... reinlesen






... reinlesen

Ich war damals der einzige und erste grüne Umweltminister auf diesem Planeten, Die Grünen waren die Anti-Atom-Partei schlechthin, und in den Augen von Öffentlichkeit und Partei war ich selbstverständlich zuständig für die Bewältigung der Folgen der atomaren Wolke. Wen interessierten denn da die tatsächlichen administrativen und bürokratischen Zuständigkeiten? In den Augen der Öffentlichkeit war dies - völlig zu Recht übrigens! - meine und unsere Stunde als Umweltminister und Grüne, und dann war ich für nichts von alledem zuständig. Weder für den Strahlenschutz, denn der lag beim sozialdemokratischen Sozialminister, noch für die Atomaufsicht und die Energiepolitik, denn über diese wachte der sozialdemokratische Wirtschaftsminister. Ich wußte damals zwar von Anfang an, daß ich für diesen Job von den Freundinnen und Freunden in der Partei nicht wegen meiner ökologischen Fachkompetenz ausgewählt worden war, über die ich damals überhaupt nicht verfügte, sondern weil die erste grüne Regierungsbeteiligung sehr realitätsnah als ein politisches Himmelfahrtskommando angesehen wurde und man dazu keinen Fachmann brauchte, sondern einen politischen Generalisten, der hart genug war, eine minimale Chance gegen alle Widerstände zu nutzen und eine solche fast unmöglich erscheinende Aufgabe politisch und persönlich durchzustehen. Ich wußte also, daß es hart werden würde, aber so? Es war zum Haareraufen und zum Mäusemelken, und all das zehrte selbstverständlich gewaltig an meiner persönlichen psychischen und physischen Substanz.

»Zum ersten Mal lernte weiter....

Lesezitat nach Joschka Fischer -
Mein langer Lauf zu mir selbst, S.


Bookinists Buchtipp zu


Cohn-Bendit

Biografie von Sabine Stamer



weiterer Buchtipp
zu Joschka Fischer:


Herlinde Koelbl -
Spuren der Macht

.. ein excellenter Fotoband







Er läuft und läuft und läuft
Joschka Fischer - Mein langer Lauf zu mir selbst

"Damit Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, bei der Lektüre keinem Irrtum unterliegen, möchte ich hier gleich zu Beginn zwei Dinge klarstellen: In diesem Buch wird nicht abstrakt räsoniert, sondern ausschließlich über meine eigenen Erlebnisse und praktischen Erfahrungen berichtet."

Wer sich jetzt die Hände reibt und sich darauf freut einen Blick in das Innenleben des Außenministers zu werfen, der wird enttäuscht, denn Joschka Fischer schreibt in seinem Buch "Mein langer Lauf zu mir selbst" einzig und allein über seine Erfahrungen mit dem Laufen. Das natürlich auf ganz persönliche und sehr fundierte Art und Weise....

Wie es dazu kam, dass er im Herbst 1996 mit 112 Kilogramm "Kampfgewicht" erstmalig in Bonn joggte, da war ein Hauptauslösungsgrund seine nach dreizehn Jahren zu Bruch gegangene Ehe. Ein Erlebnis, das ihn bis in die Grundfesten seiner Persönlichkeit erschüttert hat. Doch vermutlich hätte er heute in seiner Position ein großes Problem mit seinem damaligen gesundheitlichen Zustand diese Arbeit erfolgreich zu bewältigen.

Wer das Buch liest, in der Tat ist man locker in zwei Stunden durch, der hat eigentlich keinen Grund mehr, sich weiter bequem in seinem Sessel zu räkeln und den Bauch zu pflegen. Und lahme Ausreden von wegen "keine Zeit", die gelten auch nicht, denn wer liegt schon in seiner Arbeitsbelastung höher als ein Außenminister und Vizekanzler?

Auch wenn Joschka Fischer keine aufregenden politischen oder persönlichen Outings bereithält, so spornt sein Buch an und macht Mut, den Pfunden den Kampf zu erklären und selbst einmal joggen zu gehen. Es muss ja nicht beim Marathonlauf enden.
© thomas haselberger




Joschka Fischer -
Mein langer Lauf zu mir selbst
s-w Bilder, Tabellen
1999 & 2000, Köln, Kiepenheuer & Witsch, 176 S., 15.50 €
2001, Droemersche Verlagsanstalt , 200 S., 8.90 Eurio






Fortsetzung des Lesezitats ...

Zum ersten Mal lernte ich damals jene Schlaflosigkeit kennen, die einen nach zwei bis drei Stunden Nachtruhe mit klopfendem Herzen wieder aus dem Schlaf reißt, weil einen das Übermaß der Probleme um die innere Ruhe bringt. Und zum ersten Mal meinte ich zu spüren, wie es ist, wenn man sich in Richtung Herzinfarkt bewegt. Die Nächte wurden immer kürzer, die Arbeitstage immer länger, die Wochenenden fielen immer öfter aus, die Katastrophen rissen nicht ab, der Problemdruck wuchs und wuchs, die Verantwortung wurde Immer drückender, der Streß nahm unerbittlich zu, und ein Ausweg war nicht in Sicht. Weglaufen ging nicht, zumindest für mich nicht -, obwohl diese Haltung ja neuerdings durchaus en vogue zu werden scheint -, also mußte ich durchhalten, mich gegen all die Unbill psychisch und körperlich wappnen. Und so begann ich zu futtern und zu mampfen und legte mir für Körper und Seele im wahrsten Sinne des Wortes einen regelrechten Panzer in Gestalt eines sich immer mächtiger wölbenden Bauches zu. Zudem hatte Ich zu rauchen aufgehört, die Selbstgedrehten paßten einfach nicht zum Umweltminister.

Im März 1986 klappte zum ersten Mal in meiner Erinnerung mein Immunsystem aufgrund der Oberanstrengung durch die ersten Monate in der Landesregierung völlig zusammen, und ich lag mit einer für meine Verhältnisse sehr schweren Grippe tagelang darnieder. Aber auch dieses an sich sehr positive Signal verstarkte noch ganz erheblich die Eskalation meiner Pfunde. Und so kam das eine zum anderen, und am Ende des Liedes standen 112 Kilogramm Lebendgewicht Fischer.

Kompensation, Panzerung, Verdrängung - gemeinsam mit dem Älterwerden waren das die wichtigsten Ursachen für meinen immer dramatischer werdenden Gewichtsanstieg.
_______________________________

Im Februar 1997 (Februar!) hatte ich an der Fähre Plittersdorf die 10-Kilometer-Marke (immer Hin- und Rückweg gerechnet) erreicht, und von weitem sah ich bereits die weißen Gebäude des »Rheinhotel Dreeßen« mit der 12-Kilometer-Marke winken. Es ging also voran mit meinen läuferischen Exerzitien, unaufhaltsam, und es ging synchron dazu stetig weiter abwärts mit meinem Körpergewicht. Beide Erfolgskurven zusammen - die Länge der Laufstrecke und die Maßzahl der Waage - bedeuteten für meine Motivation einen gewaltigen Schub, weiter durchzuhalten und die Anstrengungen sogar noch zu verstärken. Auch die Waage meldete wöchentlich neue Abnehmrekorde: Die 85 Kilogramm Lebendgewicht lagen jetzt hinter mir, und ich näherte mich meiner Zielmarke von 80 Kilogramm. Allerdings wollte ich keineswegs jetzt schon mit der Gewichtsreduktion aufhören, und so mußte ich mir auch gewichtsmäßig neue Ziele setzen. Ich befand mich in einer Stimmung des »jetzt will ich es wissen!«, d.h. die Frage mußte beantwortet werden, ob ich am Ende gar die 75 Kilogramm schaffen würde. 75 Kilogramm! Das war ziemlich genau mein »Einstiegsgewicht« gewesen, damals im Jahr 1983, als ich zum ersten Mal in den Bundestag zog und mein gemütliches alternatives Leben beendete.
Lesezitat nach Joschka Fischer - Mein langer Lauf zu mir selbst, S.



Free counter and web stats