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Schüler der Abschlußklassen hielten Theo Altena für das geringste Übel, an das man in Niederländisch geraten konnte, und das war schon als Kompliment aufzufassen. Es bedeutete, daß die Schüler es mit einem aushielten. Auf Schulfeten erlebte er bisweilen, daß einer übermütig auf ihn zusteuerte und die Bemerkung fallenließ, er sei "okay". Theo war immerhin der einzige Lehrer, der sich an solchen Abenden auf die Tanzfläche wagte, den genierten Blicken seiner anwesenden Kollegen dabei unangenehm ausgesetzt. Das Westfriesische Kolleg hatte kein Talent für Parties und Klassenfeiern. S. 9

Wahrscheinlich fanden sie jeden "okay", der in ihren Augen ein nachsichtiges, leicht hinters Licht zu führendes Weichei war. Er beließ es bei solchen Gedanken; schließlich mußte er noch eine Weile durchhalten.

In den unteren Klassen war er weniger populär, das wußte er erst seit kurzem. Iris hatte es ihm erzählt, an einem der Dienstagnachmittage, als er auf der dreisitzigen Couch bei Ihr zu Hause mit ihr vögelte und heimlich hoffte, daß sie es dort nie mit ihrem Mann getrieben hatte. Iris gab Sport, für die Kinder das Fach, wo man vor und nach der Stunde in den Umkleideräumen am allerbesten den neuesten Klatsch durchnehmen konnte. Widerstrebend und nur auf sein nachdrückliches Bitten hin hatte Iris ihm erzählt, was sie alles über ihn aufgeschnappt hatte. Zu seinem Erstaunen war wenig Schmeichelhaftes darunter gewesen. Sie hatte gehört, wie die Mädchen aus der Orientierungsstufe nach der Stunde unter der Dusche über ihn tratschten und herzogen, laut und schrill, ihre Stimmen vervielfacht von den Wänden des Duschraums. Iris wußte auch, daß die Mädels aus der Mittelstufe ihn "die Nase" nannten, was ihn allerdings kaum wunderte. So hatte er schon geheißen, als er nicht älter war als diejenigen, die ihn jetzt anscheinend so widerlich fanden. Theo hörte die Erstkläßler schon lautstark verkünden: "Gleich Niederländisch bei der Nase; Scheiße." S. 10

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Lesezitat nach Joost Zwagerman - Die Nebenfrau


... von der Moral, die gar keine ist!
Joost Zwagerman - Die Nebenfrau

Theo Altena hat eine Nebenfrau. Er ist Lehrer, für Niederländisch. Eigentlich ist Theo ein Spießer - oder nein - eher ein Angepaßter. Na - vielleicht besser: Ein Einzelgänger. Keiner der alles mitmacht, einer der gebildet ist - und im Prinzip "glücklich verheiratet".

Theo lebt in einem schmucken Haus in einem Wohnviertel Alkmaars, keine Kinder, keine Haustiere und besitzt einen Toyota, mit dem er zur Schule fährt. Sein Berufsleben ist durchwachsen; da sind die 10jährigen und die älteren, pubertierenden Schüler der dritten Klassen, die ihn - liebevoll oder verächtlich - je nach Situation "Die Nase" nennen.

Nicht, weil er ein besonders guter Pädagoge wäre, sondern weil sein Riechorgan wirklich überdimensional groß geraten ist, trägt er wohl diesen Namen. Und Theo ist treu, zumindest bisher - vor seiner Ehe hat er höchstens mit vielleicht fünf anderen Frauen geschlafen.

Theo ist bald ein Jahrzehnt "on the job", hat seine Routinen, seine Verwaltungsarbeiten, seine Elternabende, seine Aufsatzkorrekturen und seine Freistunden. Und insbesondere in den beiden Freistunden am Dienstag Nachmittag, da macht Theo Altena etwas, was so gar nicht zu seinem Typ passen will: Er vögelt regelmäßig mit seiner schwarzhäutigen Kollegin Iris Pompier, der Sportlehrerin, bei ihr zu Hause auf der Wohnzimmercouch.
Geistig betrachtet - so sieht er es zumindest - sammelt Theo dabei Eindrücke, Bildersequenzen, Szenen von seinen diensttäglichen Betätigungen, um in seinem Kopf damit einen ganz privaten Pornofilm zu schneiden.

Kurz - Theo brilliert als eigener Regisseur für seine spätabendlichen, privaten, handwerklichen Aufführungen am häuslichen Set im Fernsehstuhl, wenn er mal wieder nicht einschlafen kann. Deswegen hat Theo an und für sich auch kein richtiges Schuldgefühl, was seine Frau Sylvia betrifft.

Theo und Iris kommunizieren im Grunde nicht viel miteinander - die Zeit ist knapp und die schöne, schlanke, feurige Schwarze aus Surinam zu verführerisch, als dass man den unterrichtsfreien Abschnitt der Muße mit verschwenderisch Worten vergeuden sollte. Im besonderen sieht er sich wegen seiner unverkrampften Beziehung zu einer Farbigen daher als aufgeklärten, toleranten Menschen, der den dumpfen Nationalismus und Rassismus seiner holländischen Mitbürger gebildet verachtet. Selbstverständlich vollführt er deswegen als Lehrer öfter einen aufklärerischen Kreuzzug gegen rassistische Äußerungen seiner Schüler, obwohl er sich innerlich eher von der Vorstellung zu verabschieden scheint, dass er jemals mit seinen Bemühungen ein gewisses Niveau bei seinen Klienten erreichen könnte.

Was den (männlichen) Leser letztlich bei der Stange hält, ist zunächst hauptsächlich das Interesse, wie gerade so einer, so ein Waschlappen, so ein Musterknabe, so ein Durchschnittsbürger es geschafft haben soll, die Frau ins Bett beziehungsweise auf die Couch zu bekommen.

Im Nachhinein eher undramatisch und auch gänzlich unsentimental. Trotzdem bleibt die Frage - wird er dabei erwischt? Verplappert er sich zu Hause? Oder verrät er sich in der Schule?

Immerhin geht das Spiel vierzehn Monate - mit Ausnahme der Ferien und den Feiertagen - bis alle über Theo und Iris Bescheid wissen. Nein nicht ganz - Sylvia erfährt nichts davon. Aber die Schüler, die wußten es - durch einen dummen Zufall. Und wäre Theo nicht so blöd gewesen, dann könnte er dienstags noch heute seine Nebenfrau haben .... so zumindest die Botschaft dieses Episodenromans von Joost Zwagerman, der sein Buch sehr monologhaft und einseitig aus der Sicht seines Theo Altena verfasst und den Versuch unternimmt, die gesellschaftliche Doppelmoral ein wenig auf seine spitze Schreiberfeder zu spießen.     © Thomas Haselberger


Joost Zwagerman - Die Nebenfrau
Aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf
Originaltitel: ©1994, De buitenvrouw
2000,Picus Verlag Wien, 276 S.

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Jetzt, drei Wochen nachdem sie ihn über sein wenig erfreuliches Image bei den jüngsten Schülern aufgeklärt hatte, war Iris bis auf ein T-Shirt nackt, und Theo lag mit zerknautschten Klamotten wie eine Playboy-Witzflgur neben Ihr auf der Dreisitzercouch. Es war April, die Glasschiebetür zum Garten hin stand offen. Sonnenlicht fiel mit pornographischer Schärfe auf ihre Körper. ... Theo war kein skrupelloser Liebhaber. Dies hier war nicht sein Haus und würde es auch nie werden. Nie wäre ihm in den Sinn gekommen Sidney Pompier sein Eheglück zu mißgönnen, besonders weil lris seine Ehe mit Sylvia immer respektiert hatte. Theo lief geradezu über vor Respekt, womöglich aus Schuld-, sicher aber aus Schamgefühl. Nicht eine Forderung stellte er an sie und hoffte insgeheim, seine demütige Gelassenheit würde die Schuld des Fremdgehens verkleinern.

Freigesprochen durch dumme, fragwürdige Entschuldigungen, gestattete Theo sich, was ihm an den Dienstagnachmittagen mit Iris das Liebste war: den Genuß, sie zu betrachten. S. 11

An Tagen, an denen sie gleich viele Stunden hatten, begleitete er sie nach der Arbeit manchmal bis zum Parkplatz. Stieg er danach in seinen Toyota, wackligen Schritts wie eine alte Jungfer blieb er, statt den Motor anzulassen, manchmal noch ein Weilchen sitzen. War es denn die Möglichkeit! Er schien tatsächlich infiziert mit dem Virus jener Kälberliebe, das Jahr für Jahr in den Schulklassen grassierte und unzählige Opfer forderte, total verknallt vor sich hin leidende Jungs und Mädels mit bleichen, hohläugigen Mienen, die herumliefen, als habe ihr letztes Stündlein geschlagen . . .

Er, Theo Altena, dieser komische Kauz von NiederländischIehrer, von dem manche Mädchen in den höheren Klassen schwärmten, er war wieder vierzehn, fünfzehn Jahrc alt und unterschied sich allenfalls äußerlich von all den bepickelten kleinen Mackern, die verzweifelt den Mädchen hinterherjagten, während das Testosteron ihre schlaksigen, lahmarschigen Gliedmaßen durchbrauste.

Eines Dienstagmorgens vor Schulbeginn traf er sie in der Lehrergarderobe. Sie hingen gleichzeitig ihre Mäntel auf. Gerade als er sie ansprechen wollte, kam Wassenaar, Chemie, herein und wollte ebenfalls seinen Mantel loswerden. S. 99

In fast jedem Schulkind lebte eine derartige Vorstellung von der fundamentalen Halbherzigkeit der Lehrerschaft. Theo hatte schon längst den Ehrgeiz verloren, seinen Ruf unter Schülern zu verbessern, indem er ihnen beflügelt zusprach. Diesen Elan ließ man besser zu Hause, wollte man nicht allzu ramponiert seine Arbeitsjahre durchstehen. Auch unter den Lehrern des Westfriesischen Kollegs befanden sich solche duften Typen, die erst seit kurzem eingestellt waren und mit manischer Energie ganze Theatervorstellungen während des Unterrichts zum Besten gaben. Die frischgebackenen Lehrkräfte meinten, ihren Schülern ein Quell der lnspiration zu sein, während die Kinder untereinander höhnten, in ihren Stunden könne man gut pennen oder herumalbern, oder schon mal die Hausaufgaben für Fächer machen, in denen sie weniger nachgiebige Lehrer hatten. Merkten die Neulinge, daß die Zeugnisnoten ihrer Klassen hinter dem Durchschnitt zurückblieben, steckten sie zurück und gaben ihr Gespringe und Geracker vor der Klasse auf. So war es auch Theo ergangen. In den ersten Monaten nach seiner Anstellung hatte er versucht, seinen Schülern "kommunikative Fähigkeiten" beizubringen, wie ihm in der Lehrerausbildung von Fachpädagogen eingeprägt worden war. Aber die Bedeutung dieser Fähigkeiten fiel ins Nichts, sobald man begriff, daß man ganz einfach eine Klasse aufs Abschlußexamen oder Abgangszeugnis hin zu trimmen hatte. Eltern und Schulleitung verlangten überprüfbare Ergebnisse.

Erzielten die Schüler im Vergleich zu anderen Klassen schlechtere Vorprüfungsergebnisse, dann hatte der Lehrer versagt. Auch die Schüler legten Wert auf konkrete Resultate. Da sie nun einmal der Schulpflicht unterlagen, interessierte sie nur der praktische Nutzen des Unterrichts. S. 132

Mit Sylvia war er beim Sex eins und unteilbar, wenn auch nicht den romantischen Gesetzen der mystischen Einswerdung gemäß. Mochten sie äußerlich auch mit gegensätzlichen Körpern behaftet sein, so waren sie doch schon bei den ersten Berührungen wie gleichartig, verblüffend kongruent, zwei doppelgeschlechtliche Homosexuelle als Heteros verkleidet. Im Bett (das hieß auf der Couch) mit Iris dagegen wurde auch die kleinste Handlung durch Distanz und Objektivierung bestimmt. In seiner Studentenzeit hatte Theo in einem Filmclub einmal "Annie Hall" gesehen und wie gebannt die Szene verfolgt, in der Diane Keaton im Bett mit Woody Allen buchstäblich aus sich heraustritt und in aller Nüchternheit sich selbst und ihren emsigen Liebhaber betrachtet. Bis dahin war er davon ausgegangen, daß nur Männer beim Sex aus ihrem Körper stiegen und zu Zuschauern ihrer selbst wurden. Im Unterschied zu Männern geschah es bei Diane Keaton allerdings nicht aus pornographischer Gier, sondern aus lauem Desinteresse. Bei einem Mann, der eine Frau vögelte, die er mehr begehrte als liebte, verließ der Geist den Körper, und das, was er empfand, wurde zum großen Teil von dem bestimmt, was er von sich und seinem Gegenüber sah. Das jedenfalls überkam ihn wieder und wieder mit Iris. Das Paradoxe war, daß er diese kritische Distanz brauchte, um mit ihr intim sein zu können. Dann wurde sein Körper ein einziges Auge, eine allessehende Kamera, die er nach Belieben bedienen konnte und mit der er seinen privaten Pornofilm drehte, als investiere er während der sexuellen Handlungen nicht in den augenblicklichen Genuß, sondern in die künftige Erinnerung an das in jenen Momenten Erlebte. Sex mit Iris war nicht die Erfüllung seiner Phantasie, sondern Nahrung für seine Vorstellungskraft. Am besten ließ sich das an der Qualität seiner Orgasmen ... S. 97
Lesezitate nach Joost Zwagerman - Die Nebenfrau


© by Thomas Haselberger
rezensiert am 09.07.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
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