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»Du kannst doch ablehnen?« fragte Anthea.

»Hab ich versucht«, sagte Sanda. »Dort angerufen und gefragt, was passieren würde, wenn ich in Wien bliebe. Dann würde ab sofort kein Geld mehr überwiesen, sagten sie.«

»Dann eben einen Job! Alles hinwerfen für den Geliebten. Das ist doch schön.«

»Ich habe aber nichts gefunden«, sagte Sanda.

»Nicht mal eine Stelle als Hilfslehrerin.«

»Wer sucht, der findet«, sagte Anthea, den Kopf an die Bettcouch gelehnt.

»Ja«, erwiderte Sanda geistesabwesend, »aber wozu würde es führen? Langfristig zu einer Riesenfrustration. Und vergiß nicht: die Ausländerbestimmungen! Für mich sind sie sehr streng. Nein, ich bin dazu verurteilt, in meinem Fach Karriere zu machen. Vermutlich ist es der Grund, warum ich so lang gezögert habe, mit Ferraghani etwas anzufangen.«

»Gezögert? Nicht: Beeilt? Du bist vielleicht eine komische Type!« sagte Anthea.

Die silberne Dose begann in Sandas Kopf zu rotieren und Blitze zu schleudern.

»Wenn man weg muß, kann man nicht mehr richtig lieben«, sagte sie verlegen. »Menschen, die wegziehen, werden gefühlsmäßig in Quarantäne gesteckt. Ist dir das noch nie aufgefallen? Sie sind schon so gut wie nicht mehr da. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder gelingt es mir, das Gefühl für Ferraghani ganz zu unterdrücken - oder solch eine Wahnsinnsgeschichte draus zu machen, daß er mich nie vergißt. Die große Passion! Das starke mächtige Gefühl, das alle Zweifel auslöscht, wie das Meer die Spuren im Sand! Das wollen wir doch alle.«

»Nein«, sagte Anthea sofort, »ich nicht. Ich will eine vernünftige Beziehung. Eine, die man leben kann.«

Sie redeten noch eine Weile über die große Passion, dann bot Sanda Anthea zum Abschied ihr Auto an.

»Es fällt zwar fast auseinander«, sagte sie.

»Aber in Venedig nützt es mir wirklich nichts.«

Kopfschüttelnd ging die Freundin nach Hause. S. 32-33


Lesezitat nach Sibylle Mulot - Das ganze Glück


Die große Passion
Sibylle Mulot - Das ganze Glück

eute lebt Sibylle Mulot, 1950 in Reutlingen geboren, in Frankreich. Bevor sie ihr Domizil dort aufschlug, verbrachte sie einige Zeit in Wien und hier spielt zum Großteil ihr neuer Roman "Das ganze Glück". Die Vermutung, dass Sibylle Mulot dabei einige biographische Details verarbeitet hat, ist naheliegend, denn sie selbst lernte ihren niederländischen Mann in einem Wiener Straßencafé kennen.

"Das ganze Gück" ist, so der Untertitel, eine Liebesgeschichte. Allerdings geht es nicht um irgendeine Liebelei, oder Verliebtheit, nein, es geht um die ganz große, die absolute Liebe, den idealen Partner, das perfekte Glück eben. Und die Frage dabei ist, gibt es sie wirklich?

"Wir können nicht wissen, ob wir dem Passenden je begegnen, und nehmen mit dem Viertelpassenden vorlieb oder halten das Unpassende für das Passende."

Sanda und Ferraghani studieren beide in Wien, als sie sich zum ersten Mal treffen. Sie ist Deutsche und er stammt aus Persien, obwohl er sie vom Aussehen eher an einen indischen Prinzen erinnert. Und für Sanda, die für einige Zeit ein Stipendium in Venedig erhält, steht fest: "Entweder gelingt es mir, das Gefühl für Ferraghani ganz zu unterdrücken - oder solch eine Wahnsinnsgeschichte daraus zu machen, dass er mich nie vergisst. Die große Passion! Das starke mächtige Gefühl, das alle Zweifel auslöscht, wie das Meer die Spuren im Sand!"

Die beiden erleben zusammen eine wunderschöne Zeit, die Übereinstimmung scheint perfekt. Doch die ersten Risse in ihrem Glück zeigen sich, als die frühere Freundin Ferraghanis vor der Tür steht und sich nicht mit der Trennung einverstanden erklärt. Sie besucht Sanda sogar in Venedig und erklärt ihr sehr deutlich, dass sie nicht auf ihren ehemaligen Lover verzichten will.

Auch das uralte persische Hafis Orakel, es ist übrigens am Ende des Romans für die Leser in ganzer Länge abgedruckt, das Sanda in ihrer Not befragt, dämpft ihren Optimismus: "Die Tür der Wahl steht mir und dir nicht offen."

"Das ganze Glück" ist ein leichter, nahezu schwereloser Roman über die Liebe, der die Frage Platons, nach unserer passenden Hälfte, die am Anfang der Zeit verloren gegangen ist und die wir ein Leben lang suchen, erneut aufgreift. Sibylle Mulots Antwort ist melancholisch. Für sie findet kein Happyend statt, das wäre zu einfach und platt. Doch die Ahnung, einmal im Leben, wenn auch nur für kurze Zeit, den perfekten Partner gefunden zu haben, darin liegt das Glück, das für immer einen Stachel, eine Sehnsucht zurücklässt. © manuela haselberger


Sibylle Mulot - Das ganze Glück
2001, Zürich, Diogenes Verlag, 175 S.,

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Nach dem Tod ihres Vaters hatten sich ihre Liebesgeschichten verändert. Sie waren kürzer geworden und näherten sich dem, was man Abenteuer nennt. Wenn es möglich war, daß die geliebteste Person von der Bildfläche verschwand, warum dann nicht auch diejenigen, die nichts anderes waren als die Schatten dieser Hauptfigur?

Plötzlich glaubte sie zu wissen, warum sie noch immer an Ferraghani hing. Warum sie so viel an ihn dachte, ihn sich nie wirklich aus dem Herzen gerissen hatte. Er war das Original. Nicht das Urbild, aber das Original. Vielleicht hoffte sie, wenn sie zum Original zurückkehrte, könnte sie die Variationen abschütteln, die sich in ihrem Leben Zu vervielfältigen drohten.

Aber wenn Ferraghani morgen sterben würde, hätte sie dann das Gefühl, ihn die ganze Zeit geliebt zu haben?

Sie saß im Sessel und rieb sich die Augen mit beiden Händen. Gleich morgen tu ich etwas, dachte sie. Ich habe zwar keine Ahnung, was, aber ich tu es. S. 120

Sie las die Fotos zusammen. Ferraghani und Sanda in Venedig. In Schönbrunn in der Hauptallee, und oben vor der Gloriette.

Sie suchte eine Tasche für die Tabellen.

Alle wollen es erfahren, dachte sie. Wir können nicht wissen, ob wir dem Passenden je begegnen, und nehmen mit dem Viertelspassenden vorlieb oder halten das Unpassende für das Passende. Vielleicht haben wir nur einmal im Leben das Glück, den Menschen zu finden, der dem geheimnisvollen Vater oder der Mutter, dem Bruder oder der Schwester in uns wirklich entspricht. Dann muß es sein wie Nachhausekommen.

Das Ehepaar fiel ihr ein. Sie schaltete für alle Fälle den Anrufbeantworter an, als sie die Wohnung verließ. Nächstes Silvester wieder Bleigießen! Oder eine Reise in die Südsee. Die Siedler von Catan!

Sie wog die Tasche in der Hand und summte vor sich hin, als sie das Orakel aus dem Haus trug. S 129-130

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© 25.3.2001 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de