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Das Leben ist nicht lang genug, um es zu leben und auch noch zu verstehen.
S. 238


Lesezitat nach Pedro Juan Gutiérrez - Schmutzige Havanna Trilogie


Havanna von hinten
Pedro Juan Gutiérrez - Schmutzige Havanna Trilogie

edro Juan Gutiérrez wurde 1950 in Kuba geboren und die Liste seiner Tätigkeiten klingt vielfältig: Er arbeitet als Eis- und Zigarettenverkäufer, ist fünf Jahre Soldat, verdient seinen Unterhalt als Schwimm- und Kayaklehrer, als Zuckerrohrschneider, Landarbeiter, Bauinstallateur und technischer Zeichner. Er ist Maler, Bildhauer, Dichter und Journalist. Eine Menge Tätigkeiten, um das tägliche Brot zu verdienen. Und das ist in Kuba gar nicht so einfach.

Von diesem harten Kampf schreibt Gutiérrez in seinem Roman "Schmutzige Havanna Trilogie." Wer hier den Charme der Karibik erwartet, liegt falsch. Das Land Fidel Castros ist im Jahre 1994 völlig abgehalftert und heruntergekommen. Die meisten Inselbewohner hungern, haben keinen Job und wer kann, verlässt Kuba in Richtung Miami, um dort das erhoffte Glück zu machen. "Dreißig Jahre lang wurde jeder, der versuchte, in die USA zu fliehen, verfolgt und verhaftet, hingegen waren all diejenigen, denen es gelang, Haie, Wellen und Golfstrom zu überwinden, in Miami Helden für einen Tag."

Doch Pedro Juan, dessen Frau in New York lebt, flieht nicht. Er bleibt, hungert, schlägt sich mit Gelegenheits-Jobs durch und genießt das einzige, was auf Kuba in dieser Zeit im Überfluss zu haben ist: Frauen. Gutiérrez feiert Orgien, wann immer er kann. Etwas Rum und Marihuana lassen sich allzeit auftreiben und Sex wird überall angeboten. Es sind deftige Szenen, die er beschreibt. Havanna aus der Gosse, in Nahaufnahmen, versunken in einem Strom aus stinkenden Körperflüssigkeiten. Die Menschen, die ihm begegnen sind abgestumpft, arm, leben ohne Perspektive am Existenzminimum in einer Welt voller Aberglauben. "Man kann hier nur leben, wenn man verrückt oder besoffen ist oder schläft." © manuela haselberger


Pedro Juan Gutiérrez -
Schmutzige Havanna Trilogie
Originaltitel: Trilogía sucia de La Habana, © 1998
Übersetzt von Harald Riemann

© 2002, Hamburg, Hoffmann und Campe, 414 S., 20.90 € (HC)
© 2004, München, Goldmann, 420 S., 9.90 € (TB)
© 2002, München, Goldmann, 420 S., 11.95 € (CD)


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Fortsetzung des Lesezitats ...

Neues in meinem Leben

Heute früh steckte im Briefkasten eine rosa Karte von Marl Pawson aus London. In großer Schrift stand darauf in Englisch: »Am 5. Juni1993 hat irgend so ein Mistkerl das Vorderrad meines Fahrrads geklaut.« Das war jetzt ein Jahr her und er ärgerte sich immer noch darüber. Mir fiel der kleine Club in der Nähe von Marks Wohnung ein, wo Rodolfo jede Nacht einen Strip hinlegte und sehr erotisch tanzte, während ich mit Bongos, Kastagnetten, kehligem Gesang und was mir sonst noch so einfiel eine gewagte Musik aus tropischen Klängen improvisierte. Wir hatten viel Spaß, bekamen jede Menge Freibier und 25 Pfund pro Nacht bezahlt. Schade, dass es nicht von Dauer war. Aber Rodolfo war als schwarzer Tänzer sehr gefragt und ging nach Liverpool, um modernen Tanz zu unterrichten. Ich blieb ohne Geld zurück und wohnte bei Mark, bis ich mich langweilte und zurückkam.

Seitdem bemühte ich mich, nichts mehr ernst zu nehmen. Ein Mann darf viele kleine Fehler machen. Das spielt keine Rolle. Wenn die Fehler aber groß sind und auf seinem Leben lasten, bleibt ihm nur noch, sich nicht ernst zu nehmen. Nur so muss er nicht leiden. Anhaltendes Leiden kann tödlich sein.

Ich heftete die Karte hinter die Tür legte eine Kassette mit Armstrongs »Snake Rag« ein, und schon war mir leichter ums Herz und ich hörte auf zu grübeln. Bei Musik kann ich nicht denken. Und Jazz muntert mich erst recht auf, und ich muss dann tanzen, einfach so für mich. Ich trank eine Tasse Tee zum Frühstück, ging aufs Klo, las ein paar homosexuelle Gedichte von Allen Ginsberg und dann mit Verwunderung »Sphincter« und » Personals ad«. 1 hope my good old asshole holds out.Aber mir blieb nicht viel Zeit, mich zu wundern, denn zwei Freunde von mir kamen, zwei sehr junge, um mich zu fragen, wie ich die Idee fand, mit einem Floß von San Antonio Richtung Catoche aufs Meer hinauszufahren, oder ob es nicht besser wäre, nach Norden Richtung Miami aufzubrechen. Es waren die Tage des Exodus im Sommer 94. Eine Freundin hatte mir am Vortag telefonisch mitgeteilt:
»Alle Männer und jungen Leute hauen ab. Das wird uns Frauen ganz schön zu schaffen machen.« Ganz so war's dann doch nicht. Es blieben viele da, die so weit nicht weg leben konnten, trotz allem.

Also, ich bin ein bisschen auf dem Golf herumgeschippert und weiß, dass er eine Falle ist. Mit der Landkarte in der Hand überredete ich sie, nicht nach Mexiko abzuhauen. Und dann ging ich mit ihnen, um mir das große Floß für sechs Leute anzusehen. Es bestand aus Holzplanken, die mit Stricken über drei Flugzeugreifen geschnürt waren. Es sollte noch mit Taschenlampen, Kompass und bengalischen Lichtern ausgerüstet werden. Ich wünschte ihnen Glück und schwang mich aufs Fahrrad, um ein bisschen rumzufahren. Ich kaufte ein paar Stücke Melone und fuhr zu meiner Ex-Frau. Wir sind jetzt gute Freunde. So ist es besser für uns beide. Sie war nicht zu Hause. Ich aß ein bisschen Melone und ließ den Rest da. Ich hinterlasse gerne Spuren. Ich stellte die übrigen Stücke in den Kühlschrank und brach dann rasch auf. Zwei Jahre lang war ich in dem Haus glücklich gewesen. Es tat mir nicht gut, hier alleine zu sein.

In der Nähe wohnte Margarita. Wir hatten uns eine ganze Weile nicht gesehen. Als ich kam, wusch sie gerade ihre Wäsche und schwitzte. Sie freute sich, mich zu sehen, und wollte gleich unter die Dusche. Wir sind ein heimliches Liebespaar irgendwie muss ich es ja nennen - seit fast zwanzig Jahren, und wenn wir uns sehen, vögeln wir erst und unterhalten uns dann ganz entspannt. Also ließ ich sie nicht unter die Dusche. Ich zog sie aus und ließ meine Zunge über ihren ganzen Körper gleiten. Sie tat dasselbe: Sie zog mich aus und ließ ihre Zunge über meinen ganzen Körper gleiten. Vom Radfahren und von der vielen Sonne war auch ich ganz verschwitzt. Sie sah erholter aus, war etwas dicker geworden, nicht mehr nur Haut und Knochen. Ihre Schenkel waren wieder fest und rund, trotz ihrer sechsundvierzig Jahre. Schwarze sind so, alles Fasern und Muskeln und ganz wenig Fett und reine Haut ohne Mitesser. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, und nachdem ich ein bisschen mit ihr gespielt hatte und sie schon dreimal [ ... s´wird deftiger, Red. Bookinist ... ] Ich nicht. Mein Sinn fürs Groteske war schon immer sehr ausgeprägt und stets hellwach. Sex ist nichts für Weichlinge. Sex ist ein Austausch von Flüssigkeiten, Säften, Atem und strengen Gerüchen, Urin, Samen, Scheiße, Schweiß, Mikroben, Bakterien. Oder es ist kein richtiger Sex. Wenn es nur bei Zärtlichkeiten und ätherischer Spiritualität bleibt, ist es nur eine sterile Parodie dessen, was es sein könnte, also nichts. Wir duschten und waren dann bereit für einen Kaffee und ein Schwätzchen. Sie wollte, dass ich mit ihr nach El Rincón kam. Sie hatte ein Gelübde gegenüber San Lázaro zu erfüllen und bat mich, sie am nächsten Tag zu begleiten. Sie bat mich wirklich so liebevoll, dass ich zusagte. Das Wunderbare an den kubanischen Frauen - bestimmt auch an anderen in Amerika oder Asien - ist, sie können einen so zärtlich um etwas bitten, dass man es ihnen nie abschlagen kann.
Anders die Europäerinnen. Europäerinnen sind so spröde, dass sie einem jede Gelegenheit zu einem NEIN! geben. Und man fühlt sich richtig gut dabei.

Anschließend fuhr ich nach Hause zurück. Der Nachmittag war schon kühler geworden. Ich hatte Hunger. Kein Wunder, ich hatte ja auch nur eine Tasse Tee, ein Stück Melone und einen Kaffee im Magen. Zu Hause aß ich ein Stück Brot und trank noch etwas Tee. Langsam gewöhnte ich mich an viel Neues in meinem Leben. Ich gewöhnte mich an die Armut und daran, alles zu nehmen, wie es kam. Ich übte mich darin, alle Verbissenheit abzulegen, andernfalls würde ich nicht überleben. Immer hatte mir etwas gefehlt. Immer war ich unzufrieden gewesen, wollte alles auf einmal, kämpfte hartnäckig um mehr. Jetzt musste ich lernen, dass ich nicht alles auf einmal bekam, und mich mit fast nichts zu begnügen. Aber sonst hätte ich auch nur mit meiner tragischen Sicht vom Leben weitergemacht. Insofern machte mir die Armut nicht mehr viel aus.

Dann rief Luisa an. Sie wollte übers Wochenende kommen. Luisa ist eine Wahnsinnsfrau. Vielleicht etwas zu jung für mich. Macht nichts. Macht alles nichts. Es fing an zu regnen, es donnerte, heftige Windböen setzten ein, und die Luft war entsetzlich schwül. So ist das in der Karibik, Gerade scheint noch die Sonne, und auf einmal kommt heftiger Wind auf, es regnet, und plötzlich ist man mitten in einem Orkan. Ich brauchte ein bisschen Rum, aber das war jetzt unmöglich. Zwar hatte ich etwas Geld, aber es gab nichts zu kaufen. Ich legte mich schlafen. Ich war verschwitzt und die Laken waren schmutzig, aber ich mag meinen eigenen Körpergeruch. Er erregt mich. Und Luisa musste jeden Moment kommen. Wahrscheinlich schlief ich ein. Wenn der Wind stärker werden und das Dach abdecken sollte, war mir das egal. Alles war egal.S. 7-10

Lesezitate nach Pedro Juan Gutiérrez - Schmutzige Havanna Trilogie


Bookinists Buchtipp zu


Schwarze Tage, weiße Nächte

von Philippe Djian
Männerfantasien




© 21.2.2002 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de