Leseprobe bei Diogenes




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Klappentext

Tolja findet das Leben nicht mehr lebenswert, denn seine Frau betrügt ihn. Er würde sich am liebsten umbringen, aber er schafft es nicht. Da kommt ihm die Begegnung mit dem ehemaligen Klassenkameraden Dima gerade recht. Dima arbeitet in einem Kiosk, wo reichlich Spirituosen verkauft werden. Man trinkt auf die alte Freundschaft, erzählt sich sein Leben, und so ganz nebenbei fragt Tolja, ob Dima nicht Kontakte zu einschlägigen Kreisen habe, die einen >ganz speziellen Auftrag< ausführen könnten. Dima, der glaubt, Tolja wolle den Liebhaber seiner Frau aus dem Weg räumen lassen, verspricht Hilfe. Er kenne da einen gewissen Kostja, arbeitslos, gerade Vater geworden. Der könne zur Zeit keine großen Dinger drehen, bräuchte aber Geld. Man müsse lediglich ein Foto in einen Umschlag stecken und die nötigen Informationen dazulegen, wo die Person am besten zu finden sei. Tolja tut wie ihm geheißen - und geht selbst in sein Stammcafé, um auf den Killer zu warten. Doch bis zum Abend ist der Killer noch nicht aufgetaucht. Der angetrunkene Tolja geht nach Hause - und gabelt unterwegs eine junge Prostituierte auf, mit der er den Rest der Nacht und den kommenden Tag verbringt. Am nächsten Tag besteht die junge Frau darauf, daß Tolja sie bei ihrem richtigen Namen nennt - und Geld nimmt Lena auch keines von ihm. Da hat Tolja plötzlich gar keine Lust mehr zu sterben, aber der Auftrag läuft bereits.


Klappentext aus
Andrej Kurkow -
Ein Freund des Verblichenen
© Diogenes


Ein außerplanmäßiges Leben
Andrej Kurkow - Ein Freund des Verblichenen

olja lebt in Kiew und hat seit einiger Zeit jegliche Lebenslust verloren. Seine Frau betrügt ihn, das Wetter ist auch nicht besonders gut. Etwas Abwechslung wäre angebracht.

Er denkt daran "ein sinnloses Leben effektvoll zu beenden." Ein Selbstmord? Dafür ist Tolja nicht der Richtige. "Für einen Selbstmörder liebte ich das Leben zu sehr, aber als Opfer eignete ich mich hervorragend."

Tolja nimmt durch seinen früheren Schulfreund Kontakt zu einem Killer auf. Das ist kein gewöhnlicher Mörder, nein, ein Killer erledigt sein Geschäft absolut professionell und nur gegen Auftrag. Ein Profi eben. Doch gleich nachdem Tolja seinen eigenen Tod geordert hat, trifft er eine bezaubernde junge Frau. Eigentlich könnte sich das Leben noch lohnen, wenn er nur nicht seinen Mörder selbst in Gang gesetzt hätte.

Das faszinierende an Andrej Kurkows Romanen sind die abstrusen Ideen mit denen er seine Helden, besser gesagt Anti-Helden, konfrontiert. Und mit einer guten Portion Situationskomik hangeln sich diese dann durch ihr selbst angerichtetes Chaos. In "Picknick auf dem Eis", seinem ersten Roman, lebt der Tagträumer Viktor mit einem Pinguin zusammen in seiner Wohnung und schreibt Nachrufe auf Personen, die noch nicht verstorben sind.

Das Dasein Toljas verändert sich ebenfalls grundlegend, als er seinen eigenen Tod beschlossen hat radikal, ohne dass er selbst viel dazu beiträgt. Er wird gleich einer Kugel, die einmal Schwung bekommen hat, in völlig andere Lebensumstände katapultiert. Ein zugleich komischer, trauriger und melancholischer Roman, erzählt in einem wunderbar ironischen Tonfall. Auf jeden Fall ist er lesenswert. © manuela haselberger


Andrej Kurkow
Ein Freund des Verblichenen
Originaltitel:
Milyj drug, tovarisc pokojnika, 1996
Übersetzt von Christa Vogel
© 2001, Zürich, Diogenes, 142 S., 16.90 €
© 2003, Zürich, Diogenes, 142 S.,   7.90 €

Lesezitat ...

Wenn ich rauchen würde, wäre alles leichter. Nach jedem kleinen, von außen betrachtet unbedeutenden und unverständlichen Ärgernis würde der Rauch von ein paar Zigaretten und das Nikotin für kurze Zeit zwar nicht gerade den Sinn oder Geruch des Lebens ausmachen, aber sie wären doch eine Art Ablenkung, eine Selbstbeweihräucherung, und das würde mir helfen, wieder einmal mit Freude auf mein zukünftiges Leben zu blicken. Aber ich habe nie geraucht und denke, mit dreißig Jahren damit anzufangen, ist entweder kindisch oder blöd.

Der Regen wollte und wollte nicht fallen. Es dämmerte. Meine Frau hatte sich im Badezimmer eingeschlossen, aber sie badete einfach nur wie gewöhnlich. Ich schließe mich auch manchmal im Bad ein, obwohl - wieso sollte ich mich eigentlich vor meiner Frau schämen. Genau diese Frage erklärt auch schon den Grund - wir haben uns schon seit langem voneinander entfremdet. Wenn wir abends schlafen gehen, ziehen wir uns im Dunkeln aus, und tagsüber oder wenn wir bei Licht baden, schämen wir uns unserer Nacktheit. Nacktheit bedeutet Verletzlichkeit. Indem Punkt würde meine Frau dasselbe sagen. Aber ich bin auch verletzlich, und meistens wurde ich von ihr verletzt. Wir reden nicht mehr darüber, obwohl wir früher versucht haben, alles mit Worten zu klären und zu verbessern.S. 5

Und jetzt plötzlich, sicher aus der Verzweiflung über mein Leben und meine Lage fing ich an zu verstehen, wie man dieses Spiel hier in unserem Land spielen muß. Hier müßte man mit einem Mörder verbunden werden. Es gibt viele, sie leben unter uns, und einige von ihnen verhehlen noch nicht einmal sonderlich ihre Art von Beschäftigung. Vor zehn Jahren kannte ich wenigstens zwei Mörder, die ihre Strafe abgesessen hatten, ganz normale, umgängliche Typen, die sogar sehr hilfsbereit waren. Freilich, damals waren die Mörder anders, sie waren romantischer.

Jetzt geht alles um Geld, und das Morden ist für manche sogar ein recht gutbezahlter Beruf geworden. Sogar ein neues englisches Wort benutzen sie dafür: Killer, getreu der amerikanischen Tradition, die Bezeichnung und das Image von ungelernten und schlecht beleumdeten Berufen aufzubessern. Ich erinnere mich, wie die Amerikaner einen Straßenreiniger oder einfach einen Hauswart in einen >Ingenieur des städtischen Sanitärbereichs< umbenannten. Aber da war der Grund für Umbenennungen einfach und verständlich: Man wollte den Straßenreinigern mehr Selbstvertrauen und Selbstachtung einflößen.

Bei uns hat sich das anders ergeben. Eben so, daß ein Mörder höherer Qualifikation, der ausschließlich auf Auftrag arbeitet, den Titel eines Kiilers erhält. Und der alte, frühere Typ von Killer, der alltägliche romantische der nach einem Besäufnis oder aus Eifersucht mordet, bleibt ein einfacher Mörder. Solche jagen sie oder sperren sie ein während der Killer unsichtbar und frei wie ein Vogel bleibt. Diese Gedankengänge brachten mich wie von selbst auf ein Thema, das schon viele Male versucht hatte, sich aus meinem Unterbewußtsein hochzuarbeiten. Schließlich hatte ich schon seit mehreren Jahren nach einem Ausweg aus der Sackgasse meiner Lebenssituation gefahndet. Aber ich hatte diesen Ausweg mehr in meiner Vorstellung, in meiner Phantasie gesucht. Und jetzt bot sich der Ausweg von selbst an - kein Ausweg aus der Situation, sondern aus dem Leben selbst. Für einen Selbstmörder liebte ich das Leben zu sehr, aber als Opfer eignete ich mich hervorragend.

Ein wunderbares Beispiel für die Ungerechtigkeit des Schicksals, ein kluger talentierter Mann in den besten Jahren und in irgendwessen Auftrag ermordet! Der Ruhm, den das Opfer eines Auftragsmordes genießt, kitzelte meine Nerven.

Ich stellte mir die Bestürzung meiner vielen Bekannten vor, die sofort begreifen würden, daß sie praktisch nichts von mir wußten, daß dieser Mensch, den sie gekannt hatten, mit dem sie Kaffee und Wein getrunken hatten, doch nicht in Geschäfte verwickelt sein konnte, die Auseinandersetzungen oder gar einen Auftragsmord nach sich ziehen würden. S. 8-9

Dienstag. Am Morgen fand ich auf der besagten Post den Raum mit den Abonnentenbriefkästen und warf den Umschlag in die Nummer dreihunderteinunddreißig.

Ich hatte noch zweieinhalb Tage zu leben, und ich mußte mich entscheiden, wie ich die verbringen sollte. Die mir verbleibende Zeit war schließlich schon so begrenzt, daß ich mir mühelos die Sekunden, ganz zu schweigen von den Minuten und Stunden, ausrechnen konnte.

Ich keine Lust, nach Hause zu gehen. Das Wetter war schön. Es war, wahrscheinlich nicht für lange, der >goldene Herbst< eingetreten, gelbe und rote Blätter, eine belebende angenehme Frische, ein absolut blauer Himmel ohne jeden Wind. Wenn es im Paradies einen Herbst gäbe, sähe er sicher genau so aus.

Langsam ging ich über den Andreashügel runter zum Podol-Viertel. Die Galerien und Geschäfte hatten gerade erst aufgemacht. Den größten Lärm machten in diesem Moment meine Schuhe mit ihren billigen Plastiksohlen auf dem Kopfsteinpflaster. S. 25

Die Angst ließ nach, aber gleichzeitig verschwanden auch alle anderen Empfindungen. Wieder bemächtigte sich meiner eine völlige Dumpfheit.

Ich setzte mich auf eine leer gewordene Bank unter das Skoworoda-Denkmal. Saß da und dachte an gar nichts. Ich atmete einfach nur.

Vielleicht hatte mich meine Seele gegen sechs Uhr verlassen, hatte mich ohne Gefühle und Gedanken zurückgelassen. Anscheinend hatte ihr mein Plan nicht gefallen. Die Seele lebt im Körper des Menschen und liebt es nicht, ihren Wohnort zu verlieren.

Ein komischer Gedanke schlich sich in mein vereistes Gehirn. Wenn die Seele in meinem Körper wohnte und zu meinem Körper eine bestimmte Adresse gehörte, dann hat also meine Seele zwei Wohnsitze, was nach allen bei uns bis heute gültigen sowjetischen Gesetzen verboten ist.
Da lächelte ich sogar.
Und dachte an die Einsamkeit des Skoworoda.
Manche Leute werden geboren, um selbst nach dem Tod noch einsam zu bleiben.
Es war zwanzig Minuten nach sechs.
Die ersten zwanzig Minuten meines außerplanmäßigen Lebens waren vergangen.
Nachdem ich noch etwa eine halbe Stunde dagesessen hatte, lief ich zu Fuß zum Kreschtschatik, fand eine angetrunkene junge Prostituierte, versprach ihr, sie am Morgen zu bezahlen, und nahm sie mit nach Hause. S. 38

Lesezitate aus Andrej Kurkow - Ein Freund des Verblichenen













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Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de