym, dessen Geheimnis jetzt gelüftet wurde, hinter dem sich das Ehepaar Nicci Gerrard und Sean French verbirgt - ist nach ihren Romanen "Der Glaspavillon", "Ein sicheres Haus" und "Höhenangst" in Deutschland keine Unbekannte mehr auf dem Gebiet der ausgefeilten Psychothriller. Von Krimi zu Krimi hat das erfolgreiche Duo sein Talent sogar gesteigert. "Der Sommermörder" ist solide Krimikost mit einem guten Unterhaltungsfaktor. Richtig spannend wird der Roman, wenn geschildert wird, wie unterschiedlich die drei Frauen auf die Bedrohung reagieren.

Ideal für einen heißen Sommertag, doch seien Sie vorsichtig, Voyeure lauern mit ihren Ferngläsern überall. © manuela haselberger






Nicci French - Der Sommermörder
Originaltitel: Beneath The Skin, 2000
Übersetzt von: Birgit Moosmüller
© 2001, München, Bertelsmann, 412 S., 22 €
© 2003, München, Goldmann, 416 S., 8.90 €




erscheint erst 2003


Fortsetzung des Lesezitats ...

1. KAPITEL

Ohne die Wassermelone wäre ich nicht berühmt geworden, und ohne die Hitze hätte ich die Wassermelone nicht gehabt. Deswegen fange ich wohl am besten mit der Hitze an. Bloß festzustellen, dass es heiß war; erweckt vielleicht den falschen Eindruck. Es lässt Sie womöglich ans Mittelmeer denken, an einsame Strände und Longdrinks mit farbenfrohen Papiersonnenschirmen. Nichts dergleichen. Die Hitze war wie ein großer, fetter, stinkender alter Hund, ein räudiger, schmieriger, furzender, verendender alter Hund, der sich Anfang Juni auf London niedergelassen und drei schreckliche Wochen lang keinen Millimeter bewegt hatte. Es war immer schweißtreibender und schwüler geworden, und das anfängliche Blau des Himmels hatte sich im Lauf der Zeit in eine giftige Mischung aus Gelb und Grau verwandelt. Die Holloway Road hatte inzwischen etwas von einem riesigen Auspuffrohr, weil die Abgase der Autos vom Gewicht noch schädlicherer Schadstoffe auf Straßenhöhe festgehalten wurden. Wir Fußgänger husteten einander an wie Beagle, die gerade aus einem Tabaktestlabor befreit worden waren. Anfang Juni hatte ich es noch als wohltuend empfunden, ein Sommerkleid anzuziehen und den leichten Stoff auf meiner Haut zu spüren, aber mittlerweile waren meine Kleider abends immer rußgeschwärzt und fleckig, und ich musste mir jeden Morgen die Haare waschen.

Normalerweise wird mir die Auswahl der Bücher, die ich meiner Klasse vorlese, nach faschistischen, totalitären, von der Regierung vorgeschriebenen Prinzipien aufoktroyiert, aber an diesem Morgen hatte ich ausnahmsweise mal rebelliert und ihnen eine Brer-Rabbit-Geschichte vorgelesen, die ich in einer Pappschachtel voller ramponierter Kinderbücher gefunden hatte, als ich die Wohnung meines Dads ausräumte. Fasziniert hatte ich alte Schulberichte durchgesehen, Briefe gelesen, ... S. 13

Sie trägt eine cremefarbene Hose und ein kastanienbraunes Shirt. Ihre Hand ist verbunden, und hin und wieder hält sie sie vorsichtig mit ihrer gesunden Hand, als wäre es ein verletzter Vogel Sie hat das Haar hinter die Ohren geschoben, was ihr Gesicht noch schmaler wirken, ihre Wangenknochen noch stärker hervortreten lässt. Sie sieht schon um Jahre älter aus. Ich drehe an ihrer Lebensuhr.
Sie trägt heute keine Ohrringe, kein Parfüm. Der rote Lippenstift macht ihr Gesicht blass. Sie hat den Puder zu dick aufgetragen, sodass ihre Wangen und ihre Stirn fleckig wirken. Sie geht wie eine Schlafwandlerin, ihre Füße schlurfen über den Boden. Sie lässt die Schultern hängen. Hin und wieder runzelt sie die Stirn, als würde sie versuchen, sich an etwas zu erinnern. Sie presst die Hand an ihr Herz, als wollte sie den Puls ihres Lebens unter der Handfläche spüren. Das hat die andere auch gemacht.
Alles an ihr war so sorgsam zusammengehalten, aber jetzt beginnt sie auseinander zu fallen. Stück für Stück bricht ihre Schale auf Ich kann sie sehen. Die Teile von ihr die sie niemals jemandem zeigen wollte. Angst bringt die Menschen dazu, ihr Innerstes nach außen zu kehren.
Manchmal verspüre ich den Wunsch zu lachen. Es ist alles so gut gelaufen. Das kann mein ganzes Leben so weitergehen. Das ist es, worauf ich gewartet habe. S. 178

"Bist du okay?", flüsterte er.
Ich nickte. Mein Blick wanderte immer wieder zu Morris, und jedes Mal, wenn ich ihn ansah, starrte er zurück. Er fixierte mich mit seinem unverletzten Auge, das niemals zu blinzeln schien. Ein Beamter beugte sich über ihn und sagte etwas, aber sein Blick blieb auf mich gerichtet.
"Setz dich", sagte Cameron zu mir.
Ich sah mich um. Mit Camerons Hilfe schaffte ich es bis zum Tisch, wo ich so Platz nahm, dass ich Morris nicht sehen musste. Ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen, wenn ich noch eine Sekunde länger gezwungen wäre, ihn anzuschauen.
"Hör zu, Nadia, bevor wir weiterreden, muss ich dich über deine Rechte aufklären. Du brauchst nichts zu sagen, wenn du nicht möchtest. Aber wenn du etwas sagst, dann kann alles, was du von dir gibst, als Beweismaterial gegen dich verwendet werden, falls Anklage gegen dich erhoben wird. Außerdem hast du ein Recht auf einen Anwalt. Wenn du möchtest, können wir einen für dich organisieren. Hast du mich verstanden?"
Ich nickte.
"Nein, du musst laut sagen, dass du mich verstanden hast."
"Ich habe verstanden. Ich brauche keinen Anwalt. Ich kann für mich selbst sprechen."
"Was ist passiert?"
"Wirf einen Blick in die Schublade. Dort drüben."

Er trat an die offene Haustür und rief hinaus, dass er jemanden von der Spurensicherung brauche. Gerade kam ein Krankenwagen mit quietschenden Reifen vor dem Haus zum Stehen. Ein Mann und eine Frau im grünen Overall stürmten herein und beugten sich über Morris. Cameron starrte mich an. Dann streifte er sich ein paar dünne Plastikhandschuhe über, nicht solche, wie Chirurgen sie benutzen, sondern eher welche von der billigen Sorte, die man an der Tankstelle bekam. Er zog die Schublade auf und sah sich die Fotos an.
"Er kennt Fred", sagte ich.
Die Situation bekam langsam absurde Züge. Cameron starrte verblüfft auf die Bilder. S. 394

Lesezitate nach Nicci French - Der Sommermörder


Bookinists Buchtipp zu


Das rote Zimmer

© 2002
von Nicci French





weitere Titel von
Nicci French:

Taschenbuch:


Killing me softly

© 2001


Höhenangst

© 2001


Ein sicheres Haus

© 2000


Der Glaspavillon

© 1999

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© 13.7.2001 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de