Und siehe da, sie war ihrem Gefängnis entsprungen und hatte sich mit mir getroffen. Wie ich sie im Ödland im Osten von Bagdad geküsst hatte! Mein Herz hatte im Takt der großen Sufi-Trommel gegen meine Rippen geschlagen. ,,Niemand wird uns trennen können", hatte sie mir versprochen.
Wie naiv wir an diesem Abend gewesen waren, wie glücklich. Auch jetzt, im Zug, war ich noch glücklich, obwohl ich durch einen Sandsturm zur nördlichen Grenze des Landes fuhr, um einen Weg herauszufinden, über den wir bei Gefahr fliehen könnten, bevor die Falle über uns zuschnappte.
Aber was wäre dann mit Mutter und meinem herzkranken Vater? Und was wäre mit Louise?
Mir war klar, dass auch ich mich auf die Fähigkeiten des Millionärs verließ, der Staatsminister kaufte und verkaufte. Ich sagte mir, dass es ihm auch in Zeiten einer Feuersbrunst möglich wäre, seine Tochter
und seine Enkelin an einen sicheren Ort zu bringen. Er und mein Vater waren echte Iraker. Von Erez-Jisrael wollten sie nichts wissen. Sie sagten, es sei ein Land der Teuerungen, der Schwerarbeit und des Blutvergießens. Sie waren überzeugt davon, dass sie hier, in diesem Paradies, in dem ihre Vorfahren tausende von Jahren gelebt hatten, weiterleben könnten, auch wenn es mal einen kleinen Pogrom gab und jemand versuchte sie umzubringen. Fahnen, Nationalstolz und Unabhängigkeit waren in ihren Augen Begriffe für kleine Jungen, aber nichts, mit dem sich der Lebensunterhalt bestreiten ließ.
Am Morgen stiegen wir in Chamam al-Alil aus, einem kleinen Kurort ungefähr zwanzig Kilometer von Mosul entfernt. Wir schickten Efraim und Gimel los, damit sie für ein paar Tage ein Haus für uns mieten sollten, wir wollten am Bahnhof warten. Ich schärfte Efraim noch ein, dass wir ein richtiges Haus benötigten, keine halb zerfallene Hütte, und dass er nicht so knausrig sein solle.
Efraim weinte fast, als sie zurückkamen. ,,Wisst ihr, was ich für ein verdrecktes Haus mit zwei Zimmern und einem kleinen Hof bezahlen musste?"
,,Wir wollen es gar nicht hören", riefen wir einstimmig. Wir hatten viel Geld in die gemeinsame Kasse einbezahlt und jeder von uns hatte noch ein paar zusätzliche Scheine in der Tasche.
Einer hinter dem anderen liefen wir zu dem Haus. Wir wollten auffallen, wir wollten bemerkt werden. Jedem, der es hören wollte, erzählten wir, dass wir gerade die Prüfungen abgelegt hätten und jetzt in dem Kurort Ferien machen wollten. Wir waren sehr nahe bei Mosul und dem gefährlichsten Bereich der Grenze. Nicht weit von hier fanden die Zusammenstöße zwischen dem Militär und den Kurden statt. Beduinenstämme zogen von einem Ort zum anderen ohne auf Grenzen zu achten, und Terrorbanden wechselten über die Grenzen zwischen dem Irak, der Türkei und Syrien. Schmuggler brachten ihre Waren von einem Land ins andere. Die Landschaft war flach wie ein Handteller und glühte in der Sommerhitze, und nur in der Nacht war man vor der Sonne und den Kugeln der mörderischen Grenzsoldaten geschützt, die, wie es hieß, mehr Leute umbrachten als die Schmuggler.
Lesezitate nach Sami Michael - Eine Liebe in Bagdad, S.52-53