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Einfach abgehängt "Nadja Klinger, Jens König - Einfach abgehängt"
ie beiden Journalisten Nadja Klinger und Jens König haben nicht erst auf eine neu entfachte Unterschicht-Debatte gewartet oder sich über ein frisch gebildetes "Prekariat" gewundert. (Eine Anlehnung an den Begriff Proletariat, geprägt von dem französischen Soziologen Bourdieu, für Menschen in prekären, unsicheren Beschäftigungsverhältnissen).
Die beiden Autoren sind direkt zu den Arbeitsagenturen gegangen und haben dort Menschen getroffen, die tatsächlich von 345 Euro Hartz-IV-Regelsatz leben müssen, die in eine kleinere Wohnung gezogen sind, weil sie sich ihr ehemaliges Haus nicht mehr leisten können, nachdem sie ihre Arbeit verloren haben und von den bislang angesammelten Schulden sonst erdrückt worden wären.
Es sind Menschen, wie zum Beispiel Daniela, 30 Jahre alt, die keinen Berufsabschluss hat, ein Kind alleine erzieht, immer wieder eine Aushilfstätigkeit findet und ebenso schnell wieder verliert und mit aller Kraft versucht, gleich einem Stehaufmännchen, ihr Leben zu ordnen, eine konstante Arbeit zu finden, um ihre Lage endlich in den Griff zu bekommen.
Wenn man dann liest, was die Regierung konkret an monatlichem Bedarf für ein 15-jähriges Kind auflistet, das insgesamt 207 Euro Sozialgeld erhält, dann schüttelt jeder nur den Kopf, der halbwegs mit der Realität vertraut ist: "3,65 Euro für Schuhe, 13,88 Euro für Kleidung, 79,63 Euro für Nahrungsmittel und Getränke, 1,41 Euro für Spielzeug, 0,44 Euro fürs Fahrrad, 1,33 Euro für Schulhefte, Schreibzeug und Malsachen, 1,36 Euro für Zoo- Kino- und Theaterbesuche.
In ihren bedrückenden Porträts weisen Nadja Klinger und Jens König nach, dass sich in Biografien, bei denen Arbeitslosigkeit zu einem Dauerthema geworden ist, Armut so verfestigt, dass sie aus eigener Kraft nur schwer oder gar nicht überwunden werden kann. "Viele von denen, die einmal unten sind, sind für immer unten. Ihre Armut heißt Chancenlosigkeit."
Und Armut bezieht sich in diesem Fall nicht nur auf finanzielle Armut. "Sie zeigt sich als Bildungsarmut, als Verhaltensarmut, als Armut an Zuwendung. Die einen versaufen ihr Arbeitslosengeld, die anderen vernachlässigen ihre Kinder seelisch und körperlich." Bevor man zu einem vorschnellen Urteil kommt, lohnt es sich, einmal genau hinzuschauen. Ein wenig erinnern die Porträts der Arbeitslosen, Obdachlosen und Verschuldeten an die Gesellschafts - Reportagen von Gabriele Goettle.
Am Ende der Lektüre steht ein Bericht, der schonungslos zeigt, was es tatsächlich heißt, in Deutschland heute arm zu sein. Es ist eine Exkursion an die Ränder der Gesellschaft, die so breit sind, dass man sie auf Dauer einfach nicht ignorieren kann, weil sie in allen gesellschaftlichen Schichten anzutreffen sind und in der Mitte einen klaffenden Graben hinterlassen.
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© 13.11.2006 by Manuela Haselberger www.bookinist.de |