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Nennen wir es mal die Geschichte einer Straße. Die Welt besteht wahrhaftig nicht nur aus Geschöpfen mit Augen und Händen das weiß jeder, weshalb also sollte die Hauptfigur einer Geschichte nicht auch eine Straße sein können? Blind, taub, wie wir annehmen, und ansonsten mit ein paar Eigenschaften behaftet, die uns entgehen? Ja, warum nicht?

Es ist später Abend. Es regnet. Der Regen nieselt aufs Land, er fällt auf das Dorf und rückt dann zu dem Kreisel vor, an dem die Bebauung endet und die Straße in Richtung Meer beginnt. die nach einem guten Stück durch flaches Land ein wenig ansteigt, um am Strand von Ruigrokseslag zu enden. Erst gestern nacht ist auf dieser Straße ein Auto mit einem älteren Ehepaar verunglückt. Der Alarm ging kurz nach zwölf bei der Polizei ein. Sie wußten sofort, daß es ernst war. Ein Schreckensbild, nur allzuhäufig auf dieser Straße. Auch diese Opfer haben die Fahrt nicht überlebt.


Lesezitat nach
Margriet de Moor - Die Verabredung


Das andere Leben gleich nebenan
Margriet de Moor - Die Verabredung

"Vincent Lukas war ein Mann von vierzig Jahren, dem es im Leben nicht einfiele, seine Frau zu verlassen." Und doch gerät Vincent, von Beruf Tierarzt, aus der gewohnten Bahn, als er eines Abends, seine Frau Noor schläft bereits, noch einen kurzen Spaziergang unternimmt. Er findet einen kleinen Taschenkalender. Als er achtlos darin herumblättert, liest er überrascht seinen Namen.

Dies ist die Ausgangssituation des neuen Romans der Niederländerin Margriet de Moor. Wieder, wie schon in ihren beiden Büchern "Erst grau dann weiß dann blau" und "Ich träume also" hat sie sich die unzähligen Leben zum Thema gemacht, die direkt neben unserem eigenen, das wir so häufig für das einzig mögliche halten, liegen. Eine unbedachte Reaktion, eine wahrgenommene Verabredung, oder eben ein gefundener Kalender, bilden die Brücken zu einem völlig anderen Dasein.

Vincent wartet mit Spannung auf die unbekannte Patientin, die am 7. Mai in seine Praxis mit ihrer kranken Katze kommt. Besorgt fragt er seinen Kollegen: "Kannst du dir vorstellen, dass man von einer Frau besessen ist, die man noch nie gesehen hat, deren täglichem Tun und Treiben man aber durch einen Zufall auf die Spur gekommen ist?"

Vincent lässt sich auf eine Affäre ein, ohne dass Noor, seine Frau, etwas von seinem Doppelleben bemerkt. Vor Jahren hat sie, durch Andeutungen eines Verwandten, vermutet, dass Vincent eine Geliebte hat. Doch die Zweifel hat er wirksam und mit dem Preis, dass Noor seine Assistentin in der Tierarztpraxis geworden ist, aus der Welt geschafft.

Faszinierend an Margriet de Moors Roman ist nicht nur der Plot, sondern auch ihr Stil. Zum einen distanziert sie sich von ihren Personen, kommentiert ihre Handlung, und lässt den Leser quasi über die Schulter der Autorin blicken. Zum anderen schichtet sie Erinnerungen und Gegenwart spielerisch ineinander - das erfordert eine gute Portion Konzentration. So hat jede ihrer Figuren einen Hintergrund, "der unter keinen Umständen wegzudenken ist und ihre ganze Person ausmacht."

Doch die Entschädigung ist den Aufwand allemal wert. Es sind Sätze wie dieser, die "Die Verabredung" zu einem herausragenden Roman stempeln: "Jede Geschichte besteht aus Tatsachen, die geschehen sind, und solchen, die noch geschehen werden, und die Verbindungslinie dazwischen ist nur fiktiv."



Margriet de Moor - Die Verabredung
aus dem Niederländischen von Helga von Beuningen
Originaltitel: "Zee Binnen", © 1999
2000, München, Hanser Verlag, 190 S.,
2002, München, dtv Verlag, 190 S., 8.50 €

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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 22.2.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger