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Schön schräg
David Sedaris - Nackt
Es gibt Bücher, die sind hervorragend geeignet für kurze U-Bahnfahrten, andere dagegen wieder
für eine lange Reise mit der Bahn. David Sedaris´ "Nackt" gehört nicht in diese Kategorie und gut
wäre es, wenn gleich auf dem Umschlag ein großer Aufkleber warnen würde:
"Lesen Sie dieses Buch nicht in Gegenwart anderer Menschen oder gar mit vollem Mund."
In siebzehn Episoden hat der Amerikaner Sedaris, der auf dem Buchcover recht harmlos, freundlich und sympathisch
lächelt, autobiographische Erlebnisse festgehalten. Aber was für welche!
Es beginnt mit den Macken, die David während seiner Schulzeit befallen. Eigentlich sind die genau
sechshundertsiebenunddreißig Schritte des Heimwegs harmlos. Dabei hat er jedoch alle Briefkästen auf dem
Weg mit der Zunge anzutippen und auffallende Grashalme zu berühren. Wenn er allerdings vergessen hat den
Lichtschalter in der Schule abzulecken, dann muß das Spiel wieder von vorn wiederholt werden. Daß die
Lehrerin die Eltern Davids um ein Gespräch bittet ist leicht verständlich.
Doch die Eltern wie auch seine Schwestern sind für Lehrer nicht einfach zu verstehen.
"Die Mädchen in meiner Familie spielten nicht Puppenhaus mit Puppenherd; sie spielten
Puppenbesserungsanstalt mit Puppenberuhigunszelle."
Der Vater ist ein leidenschaftlicher Golfspieler, "man brauchte eine Sonnenbrille, um seinen Kleiderschrank zu
öffnen, so sehr bettelten all die bonbonfarbenen Pullover, aggressiven Sportsakkos aus Madras-Vorhangstoff und
schmerzhaft knalligen Polohemden um Aufmerksamkeit. Straßenarbeiter trugen solche Schockfarben, damit sie
auf größere Entfernung von Autofahrern gesehen wurden. Bei denen hatte es einen Sinn, aber welchen
Gefahren waren diese Golfer ausgesetzt?"
Und erst eine Einladung bei der aus Griechenland stammenden Großmutter Ya Ya. Gewöhnlich
verläuft dies so:
"Wir verbrachten den Nachmittag am Tisch der Ya Ya und aßen sehniges gekochtes Fleisch,
welches mit Spinatauflauf serviert wurde. Das Essen schmeckte, als wäre es Wochen zuvor gekocht und zum Altern
in einem muffigen Koffer aufbewahrt worden. Ihre Gerichte waren in etwas unangenehmem Feuchten und
Fremdartigem mariniert worden und wurden nicht in Töpfen und Pfannen gekocht."
Als die Ya Ya bei ihrem Sohn
zu Besuch ist, wird Davids Mutter dann doch etwas rechthaberisch, weil sie kategorisch darauf besteht, daß
in ihrem Haus keine Strümpfe in der Kloschüssel gewaschen werden, selbst wenn das früher in
Griechenland so üblich war.
Man könnte noch seitenlang aus diesem absolut schrägen Roman zitieren, der mit einer satten Portion
Komik das ganz normale Leben eines nicht ganz alltäglichen jungen Mannes erzählt. Der Garant, daß
den deutschen Lesern auch wirklich keine witzige Formulierung unterschlagen wird, ist Harry Rowohlt. Kenner wissen,
daß man sich auf ihn bei dieser Arbeit absolut verlassen kann. Er ist ein Meister des richtigen Tons.
David Sedaris - Nackt
Übersetzt von Harry Rowohlt
1999, Zürich, Haffmans Verlag, 351 S.,
2000, Mnchn, Heyne Verlag, 351 S., 9 € (TB)
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