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Marjaleena Lembcke:


Als die Steine noch Vögel waren




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»Wie war es?», fragte ich ihn.

Aus seinen Augen liefen große Tränen, er seufzte wie ein alter Mann und sagte: «Ich

weiß nicht, ob sie mich lieben.» «Sie müssen dich erst kennen lernen», tröstete ich ihn. «Sie werden dich noch lieb gewinnen.»

»Aber ich kenne sie auch nicht, und ich liebe sie trotzdem», meinte er.

«Ja, du», sagte ich und drückte ihn fest. «Du bist der Weltmeister im Liebhaben. Das können nicht alle.»

Pekka lachte. «Was ist überhaupt ein Meister? Kann er alles? Und die Welt? Was kann sie? Weißt du es?»

Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste es nicht. Eine richtige Antwort auf die Fragen von Pekka hatte ich nie. Auch wenn ich mehr gewusst hätte und klüger gewesen wäre, hätte ich keine Antwort auf seine Fragen gewusst. Es waren Fragen, auf die wohl kein Mensch die richtige Antwort gewusst hätte. Warum sich Gott nicht den Menschen zeigte, wenn es ihn gab? Wo fängt der Himmel an, und wo hört er auf? Warum ist manchmal glücklich und dann wieder traurig? Woher kommt die Liebe? Wie kommt es, dass man glücklich ist? Warum muss man sterben? Wegen Pekkas vieler Fragen und auch wegen seines Aussehens fürchteten wir, dass Pekka in der Schule Schwierigkeiten bekommen würde. (S 19-20)

«Leid tut mir nur etwas, was wehtut. Und es tut ja niemandem weh, wenn die Uhr weg ist. Der Uhr auch nicht.»

«Sag, was du willst!», fuhr ich ihn an. «Aber bring sie zurück! »

Pekka seufzte.

Am nächsten Tag erzählte er mir, dass er die Uhr dem Jungen zurückgebracht hatte und ihm auch gesagt hätte, dass es ihm Leid tut.

«Aber das habe ich nur gesagt, damit er glücklich ist und damit du auch glücklich bist. Ich verstehe nicht, warum man lügen muss, damit alle glücklich sind», sagte er und sah mich vorwurfsvoll an.

Ich fühlte mich schuldig. Und ich dachte, dass ich ihm vielleicht ganz falsche Sachen bei-brachte.

Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte die Angelegenheit auf seine Art geregelt. Er hätte wahrscheinlich dem Jungen die Uhr zurückgegeben und gesagt: «Ich habe deine Uhr mitgenommen. Es tut mir Leid, dass es mir nicht Leid tut, dass ich das getan habe. Aber du kannst mich trotzdem lieben, denn Armbanduhren haben mit der Liebe nichts zu tun.» (S. 39)


Lesezitate nach Marjaleena Lembcke - Als die Steine noch Vögel waren


Als die Steine noch Vögel waren
Marjaleena Lembcke -
Als die Steine noch Vögel waren

Pekka ist kein gewöhnlicher Junge. Schon seine Geburt verläuft nicht so leicht wie bei den anderen Kindern in Leenas Familie. Bei Pekka hat die Mutter einen Kaiserschnitt und das Baby kommt in eine Kinderklinik nach Helsinki. Traurig berichtet sie den Kindern daheim, dass Pekka nun im Kinderschloss für eine Weile bleibt, denn er hat kleine Verwachsungen an Händen und Füßen, auch sein Kopf sitzt schief auf den Schultern und mit den Augen stimmt etwas nicht.

Nach zwei Jahren kommt Pekka endlich zu seinen Geschwistern. Sie schließen den fröhlichen Jungen, der erst langsam zu krabbeln beginnt gleich in ihr Herz. Bald schon geht Pekka unbeschwert auf alle Menschen zu und verkündet unbekümmert jedem Besucher des Hauses: "Ich liebe dich." Und Pekka liebt einfach alles: seinen Stuhl, sein Bett, den Mond und nicht zu vergessen, die Steine, weil sie in früheren Zeiten Vögel waren und fliegen konnten.

Etwas schwieriger wird die Schulzeit für ihn, denn nicht alle Kinder können seine offene Art sogleich verstehen und fürchten sich vor ihm wegen seines Aussehens. Selten besuchen ihn Freunde, denn Pekka liegt nichts am Spielen. Er unterhält sich am Liebsten. Ihn beschäftigen Fragen, wie: "Wo fängt der Himmel an und wo hört er auf? Warum ist man manchmal glücklich und dann wieder traurig? Woher kommt die Liebe?"

Mit seiner ansteckenden Fröhlichkeit, seinen ungewöhnlichen Gedanken und Fragen, die gar nicht so leicht zu beantworten sind, zeigt Pekka seiner Umwelt die wirklich wichtigen Dinge im Leben.

Lesealter ab 10 Jahren


Marjaleena Lembcke - Als die Steine noch Vögel waren

1998, Zürich, Nagel & Kimche Verlag, 155 S.,

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Fortsetzung des Lesezitats ...

 

«Dann müssen wir alle verhungern», sagte Oskail und grinste.

«Warum?», fragte Pekka entsetzt. «Weil Vater gesagt hat, dass es erst was zu essen gibt, wenn du das Schwimmen gelernt hast», antwortete Oskari.

Vater lächelte und packte die Butterbrote aus. Pekka zog sich schnell die Hose und das Hemd an. Angezogen fühlte er sich sicherer. Als wir Limonade tranken, Butterbrote aßen und die Sonnenstrahlen genossen, sagte Pekka: «Ich weiß jetzt, dass im Meer Salz ist. Wahrscheinlich kommt es von den Tränen der Fische. »
«Und die Fische weinen wohl, weil sie nicht gerne schwimmen», sagte Vater.
«Sie müssen ja. Weil sie keine Beine und keine Flügel haben», sagte Pekka.
«Aber du musst nicht», sagte Vater. «Was nicht geht, geht nicht. »

Und Pekka lernte nie schwimmen. Aber er fing an, Steine zu werfen. Steinewerfen wurde seine Lieblingsbeschäftigung. Er warf sie nie gegen die Wand oder ins Wasser. Er versuchte nicht einen Baumstamm zu treffen oder einen anderen Stein. Er warf sie einfach in die Luft, auf einen Mooshügel oder auf die Wiese. Und ich wusste, Pekka hoffte, einer der Steine würde als Vogel davonfliegen. (S.45-46)

«Schön, dass du da bist», sagte Pekka auch und umarmte Matti. «Ich liebe dich. Du machst uns alle glücklich.»

«Du hast ja noch gar nichts beklommenen», sagte Tuomo zu Pekka und fragte dann Matti vorwurfsvoll: «Hast du Pekka vergessen?» «Wie könnte ich das! », sagte Matti. «Lauf mal raus, Pekka, und guck in den Wagen rein. Auf dem Rücksitz liegt noch ein Päckchen. Das ist für dich.»

Pekka kam mit leeren Händen und verlegen zurück. «Ich habe es nicht gefunden», sagte er. «Was, du hast es nicht gefunden! Brauchst du vielleicht eine Brille? Er braucht eine Brille!», rief Matti.

«Da liegt kein Päckchen, nur ein ... ein Paket, und es ist ganz groß», sagte Pekka. «Und weil es groß ist, meinst du, könnte es nicht für dich sein? Du meinst, weil du klein bist, solltest du auch ein kleines Päckchen kriegen?», rief Matti. «Da kennst du mich aber schlecht. Bei mir bekommen auch die Kleinen große Päckchen!»
Sie holten das Geschenk zusammen aus dem Auto. Es war eine Gitarre.

Pekka stand davor und wagte sie gar nicht anzufassen. Er schüttelte den Kopf und sagte:
«Jetzt ist meine Sprache weg. Ich muss erst mal die Gedanken ordnen.»

Pekka ordnete seine Gedanken, und Matti heizte die Sauna an. Als wir zusammen auf den Holzbrettern saßen und schwitzten, fragte Vater Matti: «Was glaubst du, was das Erste ist, das ich in unser Haus in Kanada einbaue?» «Eine Sauna!», sagte Matti, lachte und kippte eine ganze Kelle Wasser über die heißen Steine. Die Hitzewelle vertrieb außer Matti und Vater alle anderen aus der Sauna.
Als die beiden endlich auch mit roten Gesichtern in der Küche erschienen, sagte Vater: «Ich habe versucht Matti nach Kanada mit zu locken, aber er bleibt lieber in Schweden. Dann werden wir uns einige Zeit nicht sehen können.» «Oder wir müssen fliegen lernen. Die Vögel fliegen jedes Jahr über viele Länder und über die Meere», sagte Pekka. (S. 70-71)

«Das Leben ist sehr merkwürdig. Erst wird man geboren, und dann muss man sterben», sagte Pekka zu mir. «Vielleicht wäre es besser, wenn ich ein Stein wäre, dann könnte ich eines Tages fliegen.»
«Wieso könntest du dann fliegen?», fragte ich. «Das weißt du doch! Weil alle Steine früher Vögel waren. Wenn die Steine früher Vögel waren, können sie auch wieder zu Vögeln werden. Man kann immer das werden, was man schon mal war. » (S.76)
Lesezitat nach Marjaleena Lembcke: Als die Steine noch Vögel waren


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999-12-16

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger