... reinlesen


<<   weitere Bücher   >>


Ein kleiner Skandal?
Hans Pleschinski - Bildnis eines Unsichtbaren

ans Pleschinski wurde einem breiten Publikum vor allem durch die Herausgabe und hervorragende Übersetzung der Briefe Madame de Pompadours bekannt. Sein neues Buch "Bildnis eines Unsichtbaren" ist ganz anders. Es ist ein sehr persönlicher, autobiografischer Roman, in dem Pleschinski die Zeit der Freundschaft mit Volker Kinnius beschreibt. Über dreiundzwanzig Jahre lebten die beiden Männer in einer sehr engen Beziehung zusammen, die weit über das Sexuelle hinausging.

Der Titel erweist sich als Wegweiser, Volker ist der heute Unsichtbare, denn er ist tot. Gestorben an den Folgen von Aids und einer Krebserkrankung. Pleschinski setzt mit der Beschreibung der Jahre, die sie zusammen verbracht haben, dem verstorbenen Freund ein wunderbares Denkmal, wortgewandt, sprachgewaltig und in einem überaus eleganten Stil.

Gleichzeitig entsteht so ein sehr farbiges Bild des Lebens als Boheme, denn Volker hat sich als Galerist nie gesellschaftlichen Erfordernissen angepasst. Beide Männer leben zu Beginn ihrer Freundschaft für die schönen Künste. Malerei, Musik, Theater, Literatur, das Schöne, das sind ihre Themen in langen, tagefüllenden Gesprächen. "Dann wieder wurde Sprache zur Unterfütterung der Welt, ihr wackeliges Gerüst, und die Malerei wieder zum Prisma, das Theater zum Spiegel der Regungen. Alle Künste im Wechselspiel, alle unersetzlich."

Im Hintergrund entwirft Pleschinski ganz nebenbei auch eine sehr genaue politische und gesellschaftliche Geschichte Deutschlands von Kriegsende bis zur Gegenwart.

In das unbeschwerte Bohemeleben schlägt Aids wie eine Bombe ein. Viele Namen im Adressbuch sind in der Zwischenzeit gelöscht, die Krankheit hat erbarmungslos gewütet.

Die Liebe zwischen Volker und Hans ist schwierig, Hans geht immer wieder wechselnde Beziehungen zu Frauen und Männer ein. "Meinen Fang mußte ich, nach sehr langem Zögern Volker vorführen. Ich wünschte, daß sich mein Lebensgefährte und mein Geliebter verstünden, einander und vor allem mich von beiden Seiten bereicherten." Eifersucht? Sie ist auf jeder Seite, auch wenn sie intellektuell bekämpft wird, unterschwellig immer vorhanden.

"Bildnis eines Unsichtbaren" ist ein Roman zum Abschied. "Es taucht eine Lebensgeschichte auf. Wenn man, im neutralen Sinne, so will: eine bemerkenswerte, wenn auch nicht sehr laute Geschichte."


Hans Pleschinski - Bildnis eines Unsichtbaren

© 2002, München, Hanser Verlag, 271 Seiten,19.90 € (HC)




... reinlesen

Was geschah?

Die Silvesternacht zum Jahr 2000 verbrachte ich in Paris. Nach vielen Jahren besuchte ich Serge. Ich hatte Paris und damit ihn gemieden, da ich meinte, nicht noch mehr Leid ertragen zu können. Durch Aids wirkte Paris entvölkert, entzaubert. Lange hatten sie an der Seine geglaubt, dem Virus mit Rotwein und Knoblauch Paroli bieten zu können. Am Ende war Serge auf 43 Beerdigungen gewesen. Die Ile-Saint-Louis, einst Hochburg unkonventioneller Lebensfreuden, war eine stille Insel geworden. Serge selbst besaß nun woanders eine winzige Wohnung, immerhin mit Blick aufs Quartier Latin. Nur noch jedes vierte Wochenende verbrachte er in Paris. Die übrige Zeit arbeitete er von früh bis zur Abenddämmerung auf dem kleinen Weingut seiner betagten Eltern im Roussillon. Durch seinen Großvater war er ein Viertel-Spanier und hatte sich, nach furiosen Zeiten in der Hauptstadt, in einen Weinbauern verwandelt.

Mit achtzehn war er nach der Lektüre von Rimbauds Gedicht Das trunkene Schiff nach Paris aufgebrochen. Mit den Versen "Ja ich, den Winter im Wesen, beflog das Gewoge, stürzte mich leibhaft und taub, wie ein kindlicher Hirnbrei, dahin über treibende Halbinseln, Höllenprologe: Ins Tohuwabohu der siegreichen Weltsudelei", mit diesem Feuer war Serge von Zuhause auf und davon.

Serge war kein intellektueller Mensch und hatte keine Ambitionen, Aber seine spanisch-pyrenäische Ausstrahlung, dazu die schlanke Gestalt bewirkten, daß sich ihm in Paris viele Türen öffneten. Leute wie Patrice Chéreau, sein Freund, der Dramatiker Bernard Koltès, der junge Schriftsteller Hervé Guibert, der Starregisseur Robert Wilson lernten ihn irgendwo kennen und bezogen ihn gerne in alle möglichen Eskapaden ein. "Nehmen wir doch Serge mit." - "Gehen wir bei Serge vorbei." Wenn er seine Tür öffnete, fragte er "Ca va?", bot einen Aperitif an und suchte sich eine Jacke fürs Ausgehen. Ich glaube, selbst den Namen von Wilson konnte er, in einer landesüblichen Nachlässigkeit, nicht korrekt buchstabieren. Doch schließlich lebte der Texaner in Paris, und nicht Serge in Texas.

Mein Freund bewohnte bestenfalls dreißig Quadratmeter und hatte Holzstühle mit geflochtenem Sitz um den kleinen Tisch gruppiert. An der Wand hing eine Reproduktion von Hieronymus Boschs Paradies, das mit seinen Monstern dem Ausflug eines Irrenhauses ins Grüne glich. Das Matratzenlager, in Reichweite der Spüle, war ein Pariser Durchlauferhitzer. Manchmal beherbergte die Unterlage lange Leidenschaften. Dann wieder drängten sich dort die Bekannten, die ihre letzte Metro verpaßt hatten. Manche von ihnen schliefen unter den dünnen Leinenlaken wegen eines Kummers unglücklich ein, aber nicht allein, so daß sie dann längst nicht mehr so unglücklich waren. Es kam auch zu Orgien zu fünft, zu neunt.

Serges Franzosen, Bretonen, die Vorstadtgauner - les loubards, deren Lässigkeit er ziemlich verfallen war -, Stricher, die eine intakte Anlaufstelle schätzten, Amerikaner, malende Exil-Russen, durchreisende Schweden, sie alle hatten bei den spontanen Diners viel zu erzählen und zu diskutieren. Die Worte gingen in der Pariser Luft nie aus. Selbstverständlich hatten auch Callboys Werner Herzogs neuesten Film "Kaspar Hausér" gesehen und verfochten ihre Meinung über "deutsche Melancholie", die "Sprachlosigkeit des modernen Menschen", bevor sie wortreich zu krassen Exempeln des "nicht eßbaren Essens in Amsterdam" übergingen. Brüssel schien der nördlichste Ort zu sein, wo Pariser Gigolos einen Happen zu sich nehmen konnten.

Serge neigte zum Geiz. Gäste mußten Wein mitbringen. Der peruanische Botschaftssekretär hatte Baguette zu besorgen. Für Steaks, die auf dem Zwei-Flammen-Herd in die Eisenpfanne geworfen wurden, wurde eine Umlage veranstaltet.

Ein polnischer Photograph raspelte vor der Dusche Karotten. Garotin mochten alle, für den Teint. Perfekt französisch mußte niemand sprechen. Mit seinem eigenen starken Akzent aus dem Midi fand Serge den radebrechenden Polen, der Dringliches über Welt, Zeit und Sein zu sagen hatte, unterhaltsam. So wurde meistens im schlichten Präsens palavert. "Wenn Kolumbus Amerika entdeckt, bleibt es ein Anhängsel Europas." Nur bei allzu schmerzlichen Vergewaltigungen ihrer Sprache schritten auch französische Arbeitslose ein: "Le fromage, Igor!
Le contrôle! La Republique et la Méditerranée, la!"

So kam ein erotischer Salon mit fortwährend wechselndem Personal zustande. Bisweilen nahm eine greise Spanierin, Le Mercedes, zwischen den jungen, attraktiven Eroberern ihrer Welten Platz. Die längst kleingeschrumpfte Le Mercédès flocht meistens etwas über das Leben und die Moden in Madrid vor 1950 ein. Ich habe nie erfahren, woher Serge die beschwingte Senora in schwarzen Spitzenblusen kannte, und weshalb die beiden so vertraut waren. Die gewiß fast Achtzigjährige, mit ihrem um Generationen älteren Granatschmuck, thronte zwischen den Hähnen, verabschiedete sich beizeiten mit einem Kopfnicken und war abermals hinreichend bespült mit Varianten von Liebeskummer, Einschätzungen der Präsidentschaft Valéry Giscard d'Estaings und Hymnen über das neuerdings beste Theater Frankreichs, "Je crois d'Europe!", die Cartoucherie von Ariane Mnouchkine.

Serge Garcia war meine zweite große Liebe. Nach einer großen, frühen, heimatlichen. Serge war zwanzig geworden, ich war gerade neunzehn, als ich 1975 mit der Interrail-Karte "ach Paris fuhr. Es geschah zwischen Abitur und Zivildienst. Mit dem Pflanzen von Bäumen, vornehmlich von frostbeständigen Douglasien, in den Forsten der Lüneburger Heide hatte ich mir genug Geld für die Reise verdient. Als Unterkunft bei Paris hatte mir eine Klassenkameradin die Jugendherberge im Vorort Arpajon empfohlen. Dort könnte ich selbst und billig kochen, hatte Karin geschwärmt, und man fände leicht Anschluß: "Das ist eine kleine Herbergsgenossenschaft."

Ich hatte mein silbernes Taufbesteck eingepackt, um in den Turbulenzen einer Rucksackreise etwas Stilvolles hei mir zu haben. Bereits in Münster war ich im Zug, wegen des Bestecks und meines Zinnbechers mit Reisenden ins Gespräch gekommen.
"Hübsch... Passen Sie auf, daß es nicht gestohlen wird."
"Den Becher hab' ich auf einem Reitturnier gewonnen."

Die Jugendherberge in Arpajon erwies sich als ausgebaute Gartenlaube mit insgesamt zwölf Betten. Je sechs in zwei Verschlägen, einer für jedes Geschlecht. Nach einer unruhigen Nacht im Heroin-Park von Amsterdam, in dem ich ahnungslos hatte schlafen wollen, fielen mir mittags in Arpajon sofort die Augen zu.

Als ich aufwachte, saß Serge auf dem gegenüberliegenden Bett. Einen so schönen Mann hatte ich noch nie gesehen. Seine schwarzblauen Locken fiel über die Schultern eines weißen Overalls. Er fragte nichts, sondern blieb auf der Bettkante sitzen.
Obwohl ich zur Feigheit neige, war wohl ich es, der sagte:
"Bonjour."
"Bonjour. Woher kommst du?"
"Aus Deutschland. Niedersachsen."
"Was machst du in Paris?"
Betäubt von diesem unvermuteten Kontakt - dazu im Bannkreis einer gefährlichen Weltstadt - antwortete ich, mich langsam im Drahtbett aufrichtend, der Wahrheit gemäß: "Ich will in die Pariser Oper gehen."
Serge lebte erst seit vier Wochen in Paris. Er hatte einen Job in einer pharmazeutischen Firma gefunden. Er fütterte Versuchsmäuse. Abends, noch im Arbeitsdress, half er beim Saubermachen in der Jugendherberge aus. Er fragte kurz nach:
"In die Oper? War ich nie. Da komme ich mit."
Ein, zwei Stunden später packte ich in seiner Vorort-Bleibe, mit Klo unter der Treppe am Hauseingang, meine Zweithose und mein Besteck aus.
"Deutschland ist auch schön", sagte ich.
"Nur Kühe und Kartoffeln", mußte ich hören. Er war noch mit dort gewesen.

Die Nacht wurde eine der schönsten. Es war mir schon damals rätselhaft, woher wir all die Energie für die Raserei, bis ins Morgengrauen, nahmen. Rimbauds Porträt hing an der Wand, und wir glaubten, uns umbringen zu müssen, weil in unseren Lehen nichts Sinnlicheres mehr geschehen konnte.

In der Früh gab ich ein Vermögen für Pâtisserie und wunderbar-seltsame Pasteten mit Pistazienschicht aus. Ich begleitete Serge zur Arbeit und wartete vor der Fabrik. Am Abend saßen wir in der Oper, im Palais Garnier, wo Die Krönung der Poppea gegeben wurde. Mit der Herrlichkeit der Musik Monteverdis - von dessen Existenz keiner von uns etwas gewußt hatte - ging es unweigerlich ins Barock. Aber die barocke Weltauffassung kam uns zupaß: Jauchzend die Freuden genießen, theatralische Abstürze, Jammer in Kauf nehmen. Dann wieder mit Gefühlen und Stimmung himmelan.

Gemeinsam entdeckten wir Versailles. Für uns einander glühend liebende Landkinder wurde der Palast zur Offenbarung. Versailles - diese Pracht auf Erden - war der Beweis, daß das Leben ein Fest sein konnte. Man mußte es nur inszenieren und souverän sein, wie der Sonnenkönig. Was für ein Aberwitz, mitten im Sumpf zu nichts tauglich als zur Schönheit, den größten Palast zu bauen, um in dieser Eroberung zu regieren und zu repräsentieren! Ludwig XIV. hatte das Chaos des Lebens in den Griff bekommen. Alles kreiste um ihn. Und er belohnte mit Glanz und Kultur. Versailles erschien uns als der Triumph der Zivilisation. In den Raumfluchten hatten Menschen, je nach Lage der Dinge, gemessen, höflich oder anarchisch und aufgewühlt gelebt. Im Glanz der Sonne, in einem endlosen Park. Das meiste in Europa war, nachher, kleiner und kleinlicher geraten. S. 7-11

Lesezitate nach Hans Pleschinski - Bildnis eines Unsichtbaren










 WERBUNG
 amazon shop


Titel von
Hans Pleschinski
 Audiobook



Madame de Pompadour.

Briefe. Ich werde niemals vergessen, Sie zärtlich zu lieben.
© 2000

 Taschenbuch



Ostsucht.

Eine Jugend im deutsch-deutschen Grenzland.
© 1993



Madame de Pompadour.

Briefe. Ich werde niemals vergessen, Sie zärtlich zu lieben.
© 2001



Briefwechsel Voltaire / Friedrich der Große.

© 2001



Liebesordnungen.

Kursbuch, Heft 144. Hrsg. Ina Hartwig
© 2001

 Hardcover



Madame de Pompadour.

Briefe. Ich werde niemals vergessen, Sie zärtlich zu lieben.
© 1999



Zerstreuung.

Spanische Novelle.
© 2000



Byzantiner und andere Falschmünzer.

Elf Lichter im Dunkel.
© 1997


© 28.8.2002 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de