Zunächst muß unbedingt gleich zu Anfang die profunde
Kenntnis des jungen Autors Dominik Weiss gelobt werden, mit der
er seinen Roman "Die Reise des Favonius" geschrieben
hat.
Selten erfährt man als Leser das umfassende Gefühl,
man wäre beinahe selbst dabeigewesen. Häufig ergehen
sich Autoren in belehrenden und im Endeffekt doch nur selbst angelesenen
Exkursen über Ess- und Trink, Schlaf- und Sexgewohnheiten
der Menschen damaliger Zeiten, die sie wie Inseln in ihren historischen
Roman einschleusen. Ein Aufsatz eben, abgegrenzt und alleinstehend
vom übrigen Text- und Geschichtenfluß - austauschbar.
Diesen planerischen Baukastenfehler begeht Dominik Weiss nicht;
en passent gelingt es ihm über die Welt zwischen Brigantium
(Bregenz), Summelocenna (Rottenburg) und Colonia Claudia Ara Agrippinensium
(Köln) zu berichten. Seine Romanfigur Favonius Sannio, ein
junger nobilis aus Rom, der vor der Dekadenz der Reichshauptstadt
zu entfliehen versucht, macht sich auf eine philosophische Forschungsreise
in die nördlichen Provinzen des römischen Reiches, um
das Leben der Barbaren zu studieren.
Im heutigen Sinne handelt es sich um einen Aussteiger, einen jungen
Nichtstuer, der jahrelang den Worten seines griechischen Lehrers
Plotinos in Rom gelauscht hat, und den jetzt Lust und Appetit
auf eigene Erfahrungen forttreiben.
Dabei ist Favonius keineswegs ein unüberlegter Abenteuerer
oder etwa ein religiöser Spinner: Mit sehr viel innerer Anteilnahme
kann der Leser ein Stück Werdegang, ein Stück Entwicklungsgeschichte
eines jungen Menschen miterleben, der danach fiebert seine philosophischen
und geistigen Erkenntnisse draußen in der rauhen und realen
Welt zu probieren und sein theoretisches Wissen am Leben zu verifizieren.
Mit seinem Reisebegleiter Verecundus verschlägt es ihn zu
Beginn des Romans in das Auxiliarlager Finis Mundi (dem Ende der
Welt) am Bodensee. Eigentlich hat er keine Ambitionen auf den
Militärdienst, doch läßt er sich von Verecundus
überzeugen an einem Feldzug der Legionäre gegen einen
alamannischen Stamm teilzunehmen.
Viele Verirrungen und Verwirrungen auf seinem Weg lassen ihn Einblicke
in die ortsansäßigen Machtverhältnisse und das
religiöse Leben der Bewohner gewinnen. Er nimmt an einem
germanischen Thing teil, an diversen Gastmählern,
darunter auch an einer sehr delikaten Festivität zu Ehren
des Gottes Bacchus, und kommt mit dem Kult der Pythagoreer
in Berührung. ( ... für das Bacchanal ist Weiss allerdings
noch zu jung.)
Das wirklich gelungene an dem Roman ist, dass sich Weiss nicht
an irgendwelchen bekannten historischen Persönlichkeiten
der Zeit festbindet und ihnen irgendwelche Motive für ihr
Handeln und ihre Politik in bester schriftstellerischer Manier
unterschiebt, sondern er läßt seine Figuren einfach
leben und gelegentlich auch sterben. Der Roman hat auch
nicht unbedingt einen Anfang und ein Ende, also auch kein schwülstiges
Happy End, sondern wirft nur ein Schlaglicht auf die damalige
Zeit im Grenzland, aber dieses dafür um so ausgeleuchteter
mit vielen wunderbaren Farben und Schattierungen in den Winkeln
und Ecken.
Ein handwerklich guter Schreibtrick sind auch die immer wieder
in den Roman eingeschobenen Briefe an den römischen Studienfreund
Porphyrio, in welchem dieser beinahe Antiheld Favonius sich in
philosophischen Abhandlungen und Überlegungen über seine
innere Seelenlandschaft ausläßt und damit dem Leser,
der diesen Favonius nur über große Strecken äußerlich
begleiten durfte, tiefe Einblicke in die Reflexion des Erlebten
gewährt.
Wirklich beachtlich, daß ein 24jähriger Autor bereits
über eine solche Ausdrucksfähigkeit und Schreibtechnik
verfügt. Man kann nur allen seinen Lehrern und vermutlich
auch dem Lateinlehrer danken, daß sie soviel bei Dominik
Weiss säen konnten.
Vale!