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Unplugged Tom Coraghessan Boyle - Drop City
Wer Boyle liest, weiß dass er, der Kalifornier, so nach und nach die US-amerikanische Geschichte für sich aufarbeitet - ob erste
Kolonisation (Worlds End) oder auch der Zusammenbruch
des Ökosystems in einigen Jahrzehnten
Ist Boyle ein Pessimist? Ja und nein.
Man spürt, dass Boyle hier streckenweise wohl eigenes Erleben verarbeitet, eine Jugend im Aufbruch, in ihrer Haltung heroisch, in ihrer Lebenseinstellung naiv und blöd, an einem funktionierendem Gemeinwesen nur in ihren Drogenpausen interessiert, stinken die Probleme der Hippies, die mit vielleicht 40 Leuten und Kindern auf einer heruntergekommen Farm leben, im wahrsten Sinn des Wortes zum Himmel - überall um die Gebäude tritt man in "Ka(c)ktusse".
Keine 70er Nostalgie, wie man sie derzeit mit Oliver Geissen im deutschen Fernsehen hingenudelt bekommt, und aber auch kein Woodstock-Mythos, sondern der ungeschminkte Blick auf die Hippiekultur der 70er Jahre - eine weite Strecken schlichte, historische Betrachtung des damaligen amerikanischen Jugendlichen, die Durchgeknalltheit, die Musik, der Rausch, der Sex in Boyles präziser Sprache erfasst und beschrieben - allenthalben immer noch ein literarischer Leckerbissen, obwohl sein persönlicher Biss im Lauf der Schriftstellerjahre weniger hart ist, seine ironischen und witzigen Vergleiche seltener geworden sind, der kleine Bleistift des Lesers, mit dem man die tollen Passagen im Buch anstreicht ("Die Bäume waren an ihre Schatten angepflockt"), weniger zu tun hat, als in seinen früheren Romanen.
Norm Sender ist das Kommunenoberhaupt, er, schon etwas älter, hat die Farm seiner Eltern geerbt und sie zu einem Eldorado für Aussteiger, zu Drop City gemacht. Doch sein Ärger mit den Behörden eskaliert - der Sheriff lässt die Bulldozer anrücken.
Norm erinnert sich, dass sein Onkel eine Hütte in Alaska besaß - weit ab jeglicher Zivilisation. Also, was liegt näher, man bricht hier im warmen Süden die Zelte ab, kauft einen alten ausgedienten gelben Schulbus, pflastert ein Weidegatter auf das Dach des Buses, um die allgegenwärtigen Ziegen, die mit ihrer Milch die Hauptnahrungsquelle der Hippies darstellen, mitnehmen zu können.
"Vereinigte Washo-Schamanen" ziert zunächst die Flanken des Fahrzeugs, das später kiloweise in naiver Hippie-Pop-Art mit Farbe überzogen, röchelnd seinen Weg nach Alaska findet.
Dort angekommen sind die "Familien-Mitglieder" alles andere als willkommen, andererseits haben die lokalen Holz- und Fallenstellertypen an den "Bräuten" durchaus Interesse, so dass man sie gewähren lässt.
Der Winter allerdings wird brutal - Flower-Power meets Alaska-Natur. Dass das nicht gut gehen kann, wenn unerwachsene Kinder, bei minus 50 Grad ein bisschen Robinson spielen, kann man sich unschwer vorstellen.
Aber es wäre kein echter Boyle-Roman, wenn nicht die Gewalttätigkeiten des Daseins zuschlagen würden: Vergewaltigung, Verhaftungen, Unfälle, Schlägereien, Mordversuche und der kalte, einsame Tod - Boyle, das ist aus dem vollen Leben geschöpft, kreativ und mörderisch, verspielt, einfältig, weltfremd, und am Ende kommt die Natur, die Bestie, zu ihrem Recht.
Wohl keiner hat in den letzten 30 Jahren so genau auf den Glamour der Hippie-Kultur geschaut, manchmal bis ins Detail, wenn alle sich gegenseitig in einem ihrer Hunderten von Meetings anmachen, weil irgendjemand die Filzläuse eingeschleppt hat. Sex and Drugs and Rock'n Roll, aber so wie´s nun manchen Orts halt wirklich war, das bekommt man hier zu lesen.
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![]() ![]() ![]() © 26.10.2003 ![]() by Manuela Haselberger www.bookinist.de |