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Bookinists Buchtipp zu

Siba Shakib

Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen

© 2001

In ihrem kurzen Leben hat Shirin-Gol alle Stationen der traurigen Geschichte Afghanistans in den letzten dreißig Jahren erlebt und sie schildert dies sehr eindringlich in ihrem eigenen Tonfall und ihrer sehr bildhaften Sprache. Welche menschenverachtenden Einschränkungen die Taliban für das Leben einer Frau praktizieren und wie mühevoll es ist, unter diesen Bedingungen eine Familie auch nur halbwegs zu ernähren und vor dem Hungertod zu bewahren, kann man ihren Schilderungen deutlich entnehmen.



Der zerrissene Schleier
Carmen Bin Ladin - Der zerrissene Schleier

er 11. September 2001 war ein tragisches Datum, eines der tragischsten unserer Zeit. Er raubte und zerstörte das Leben Tausender unschuldiger Menschen. Durch ihn verlor die westliche Welt ihr Freiheits- und Sicherheitsgefühl. Für mich war er ein Albtraum aus Trauer und Entsetzen - ein Albtraum, der mich und meine drei Töchter, solange wir leben, nicht mehr loslassen wird.

Und dennoch begann der 11. September als ein strahlender spätsommerlicher Tag. Ich saß im Auto mit meiner ältesten Tochter Waffa, und wir machten gerade einen Ausflug von Lausanne nach Genf, als mich ein Freund aus New York auf dem Handy anrief.

"Es ist was Furchtbares passiert", sagte er mit aufgeregter Stimme. Er war in seinem Büro, das nur ein paar Querstraßen vom Zentrum des Anschlags entfernt lag. "Unglaublich - ein Flugzeug ist in einen Turm des World Trade Centers geflogen." Und auf einmal wurde seine Stimme noch lauter: "Moment - da ist noch ein Flugzeug - es fliegt direkt auf den zweiten Turm zu. O Gott", und jetzt schrie er in den Hörer: "Es ist in den zweiten Turm gekracht!"

In diesem Moment wurde mir schlagartig klar, dass das kein Unfall war. Das konnte nur ein gezielter Anschlag sein, auf ein Land, das ich immer geliebt hatte und das mir zur zweiten Heimat geworden war. Ich erstarrte. Und dann erfasste mich blankes Entsetzen. als mir bewusst wurde, dass hinter diesem schrecklichen Verbrechen der Schatten meines Schwagers lauern könnte: Osama Bin Ladin.

Neben mir schrie meine Tochter Waffa: "Was ist denn? Was ist passiert?" Ich stand unter Schock. Ich brachte nur ein paar Worte hervor. Waffa lebte in New York. Sie hatte gerade ihr Jurastudium an der Columbia Law School abgeschlossen und den Sommer bei mir in der Schweiz verbracht. Sie wollte in vier Tagen wieder zurück nach New York. Jetzt war sie in Tränen aufgelöst, tippte fieberhaft Telefonnummern in ihr Handy, um alle ihre Freunde anzurufen.

Mein erster Impuls war, meine beste Freundin Mary Martha in Kalifornien anzurufen. Ich musste einfach ihre Stimme hören. Sie hatte bereits von dem Anschlag in New York erfahren, und von ihr hörte ich, dass eine dritte Maschine soeben ins Pentagon eingeschlagen war. Die Welt war aus der Bahn geraten: Ich konnte es förmlich spüren.

Ich fuhr so schnell ich konnte zur Schule meiner jüngsten Tochter Nur. Das Entsetzen in ihren Augen verriet mir, dass sie schon Bescheid wusste. Ihr Gesicht war kalkweiß.

Wir rasten zurück nach Hause und trafen meine mittlere Tochter Nadscha vor der Tür, als sie gerade von der Uni kam. Auch sie war völlig verstört. Genau wie viele Millionen Menschen rund um den Globus saßen die Kinder und ich wie gebannt vor dem Fernseher. Weinten und riefen zwischendurch alle unsere Bekannten an.


Die Stunden verstrichen, und meine schlimmste Befürchtung wurde wahr. Jede Nachrichtensendung brachte das Gesicht und den Namen eines Mannes:

Osama Bin Ladin. Der Onkel meiner Töchter. Ein Mann, mit dem sie zwar den Namen teilten, dem sie aber nie persönlich begegnet waren und dessen Werte ihnen völlig fremd waren. Ich hatte ein mulmiges Gefühl in der Magengrube. Dieser Tag würde unser aller Leben für immer verändern.

Osama Bin Ladin ist der jüngere Bruder meines Mannes Jeslam. Er ist einer von vielen Brüdern, und ich hatte ihn nur flüchtig kennen gelernt, als ich vor Jahren in Saudi-Arabien lebte. Damals war Osama ein junger Mann. Aber er war schon immer eine imposante Erscheinung. Osama war groß und ernst, und seine tiefe Frömmigkeit hatte etwas Einschüchterndes an sich, selbst für die religiöseren Mitglieder der Familie.

Je länger ich im Kreis der Familie Bin Ladin in Saudi Arabien lebte, desto stärker verkörperte Osama für mich all das, was ich an diesem dunklen und kargen Land abstoßend fand: den unbarmherzigen dogmatischen Glauben, der unser aller Leben bestimmte, die Arroganz und Selbstherrlichkeit der Saudis und ihr mangelndes Mitgefühl für Menschen, die andere Anschauungen hatten als sie. Die Verachtung für Außenstehende und die unnachgiebige Orthodoxie spornten mich zu einem vierzehn Jahre währenden Kampf an, um meinen Kindern ein Leben in der freien Welt zu ermöglichen.
manuela haselberger



   Carmen Bin Ladin -
   Der zerrissene Schleier
    Originaltitel: »The Opaque Kingdom«, © 2003
    Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
    © 2003, München, Droemer Verlag, 304 S., 19.90 € (HC)
   





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© 25.10.2003

by Manuela Haselberger
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