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Die Tür ging auf. vom Flur strömte Licht herein. Ein Diener entriegelte die Fensterläden, klappte sie zurück und blickte, die Hände aneinanderreibend, über die mit schneebestäubten Dächer von Dux hinweg. Hinter ihm unterbrach der alte Mann im Sessel mit dem Hund zu Füßen sein Geschluchze und Gemurmel und begrüßte das Tageslicht mit einem Schniefen. "Sie haben Besuch, mein Herr", sagte der Diener, wandte sich vom Fenster ab und betrachtete den alten Mann, als beschaute er eine Gestalt auf einem der großen Gobelins des Grafen Waldstein, die in den zugigen Sälen im Erdgeschoß hingen, einen Mann wie ein Strich, so mager und abgezehrt, daß man sich nicht gewundert hätte, wenn durch seinen Brustkorb hindurch die Sessellehne zusehen gewesen wäre.
"Besuch?"
"Eine Dame, mein Herr. Eine sehr schöne." S.11 ........... weiter....


zitiert nach Andrew Miller - Eine kleine Geschichte, die meist von der Liebe handelt


Eine kleine Geschichte,
die meist von der Liebe handelt
(Samuel Johnsons Wörterbuch)


Andrew Miller - Eine kleine Geschichte, die meist von der Liebe handelt

Im Jahre 1764 reist Casanova, in den Diensten eines Ministers von Louis XV. von Frankreich nach London. Einer Stadt, die für ihn "nach feuchtem Mörtel, nach Schlamm, Rosen und Maische roch.

Er hat den Auftrag "über die Engländer möglichst viel in Erfahrung zu bringen, was einer ausländischen Macht von Nutzen sein konnte. Der Minister hat dabei an Dinge wie den Schiffsbau oder Parteiintrigen gedacht.

Casanova hingegen verfällt der schönen, jungen Marie, einer Frau, die ihm an Raffinesse in amourösen Verstrickungen in nichts nachsteht. Ein ausgezeichneter historischer Roman aus dem 18. Jahrhundert.

Andrew Miller -
Eine kleine Geschichte, die meist von der Liebe handelt
aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
Originaltitel: © 1998, "Casanova"
2000, Wien, Zsolnay Verlag, 293 S., ehem.
2002, Rowohlt Verlag, 282 S.,   8.90 €

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Dreister geworden, denn der Graf war verreist und Feldkirchner, der Majordomus, nannte den Alten Mißgeburt, Relikt - und Schlimmeres -, kniff der Diener ein Auge zu, spitzte die Lippen wie zu einem Kuß und schlüpfte aus dem Zimmer, während ihn der alte Mann, gegen Decken und die Schwerkraft ankämpfend, zur Tür verfolgte und dabei die Fäuste schwang wie die Fühlhörner einer zornigen Schnecke.
Topfspüler! Jakobiner! Dein Herr wird davon erfahren, du Strauchdieb . . .! Und wie steht's mit einem Feuer, wie? Soll ich vielleicht erfrieren? Daß dich die Pest!"

Aber seine Wut war sinnlos. Er brüllte auf italienisch oder, genauer gesagt, auf venezianisch, und diese Barbaren verstanden ihn nicht. Zum tausendsten Male beschloß er, sich ein Repertoire der obszönsten deutschen oder tschechischen Schimpfnamen anzueignen, ... S. 11-12

IN ALLER FRÜHE wartete oberhalb von Blackfriar's Steps eine mehr als hundert Köpfe zählende Schar auf Tagesarbeit. Casanova, der vom Ende der Water Lane herkam, studierte sie im Halblicht mit zusammengekniffenen Augen und wählte schließlich zwei gutgebaute Burschen aus, die weiter hinten standen und ein aus Zwiebeln bestehendes Frühstück verzehrten. Er winkte sie herbei. Die Männer sahen einander an, sahen Casanova an, deuteten auf sich selbst. Casanova nickte und lächelte. Die Männer näherten sich mißtrauisch, denn die Reichen winken die Armen normalerweise nicht zu sich, es sei denn, sie wollen sie bestehlen. Fünfzehn Minuten später entfernten sich die vormaligen Tagelöhner, noch immer ihre Zwiebeln in der Hand, in Richtung Kathedrale und blieben dabei vor jeder Glasscheibe stehen, um sich zu betrachten, ein merkwürdiges, aus der seltsamen morgendlichen Transaktion hervorgegangenes Paar Schmetterlinge. Gleich darauf stellten sich Jarba und Casanova in kurzen schmierigen Jacken und Hüten, die offenkundig als Eßgeschirr oder Schlimmeres gedient hatten, aus Ende einer langsam vorwärts schlurfenden Menschenschlange . Der Chevalier hatte versuchsweise einen seiner älteren Anzüge zerrissen und sich von Mrs. Feaver grobe Flicken daraufsetzen lassen, aber er hatte darin eher wie ein Harlekin als wie ein Mann ausgesehen, der sich sein Brot mit den Händen verdient. Es gab eine bestimmte Zerlumptheit, die man sich nur über Monate und Jahre aneignen konnte, eine bestimmte Patina von Dreck, die mit ein wenig Schmutz in der Pall Mall unmöglich zu fälschen war. Die naheliegende Lösung hatte darin bestanden, sich den echten Artikel zu verschaffen. S. 121-122


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Andrew Miller - Eine kleine Geschichte, die meist von der Liebe handelt


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 30.08.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger

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