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Bookinists Buchtipp zu


Was gut und böse ist

von P.D. James





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Der Anruf für Dalgliesh kam um zehn Uhr vierzig, kurz bevor er von einer Sitzung des Ausschusses zur Integrationsförderung in sein Büro zurückkehrte. Das Treffen hatte - wie immer bei solchen Gremien - länger gedauert als vorgesehen, und ihm blieben nur noch fünfzig Minuten, bis er mit dem Polizeichef im Büro des Innenministers im Unterhaus zu erscheinen hatte. Gerade noch genügend Zeit für einen Kaffee und um ein paar Telefonate zu erledigen. Aber er saß kaum am Schreibtisch, als seine Assistentin den Kopf zur Tür hereinsteckte.
»Mr. Harkness bittet Sie, noch rasch in seinem Büro vorbeizuschauen. Sir Alred Treeves ist bei ihm.«

Was hatte das nun zu bedeuten? Sir Alred wollte natürlich etwas, wie eigentlich alle, die einen leitenden Beamten des Yard aufsuchten. Und was Sir Alred wollte, das setzte er auch durch. Man brachte es nicht bis zum Vorstand eines der erfolgreichsten multinationalen Konzerne ohne ein instinktives Gespür für die diffizile Klaviatur der Macht - im Kleinen wie im Großen. Wie alle, die mit offenen Ohren im einundzwanzigsten Jahrhundert angekommen waren, kannte natürlich auch Dalgliesh Sir Alreds Ruf. Der Mann galt als fairer, ja großzügiger Chef eines leistungsstarken Stabes, als Mäzen, der aus seinem Treuhandvermögen freigebig für karitative Zwecke spendete, und als renommierter Sammler zeitgenössischer europäischer Kunst. Vorzüge, die freilich von Voreingenommenen leicht umgemünzt werden konnten; dann er-schien Treeves als einer, der Versager unnachsichtig schasste, sich werbeträchtig als Förderer medienwirksamer Belange in Szene setzte und als Investor auf langfristige Kapitalerträge spekulierte. Selbst sein Ruf als herrischer Choleriker war ambivalent. Da er seine Grobheiten willkürlich und ohne Ansehen der Person austeilte und die Mächtigen ebenso darunter zu leiden hatten wie die Schwachen, bewunderte man ihn letztlich als aufrechten Verfechter des Gleichheitsprinzips.


Lesezitat nach P.D. James - Tod an heiliger Stätte


Mord im Kloster
P.D. James - Tod an heiliger Stätte

P. D. James gehört zu den Autorinnen, auf die man sich einfach verlassen kann, wenn man als Krimileser auf der Suche nach einem Klassiker des Genres ist. So ist ihr neuer Wälzer "Tod an heiliger Stätte" nicht unbedingt ein Häkelkrimi à la Agatha Christie, doch die mysteriösen Tode hinter Klostermauern werden schon in einem sehr beschaulichen Ambiente und einem überaus gemächlichem Tempo erzählt. Daran ändert auch der schicke Jaguar von Adam Dalgliesh, dem Spitzenermittler von Scotland Yard, überhaupt nichts.

Dalgliesh hat den Auftrag zunächst den Tod eines jungen Klosterschülers aufzuklären, wobei nicht sicher ist, ob es sich um einen unglücklichen Unfall, Selbstmord oder gar Mord handelt. Während seines Aufenthalts bei den Patres geschieht ein neuer, sehr brutaler Mord direkt vor dem Altar. Der Kreis der Verdächtigen ist zwar eng umrissen, doch je länger Dalgliesh und seine Leute mit den anwesenden Personen im Kloster sprechen, - es sind nicht nur Studenten und Priester, sondern auch mehrere Hausangestellte -, umso verworrener stellt sich für das Team die Ermittlungslage dar. Plötzlich gerät jeder der Beteiligten in Verdacht, weil alle krampfhaft damit beschäftigt sind, Dinge aus der Vergangenheit zu verheimlichen.

»Also wird das einer von diesen hermetischen Fällen, [...] wo alle Verdächtigen unter einem Dach versammelt sind und wir wie die Katze um den heißen Brei herumschleichen müssen, damit niemand persönlich beim Polizeichef interveniert oder gar beim Erzbischof von Canterbury Beschwerde einlegt.«

Schnell wird Dalgliesh klar: Auch an heiligen Stätten spielt der schnöde Mammon eine nicht zu vernachlässigende Rolle, eine schöne Frau spinnt ihre Fäden und eine alte Geschichte um ein uneheliches Kind wird neu aufgerollt. Ein Krimi, der schonend mit ihren Nerven umgeht. Im besten Sinne old-fashioned.
© manuela haselberger


P.D. James - Tod an heiliger Stätte
Originaltitel: Death in Holy Orders, © 2001
Übersetzt von Christa E. Seibicke
© 2002, München, Droemer Knaur Verlag, 544 S., 22.90 €
© 2003, München, Droemer Knaur Verlag, 544 S.,  8.90 €




Fortsetzung des Lesezitats ...

Als Dalgliesh mit dem Lift in den siebenten Stock hinauffuhr, erwartete er sich zwar nicht viel Gutes, aber seine Neugier war geweckt. Zumindest würde die Unterredung relativ kurz ausfallen, denn um pünktlich im Innenministerium zu sein, würde er um Viertel nach elf aufbrechen müssen. Und wenn es um Prioritäten ging, war dem Innenminister selbst einem Sir Alred Treeves gegenüber der Vorrang sicher.

Der stellvertretende Polizeichef und Sir Alred standen neben dem Schreibtisch, und als Dalgliesh eintrat, wandten beide sich nach ihm um. Wie oft bei Prominenten, die man bislang nur aus den Medien kannte, war auch bei Treeves der erste Eindruck gewöhnungsbedürftig. Er war stämmiger als im Fernsehen, seine Gesichtszüge waren weniger scharf konturiert, ja, die ganze Erscheinung wirkte nicht so markig und attraktiv wie am Bildschirm. Dafür kam der Eindruck des Machtmenschen, der seine Position sichtlich genoss, in natura noch stärker zum Tragen. Sir Alred hatte die Eigenheit, sich wie ein wohlhabender Landwirt zu kleiden: Außer bei hochoffiziellen Anlässen trug er stets gut geschnittene Tweedanzüge. Und wirklich hatte er etwas Bodenständiges an sich mit den breiten Schultern, den leicht geröteten Wangen, der vorspringenden Nase und dem ungebärdigen Haar, das kein Friseur zu bändigen versuchte. Es war sehr dunkel, fast schwarz mit einer silbernen Strähne in der Mitte, von der Stirn nach hinten gekämmt. Bei einem Mann, der mehr Wert auf sein Äußeres legte, wäre Dalgliesh womöglich der Verdacht gekommen, diese Strähne könnte gefärbt sein.

Als Dalgliesh vor ihm stand, musterte Treeves ihn ganz unverhohlen unter buschigen Brauen. »Ich glaube, die Herren kennen sich«, sagte Harkness.

Sie gaben sich die Hand. Sir Alreds Hand war kühl und kräftig, aber er zog sie gleich wieder zurück, wie um zu unterstreichen, dass dieser Händedruck nur eine Formalität gewesen sei. »Wir sind uns einmal begegnet, ja«, sagte er. »Ende der achtziger Jahre, bei einer Tagung des Innenministeriums, nicht wahr? Über strategische Maßnahmen zur Sanierung von Großstädten. Ich weiß nicht, wie ich da hineingeraten bin.« »Ihr Konzern hat eines der Projekte im Rahmen der Initiative zur Stadterneuerung mit einer großzügigen Spende bedacht. Ich glaube, Sie wollten sich persönlich davon überzeugen, dass das Geld auch sinnvoll verwendet wurde.«

»Richtig, ja. Die Chancen standen allerdings ziemlich schlecht. Junge Menschen wollen eine gut bezahlte Arbeit, für die es sich lohnt, morgens aufzustehen, und keine Ausbildung für Berufe, die es gar nicht gibt.«

Dalgliesh erinnerte sich an den Anlass. Es war die übliche perfekt inszenierte PR-Aktion gewesen. Von den teilnehmenden hohen Beamten oder Ministern hatte sich kaum einer viel davon versprochen, und es war auch kaum etwas dabei herausgekommen. Treeves hatte eine Reihe sachdienlicher Fragen gestellt, die Antworten skeptisch kommentiert und war noch vor dem Resümee des Innenministers gegangen.
Warum hatte er sich überhaupt die Mühe gemacht zu kommen, und warum hatte er für das Projekt gespendet? Vielleicht war auch das eine PR-Aktion gewesen.

Harkness deutete zerstreut auf die schwarzen Drehsessel vor dem Fenster und murmelte etwas von Kaffee.
»Nein, danke, nicht für mich«, sagte Treeves schroff und in einem Ton, als hätte man ihm ein esoterisches und um drei viertel elf am Vormittag ganz indiskutables Getränk angeboten.

Sie setzten sich mit der drohenden Wachsamkeit dreier Mafiabosse, die zusammengekommen sind, um ihr jeweiliges Territorium zu verteidigen. Treeves sah auf seine Uhr. Sicher hatte er für diese Unterredung einen Sondertermin erhalten. Er war vielleicht sogar eigenmächtig erschienen, ohne vorherige Anmeldung und ohne sein Anliegen bekannt zu geben. Damit war er natürlich im Vorteil. Er war einfach von der Überzeugung ausgegangen, dass der stellvertretende Polizeichef Zeit für ihn finden würde, und er hatte Recht behalten.

Jetzt sagte er: »Vor zehn Tagen kam mein älterer Sohn Ronald - übrigens ein Adoptivkind - bei einem Klippeneinsturz in Suffolk ums Leben. Sandrutsch wäre der treffendere Ausdruck. Die Klippen südlich von Lowestoft werden schon seit dem siebzehntenjahrhundert vom Meer ausgehöhlt. Der Junge ist unter dem Sand erstickt. Ronald studierte im Priesterseminar St. Anselm am Ballard's Mere, einer altanglikanischen Einrichtung mit Weihrauch und Glockengeläut.« Er wandte sich an Dalgliesh. »Sie kennen sich doch in diesen Kreisen aus, oder? War Ihr Vater nicht Pastor?«

Und woher, fragte sich Dalgliesh, wusste Sir Alred nun das wieder? Wahrscheinlich hatte er es irgendwann gehört, sich dunkel daran erinnert und jetzt einen seiner Lakaien beauftragt, es zu recherchieren, bevor er sich zu dieser Unterredung aufmachte. Ein Mann wie er informierte sich prinzipiell so umfassend wie möglich über die Leute, mit denen er zu tun hatte. Wenn dabei Nachteiliges ans Licht kam, umso besser, und im Übrigen war jedes persönliche Detail, über das er ohne Wissen der Gegenseite verfügte, ein willkommenes und potenziell nützliches Machtinstrument »Ja, er war anglikanischer Pfarrer in Norfolk«, sagte Dalgliesh.
»Ihr Sohn studierte Theologie, um Geistlicher zu werden?«, fragte Harkness.
»Meines Wissens taugt das, was man ihn in St. Anselm lehrt, zu keinem anderen Beruf.«

Dalgliesh sagte: »Über den Toten in Suffolk stand etwas im Polizeibericht, aber ich erinnere mich nicht, dass eine gerichtliche Untersuchung erwähnt wurde.«
»Kein Wunder. Der Fall wurde sehr diskret behandelt. Tod durch Unfall. Dabei hätte man die Möglichkeit einer Straftat offen lassen sollen. Und wenn der Rektor und die Mehrzahl des Kollegiums nicht dagesessen hätten wie eine Phalanx schwarzgewandeter Leibwächter, dann hätte der Gerichtsmediziner wahrscheinlich auch den Mut gehabt, sich eine eigene Meinung zu bilden.«

»Sie waren dabei, Sir Alred?«
»Nein, aber mein Anwalt. Ich war in China, zu schwierigen Vertragsverhandlungen in Peking. Zur Einäscherung war ich wieder hier. Wir haben den Leichnam nach London überführen lassen. St. Anselm hat irgendeinen Gedenkgottesdienst - ich glaube, es nannte sich Requiem - ausgerichtet, aber weder meine Frau noch ich haben daran teilgenommen. Ich habe mich dort nie wohl gefühlt. Gleich nach der gerichtlichen Untersuchung habe ich dafür gesorgt, dass mein Chauffeur und ein zweiter Fahrer Ronalds Porsche zurückholten, und das Seminar händigte ihnen seine Kleidung, seine Brieftasche und die Armbanduhr aus. Norris, mein Chauffeur, brachte das Paket mit. Viel war nicht drin. Die Studenten sind gehalten, nicht mehr als das Nötigste an Kleidung mitzubringen, einen Anzug, zwei Paar Jeans nebst Hemden und Pullovern, Schuhe und die schwarze Soutane, die die Seminaristen zu tragen haben. Ronald hatte natürlich auch ein paar Bücher, aber die habe ich St. Anselm für die Bibliothek überlassen. Schon merkwürdig, wie rasch man ein Menschenleben aufräumen kann. Tja, und dann bekam ich vorgestern das da.«

Sir Alred holte in aller Ruhe seine Brieftasche heraus und entnahm ihr ein Blatt Papier, das er Dalgliesh reichte. Der überflog es und gab es dem stellvertretenden Polizeichef. Harkness las laut vor: »Warum stellen Sie keine Nachforschungen über den Tod Ihres Sohnes an? Kein Mensch glaubt wirklich an einen Unfall. Aber diese Pfaffen werden ihrem guten Namen zuliebe alles vertuschen. In diesem Seminar geschieht so manches, was endlich mal an die Öffentlichkeit gehörte. Wollen Sie die Schuldigen ungestraft davonkommen lassen?«

Treeves sagte: »Für mich grenzt das hart an eine Mordanklage.«
Harkness gab Dalgliesh den Brief zurück. »Aber ohne Beweise«, sagte er, »ohne ein mögliches Motiv und ohne die Nennung eines Verdächtigen könnte genauso gut ein Witzbold dahinter stecken, oder? Vielleicht jemand, der dem Seminar schaden will?«

Dalgliesh wollte Treeves den anonymen Brief zurückgeben, doch der winkte unwirsch ab. »Natürlich«, sagte er. »ist das eine Möglichkeit, und ich nehme an, Sie werden sie nicht ausschließen. Ich persönlich nehme die Sache allerdings ernster. Natürlich ist der Wisch auf einem Computer erstellt worden, also keine Chance auf das notorische verrutschte e, das ständig in Kriminalromanen herumgeistert. Und nach Fingerspuren brauchen Sie auch nicht zu suchen, das habe ich bereits veranlasst. Natürlich vertraulich. Ergebnis negativ. Aber ich hatte auch nichts anderes erwartet. Im übrigen würde ich sagen, wir haben es mit einem gebildeten Schreiberling zu tun; er - oder sie - ist sattelfest in Orthographie und Interpunktion. Und in diesem unterbelichteten Zeitalter würde ich da eher auf jemanden in mittleren Jahren tippen als auf einen jungen Menschen.« »Und so formuliert, dass Sie höchstwahrscheinlich darauf reagieren werden.«

»Woraus schließen Sie das?«
»Nun, Sie sind hier, Sir, oder?«
S. 24-29

Lesezitate nach P.D. James - Tod an heiliger Stätte










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Titel von
P.D. James
 Taschenbuch



The Murder Room

Tellerrandgeschichten.
© 2003



Der Beigeschmack des Todes

© 1999



Eine Seele von Mörder.

© 1996



Tod eines Sachverständigen

© 1997



Der schwarze Turm

© 1999



Ein Spiel zuviel

© 1999



Wer sein Haus auf Sünden baut

© 1999



Ein reizender Job für eine Frau

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Ihres Vaters Haus

© 1999

 Hardcover



Zeit der Ehrlichkeit

© 2001


© 02.02.2002 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de