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Rabenbrüder Ingrid Noll - Rabenbrüder
ngrid Noll ist eine Meisterin in der Beobachtung alltäglicher Dinge und Situationen. In ihrem Roman "Rabenbrüder" nimmt sie eine Familie aufs Korn, wie wir sie alle selbst aus unserem Bekanntenkreis kennen: die Eltern alt, gut situiert, die beiden Söhne dagegen recht unterschiedlich. Während Paul als Rechtsanwalt mittelmäßig erfolgreich ist und sich mit seiner Ehe gerade in einer eher "verkehrsberuhigten Zone" befindet, lebt Achim von der Hand in den Mund, ein Tunichtgut, der jedoch nie um eine gute Geschichte verlegen ist.
In den letzten Jahren hatten die beiden Brüder wenig Kontakt, doch als ihr Vater mit einem Schlaganfall ins Krankenhaus eingeliefert wird, eilen sie an sein Bett. Ihre Mutter scheint Hilfe gut gebrauchen zu können.
So viel zur Ausgangsituation. Jetzt aber geht es Schlag auf Schlag: Die Familie von Paul und Achim wird rasant dezimiert. Nur schwer kann sich Paul vorstellen, dass der freundliche Mann im Bademantel, der ihm in seinem Elternhaus die Tür öffnet, der Liebhaber seiner Mutter sein soll. Empfängt seine kühle Mama tatsächlich, während sein Vater im Krankenhaus liegt, Männerbesuch? Nach dem Tod des Vaters fragt Achim schon kurze Zeit später nach seinem Erbteil. Doch die Mutter ist zu einer Auszahlung nicht bereit.
Für sie stellt sich ihre Situation so dar: "Ich bin zwar sehr traurig, ich fühle mich auch ein wenig schuldig - aber hauptsächlich empfinde ich eine unerhörte Erleichterung. Ich bin jetzt frei und kann aufstehen oder schlafen gehen, wann ich will. Ich kann essen, wann ich Hunger habe, ich kann verreisen, wohin ich möchte. Die Fernbedienung liegt jetzt in meiner Hand."
Raffiniert lockt Ingrid Noll ihre Leser durch die schwierigen Familienverhältnisse. Sie gibt sich nicht lange mit psychologischen Deutungen ab und überlässt es ihren Lesern, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Doch die gelegten Spuren geben natürlich jede Menge Rätsel auf: Was hat der Elektroschocker im Badezimmer verloren? Ganz zu schweigen von den verflixten Handys, die sich immer gerade dann einschalten, wenn man sie überhaupt nicht brauchen kann.
Von Seite zu Seite lauert der Leser darauf, das Böse dingfest zu machen und fühlt sich von Ingrid Noll wieder einmal bestens unterhalten - mit ihrer rabenschwarzen Art.
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© 25.6.2003 by Manuela Haselberger www.bookinist.de |