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Bookinists Buchtipp zu


Musik. Alles, was man hören muss

von Dietrich Schwanitz




Bücher, Bücher, Bücher
Christiane Zschirnt - Bücher. Alles was man lesen muss

ie Pisa-Studie hat es an den Tag gebracht, es ist nicht so weit her mit der Lesefertigkeit der deutschen Schüler, glücklicherweise wurden die Erwachsenen nicht getestet, und so wird jetzt der Rohrstock ausgepackt. Christiane Zschirnt hat in ihrem Wälzer "Bücher" mit dem harschen Untertitel "Alles was man lesen muss" 105 Werke der Weltliteratur zusammengestellt und die werden nun rigoros verordnet. Ob's hilft?

Glücklicherweise geht die Autorin in einem ganz und gar nicht lehrerhaften Ton, sondern sehr kurzweilig vor. So hat sie zu Themen wie zum Beispiel: Liebe, Sex, Politik, Frauen oder Zivilisation das wichtigste an Romanen und wegweisenden Sachbüchern zusammengestellt. Wobei sie sich ausschließlich daran orientiert, dass ihre Titel heute als "klassisch" gelten, denn, so Dietrich Schwanitz, derzeit der vielfach angefochtene "Herr der Bildung", in seinem Vorwort "jede Zeit hat ihre eigene Klassiker".

Dadurch kommt es zu absonderlichen Kombinationen. Neben Max Weber, dem Altmeister der Volkswirtschaft, stehen Carl Barks mit Donald Duck und Daniel Defoes "Robinson Crusoe" in der Rubrik "Wirtschaft" fröhlich nebeneinander. Kombiniert mit Karl Marx und dazu passend Brechts "Dreigroschenoper." Auf den ersten Blick ist diese Auswahl sicher gewöhnungsbedürftig, doch gerade diese schräge Mischung ergibt eine abwechslungsreiche, spannende Lektüre.

Nachdem Christiane Zschirnt den Inhalt der besprochenen Werke sehr locker vermittelt, nicht mit eigenen Leseerfahrungen spart, ist ihr Buch gut geeignet, sich in kurzer Zeit einen raschen Überblick über wichtige Romane oder Sachbücher zu verschaffen, die man immer noch nicht gelesen hat.

Auch der Faktor der Anregung darf nicht unterschätzt werden, denn es ist gerade das Schöne am Lesen, dass ein Buch das nächste nach sich zieht. Nicht unbedingt muss dies dann eines aus der Auswahl von Christiane Zschirnt sein, doch das ist die Eigenheit des Lesens: jedes Buch führt seinen Leser weiter, die Richtung ist individuell ganz verschieden - genau das macht das Lesen so aufregend. Keiner beschreitet den selben Weg, doch es ist schön Menschen zu treffen und sich mit ihnen über gemeinsame Lese-Erfahrungen auszutauschen.

Als Basis-Ausrüstung, Kompass und Berater in bücherlosen Zeiten, wenn die Auswahl in der Buchhandlung wieder einmal schwer fällt, dann sollte Christiane Zschirnts Buch zur Hand genommen werden. Wer nicht unbedingt mit Goethe oder Franz Kafka beginnen möchte, der kann es zunächst einmal mit den "Trivialklassikern", wie zum Beispiel Dracula oder Sherlock Holmes, versuchen. Hauptsache es wird gelesen.
© manuela haselberger

Christiane Zschirnt -
Bücher. Alles was man lesen muss

© 2002, Frankfurt, Eichborn, 330 S., 21,90 € (HC)
© 2004, Heyne, 330 S., 10.00 € (TB)




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Einleitung
Ist Ihnen das auch schon einmal passiert? Sie gehen in ein dreigeschossiges Kaufhaus für Bücher, um sich mit neuer Lektüre zu versorgen. Gleich am Eingang locken verführerisch glänzende Bildbände mit signalroten Sonderpreis-Aufklebern. Dahinter: Bücher, soweit das Auge reicht. Schimmernde Umschläge auf 3000 Quadratmetern: Bestseller, Krimis und Fantasy, Kochen und Gärtnern, Schwangerschaft und Steuerrecht, Männer und Life-Style, die Geschichte Brasiliens und die Geschichte des Kaffeetrinkens ... Sie stöbern eine halbe Stunde und gehen dann, ohne ein Buch gefunden zu haben. An der Auswahl lag es wohl nicht.

Dieser Buchladen ist nur ein verschwindend kleiner Teil unserer Mediengesellschaft, die uns mit Informationen nur so erschlägt. In dieser Landschaft spielen Bücher nicht mehr die einzige Rolle. Die Informationsflut, die wir bewältigen müssen, stammt aus Zeitungen und Zeitschriften, aus dem Radio und aus dem Fernsehen - ganz zu schweigen von der Überforderung menschlicher Aufnahmefähigkeit durch das Internet. Im Netz gibt es Daten jenseits der Grenzen von Raum und Zeit: alles ist immer und überall verfügbar. Es gibt, so scheint es, Wissen im Überfluß. Trendforscher und Soziologen sprechen von der »Informationsgesellschaft«und der »Wissensgesellschaft« . Sie erklären, unser Wissen würde sich alle fünf Jahre verdoppeln. Allein diese Information läßt sich kaum noch begreifen.
Während unser Wissen explodiert, wissen wir allmählich immer weniger, wie wir damit umgehen sollen. Wenn man früher die Schule verließ, war man - im Idealfall - mit dem kulturellen Wissen ausgestattet, das man benötigte, um für den Rest des Lebens gerüstet zu sein. Heute müssen die Schulen ein Wissen vermitteln, mit dem man sich auch dann noch zurechtfindet, wenn sich das Wissen verändert. Die Wissenslandschaft hat sich gewandelt.

Als mein Großvater 1909 eingeschult wurde, zeigte man ihm einen Berg. Eigentlich war es kein richtiger Berg, denn er bestand aus vielen übereinander getürmten Giganten. Damals wußte mein Großvater noch nicht, wer diese Kolosse waren, aber später lernte er sie kennen: Homer, Dante, Shakespeare und Goethe waren darunter, aber noch viele andere. »Da muß du jetzt hinauf« , sagte sein Lehrer, »und wenn du oben angekommen bist, bist du ein Zwerg, der auf den Schultern von Riesen steht«. Die Bergbesteigung sah furchtbar mühsam aus, aber man erklärte meinem Großvater auch, von dort oben sei der Blick atemberaubend. Von dort könne man alles überblicken: die ganze Kultur und ihr ganzes Wissen. Uberman die Bibel, die Antike oder die Klassiker. Wenn Zitate auftauchten, wusste man, woher sie stammten, und konnte sie zuordnen. Die ganze abendländische Kultur wurde als ein unendliches Netz von Verweisen und heimlichen Bezügen erkennbar. Alles ließ sich miteinander in Verbindung bringen.   S. 18-19

James Joyce: Ulysses (1922)
James Joyce soll einmal erklärt haben, an seinem Roman Finnegan's Wake (1939) würden sich die Literaturwissenschaftler auch noch nach 50 Jahren die Zähne ausbeißen. Die Beobachtung war vollkommen richtig. Ganz so ist es mit Ulysses zwar nicht, aber ein durchschnittlicher Leser kann sich an dem komplizierten Roman ohne weiteres sein Gebiß ruinieren.

Ulysses beschreibt die Ereignisse eines einzigen Tages in der irischen Hauptstadt Dublin: Es ist der 16. Juni 1904. Joyce-Fans feiern diesen Tag inzwischen als »Bloomsday« - die Bezeichnung ist ein Wortspiel aus Doomsday (engl. »Tag des Jüngsten Gerichts«) und Bloom. Leopold Bloom ist der Name einer der beiden männlichen Hauptfiguren des Romans. Bloom ist ein aus Ungarn stammender Jude, der als Anzeigen-Akquisiteur sein Geld verdient. Er ist verheiratet; und seine Frau, Molly, wird ihn im Verlauf des Tages betrügen. Im letzten Kapitel des Romans hält sie ihren berühmten Monolog: eine Beschreibung des Denkens am Rande des Schlafs in Form eines einzigen endlosen Satzes aus 40.000 Wörtern. Der andere männliche Protagonist des Romans ist Stephen Dedalus, ein junger Intellektueller und angehender Dichter, der als Lehrer arbeitet. In den 18 Stunden zwischen 8:00 morgens und ca. 2:00 in der Frühe des nächsten Tages kreuzen sich die Wege Blooms und Stephens wohl hunderte Male auf direkte oder indirekte Weise - mal laufen sie aneinander vorbei, mal nehmen sie gleichzeitig dasselbe wahr -, bevor sie schließlich, im 15. Kapitel, in einem Bordell, aufeinandertreffen. Im Laufe des Tages bewegen sie sich durch Dublin und besuchen dabei ein Postamt, einen Friedhof eine Zeitungsredaktion, die Nationalbibliothek, Kneipen, eine Geburtsklinik und das Bordell. Joyce, der Ulysses während der Stationen seines frei gewählten Exils in Paris, Zürich und Triest schrieb, war in der Wiedergabe der Topographie der Stadt so akkurat, daß behauptet worden ist, man könne Ulysses durchaus auch als Stadtführer benutzen.

Unzählige Personen bevölkern den Roman, der die ganze Komplexität des modernen Alltags in einer europäischen Großstadt zu Beginn des 20.Jahrhunderts in Szene setzt. Blooms Odyssee durch die irische Metropole ist … S. 46

Schulklassiker
Schon für den Unterricht an den Schulen im antiken Griechenland und man sich auf eine Auswahl von Autoren geeinigt, die alle Schüler lesen mußten. Man las die Werke wie How-to-do-Bücher, denn das Lernziel bestand in der Vermittlung vorbildlicher Regeln, nach denen man den eigenen Umgang mit Worten formen sollte (in erster Linie mit den gesprochenen). Die Vertellung eines Lektürekanons, den man in der Schule gelesen haben muß, um als »gebildet« gelten zu können, stammt erst aus dem 18. Jahrhundert. Sie ist im wesentlichen eine deutsche Idee. Während Frankreich und England ihre nationale Selbstbestimmung längst hinter sich haben, schreibt man auf das Aushängeschild der Deutschen: Kultur und Bildung.

Alles beginnt mit der schönen Idee der Selbstbildung des Menschen zu einem universalen Menschengeschlecht - zu Wesen, die weder durch nationale noch ständische, geschlechtliche, konfessionelle und historische Kriterien geprägt sind. Sie treffen sich auf einem gemeinsamen Nenner - gemeint ist der Gebrauch der Vernunft. Und sie sind bereit, sich zu (Menschen) zu bilden. Dazu soll das Lesen wesentlich beitragen. Zu diesem Zweck entsteht ein neuer Kanon mustergültiger Werke - die Klassiker. In diese Auswahl geht nun alles hinein, was universale Weisheiten für das universale Menschengeschlecht enthält. Die Selektion geschieht nach dem Kriterium der »bleibenden Größe«. Die antiken Dichter (Homer, Vergil, Ovid) sind, wie gehabt, dabei, die drei deutschen Klassiker Goethe, Schiller und »Shakespeare«- Sie lesen richtig - kommen verbindlich dazu. Shakespeares nationale Vereinnahmung und Aufnahme in den Kanon der Deutschen war Folge der genialen Shakespeare-Übersetzungen durch Christoph Martin Wieland, August Wilhelm Schlegel und Dorothea Tieck.

Im 19. Jahrhundert läßt sich die Utopie von einer großen Menschheitsfamilie, die sich zur gemeinsamen Lektüre von »Weltliteratur«. vereint, nicht mehr aufrechterhalten. In der Epoche der nationalstaatlichen Einigung Deutschlands soll auch die Literatur nationale Identität schaffen. Die Frage, wer was gelesen hat, wird zum Distinktionskriterium. Sie dient dazu, sich nach außen abzugrenzen - aber auch nach innen. Bildung ist jetzt zum Erkennungszeichen des Bürgertums geworden - das ist die ironische Konsequenz der Idee der Aufklärer, die Stammbäume des Adels durch Lektürelisten zu ersetzen. An der Kenntnis der kanonischen Werke hängen jetzt Karrieren. Die geflügelten Worte, die Georg Büchmann 1864 herausgibt, werden zu den Losungen, die man kennen muß, um an der Pforte des Bürgertums Einlaß zu bekommen. S. 275-276

Lesezitate nach Christiane Zschirnt - Bücher. Alles was man lesen muss


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Das Buch der 1000 Bücher

von Joachim Kaiser




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Christiane Zschirnt
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Shakespeare ABC

© 2000


© 7. Mai 2002 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de