Im Herbst 1998 erhält Martin Walser
den Friedenspreis des deutschen Buchhandels und sein gleichzeitig
erscheinender Roman "Ein springender Brunnen" zeigt,
daß er diese Auszeichnung für sein literarisches Werk
verdient.
Walser versetzt sich in seinem Buch zurück in die Person
des kleinen Jungen Johann, der seine Kindheit in der Provinz in
Süddeutschland verbringt.
In Wasserburg am Bodensee betreibt seine Mutter die Restauration
am Bahnhof, der Vater ist ein Schöngeist und Träumer.
Am liebsten spielt dieser Klavier und beschäftigt sich mit
Anthroposohpie und anderem esoterischem Schnickschnack. Er sieht
durchaus, daß die Familie mit den beiden Söhnen immer
am Existenzminimum herumkrebst und hin und wieder leistet er seinen
mehr als zweifelhaften finanziellen Beitrag zum Unterhalt mit
so genialen Ideen wie dem Aufbau einer Silberfuchsfarm. Seine
Lebensuntüchtigkeit im Alltag ist offenbar.
Allerdings erweckt er in seinem kleinen Sohn das Gefühl für
die Schönheit, den Klang, den Zauber der Sprache, die Faszination
an unbekannten Wörtern, die Johann auf Geheiß vom Vater
in einem Wörterbaum sammelt, einfach nur zum Anschauen. Schon
bald hat er eine bunte Mischung aus Popocatepetl, Bhagawadgita,
Rabindranath Tagore, Swedenborg...
Und diese Liebe zum Wort wird dem Jungen ein Leben lang bleiben.
Hat er doch auch eine Fülle an unterschiedlichen Klängen
jeden Tag in der Gaststube. Das Geschwätz am Stammtisch bei
dem immer öfter der Name "Hitler" und "die
Partei" fällt oder sonntags die Predigten des Pfarrers.
Der Vater ist strikt dagegen, daß die Mutter in die Partei
eintritt, doch sie sieht es unter dem ihr eigenen praktischen,
kaufmännischen Blick, denn jetzt fänden die wöchentlichen
Versammlungen der Parteimitglieder eben nicht mehr in der "Krone"
statt, sondern bei ihr in der "Restauration".
Walser nutzt die Zeit des Nationalsozialismus, die Jahre 1933
- 1945 als Kulisse vor der sich seine Kindheit abspielt. Er hält
den Blick des Jungen auf die politischen Gegebenheiten fest, ohne
sie mit dem heutigen Wissen zu werten.
Und so ist "der springende Brunnen" in erster Linie
ein Kindheitsroman, der das Coming Out und die Entwicklung eines
Sein ganzes Bestreben gilt Walser dem Heraufbeschwören und
Festhalten der Vergangenheit, so wie sie für ihn war, und
die Schwierigkeit dabei schreibt er gleich im ersten Satz: "Solange
etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen sein wird. Wenn etwas
vorbei ist, ist er nicht mehr der, dem es passierte." Martin
Walser erweist sich als ein Meister des Wortes und er spielt virtuos
mit den vielstimmigen Nuancen der erinnerten Sprache.
Martin Walser - Ein springender Brunnen |
1998, Frankfurt, Suhrkamp, 413 S., ehem. 48.00 DM
1998, Frankfurt, Suhrkamp, 405 S., ehem. 22.80 DM>
2001, Frankfurt, Suhrkamp, 405 S., Buch mit CD, 14 €
1998, München, Hörverlag, 4 Cassetten, ehem. 62 DM