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Es war ein wunderschöner Morgen, der Himmel war blau, und die Sonne schien durch einen zarten Dunstschleier. Im Muriel Campden Estate war bis auf den Vogelgesang aus dem Park alles ruhig und still. Die wenigen Leute, die zur Arbeit gingen, standen gerade auf. Kurz nach sieben kam der Milch- wagen vorbeigefahren, und der Milchmann stellte auf die Stufen vor den meisten Türen ein oder zwei Flaschen - keine gläsernen Halbliterflaschen mehr, sondern Plastikbehälter zu einem Liter. Eine halbe Stunde später kam der sechzehnjährige Darren Meeks, einen gestohlenen Einkaufswagen vor sich her schiebend, und trug die Zeitungen aus.
Maria Michaels, die um halb neun zur Arbeit mußte, holte ihr Exemplar der Sun von der Matte an der Haustür und nahm es mit in die Küche, um ihre Tasse Tee und ihr Croissant fertig zu frühstücken. Das Telefongespräch, das sie am Vorabend mit Tasneem Fowler geführt hatte, ging ihr nicht aus dem Kopf, obwohl sie mit niemandem darüber gesprochen hatte außer mit Monty Smith, ihrem Lebensgefährten. Es hatte sich auch keine Gelegenheit dazu ergeben, da es bereits halb elf war, als Tasneem sie endlich erreicht hatte, nachdem sie am Münztelefon in The Hide ewig hatte anstehen müssen.
Das vermißte kleine Mädchen war bestimmt die Titelgeschichte der Sun, da war sich Maria ganz sicher. Irrtum. Es fehlte nicht nur auf der Titelseite, sie konnte es auch sonst nirgends finden. Was ging hier vor! Sie brachte eine Tasse Tee nach oben zu Monty, der arbeitslos war und deshalb noch im Bett lag, und fragte ihn, was er davon halte. "Das ist nicht in Ordnung." Monty nahm ihr Tee und Zeitung ab. "Die halten das geheim. Nichts im Fernsehen, und jetzt in der Zeitung auch nichts. Wie wäre uns denn zumute, wenn wir Kinder hätten?"
"Wir wären verrückt vor Angst, mein Liebling. Daran ist aber nicht die Zeitung schuld, denke ich, sondern die Polizei."
(S. 186)


Lesezitat nach
Ruth Rendell - Das Verderben


Gewalt in der Ehe
Ruth Rendell - Das Verderben

Anlässlich des siebzigsten Geburtstags der englischen "Queen of Crime" Ruth Rendell am siebzehnten Februar, beschenkt der Blanvalet Verlag ihre deutschen Fans mit einem neuen Fall von Inspektor Wexford.

Das kleine Städtchen Kingsmarkham ist in heller Aufregung. Gerade als zwei halbwüchsige Mädchen verschwunden sind, wird der wegen Pädophilie verurteilte, siebzigjährige Orbe nach mehreren Jahren aus der Haft entlassen. Da liegt der Schluss für die verängstigten Eltern zum Greifen nah, dass er wieder zugeschlagen hat.

Die Presse schürt die Vorurteile und heizt die hysterische Stimmung mit ihrer einseitigen Berichterstattung an, bis es bei einer Demonstration der aufgebrachten Bürgerschaft vor dem Polizeigebäude zur Eskalation kommt und ein Polizist mit einer Benzinbombe getötet wird.

Und dann fehlt die kleine Sanchia. Sie ist noch ein Säugling und niemand kann sich ihr Verschwinden bei den gut situierten Devenishs erklären. Allerdings ist die Situation zwischen den Ehepartnern gespannt. Selbst im Hochsommer trägt Mrs. Devenish hoch geschlossene, lange Kleider.

Wexford kommt ins Grübeln. Hat seine Tochter, die im Frauenhaus sehr häufig aggressive Ehemänner erlebt, mit ihrem Verdacht recht?

Es sind mehrere Kriminalfälle, die Ruth Rendell in ihren Roman eingearbeitet hat, doch geht dies voll zu Lasten des Tempos. Den ausufernden sozialen Studien Wexfords über Gewalt in der Ehe fehlt es an Spannung. Auch wenn Ruth Rendell kurz vor Schluss noch einen Überrasschungs - Coup eingebaut hat, verläuft der Krimi in einer sehr voraussehbaren Bahn. Schade, Inspector Wexford war leider schon besser.



Ruth Rendell - Das Verderben
Übersetzt von Cornelia C. Walter
© 1999, Originaltitel: "Harm Done"
2000, München, Blanvalet Verlag, 480 S., 22.45 € (HC)
2001, München, Goldmann Verlag, 479 S., 10.00 € (TB)


Bookinists Buchtipp zu


Der Liebesbetrug

von Ruth Rendell
© 2002




© by Manuela Haselberger
rezensiert am 14.2.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger