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Es geschah eines Nachts, da kam eine Fee zu einem ganz gewöhnlichen Jungen namens Hodder.

Die Fee sagte Hodder, er sei auserwählt, und Hodder, der bis dahin nichts davon gewusst hatte, dass er auserwählt war, und der noch nie eine Fee gesehen hatte, setzte sich im Bett auf, rieb sich die Augen und fragte bescheiden, ob es sich nicht um ein Missverständnis handeln würde.

Die Fee antwortete mit einer Stimme, die gedämpft und doch entschieden war, ganz genau wie der Regen, der nur im Oktober fällt: »Du bist der Auserwählte, Hodder, du bist der Auserwählte.«

Hodder setzte seine Brille auf und starrte die Fee an, die mit einem kleinen Hüpfer zum Fenster sprang, wo sich die Gardine im Nachtwind bewegte.

Hodder hatte gerade eine Grippe überstanden und fühlte sich immer noch ein bisschen schlotterig in den Beinen. S. 7

 


Lesezitat nach Bjarne Reuter - Hodder der Nachtschwärmer


Bookinists Buchtipp zu


Am Ende des Tages

von Bjarne Reuter
... für Erwachsene




Deutscher Jugendliteraturpreis 2000

Hodder der Nachtschwärmer
Bjarne Reuter - Hodder der Nachtschwärmer


Hodder ist ein kleiner Junge und viel zu oft allein. Abends, wenn sein Vater unterwegs ist, um Plakate zu kleben, steht er oft am Fenster und schaut in die Nacht hinaus.

Und an einem solchen Abend begegnet Hodder der Fee, die ihm den nicht gerade kleinen Auftrag erteilt: "Hodder, du Nachtschwärmer, du bist ein Auserwählter, du wirst die Welt erretten." Nicht dass Hodder nicht schon genug Probleme hätte. In der Schule ist er immer der Letzte, der übrig bleibt, wenn neue Fußballmannschaften gewählt werden und seine Lehrerin bringt er mit seinen Fragen, die meist überhaupt nichts mit dem Unterrichtsthema zu tun haben, beispielsweise nach dem Namen ihres Parfums, regelmäßig zur Weißglut.

Doch Hodder nimmt seinen Auftrag sehr ernst und gründet zunächst eine Expedition. Natürlich braucht er dazu die richtigen Teilnehmer. Auf jeden Fall seinen Vater, vielleicht auch seine Lehrerin. Wer käme noch in Frage?

Hodder ist in den nächsten Tagen sehr beschäftigt und überhaupt nicht mehr einsam. Ja, ganz am Ende findet er sogar seinen ersten Freund.

Der dänische Autor Bjarne Reuter schildert in Hodder einen einzigartigen Jungen, der vieles in seiner Umgebung nicht versteht, weil ihm der Kontakt zu seinen Mitmenschen fehlt. Doch Hodder unternimmt immer wieder einen neuen Versuch, sich in der Welt zurechtzufinden. Von einem kleinen Missgeschick lässt er sich längst nicht unterkriegen. Mit sehr viel Ernst und Eifer, die den Leser zum Schmunzeln bringen, schlägt er sich durch alle Widrigkeiten des Alltags.

Auf jeden Fall hat dieses wunderbare Kinderbuch "Hodder der Nachtschwärmer" den Deutschen Jugendliteraturpreis" in der Sparte Kinderbuch absolut verdient. © manuela haselberger


Bjarne Reuter - Hodder der Nachtschwärmer
© 1998, Originaltitel: "En som Hodder "
Übersetzt von Peter Urban-Halle:
1999, Hamburg, Dressler Verlag, 173 S.

  Lesealter: 10 Jahre  

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Fortsetzung des Lesezitats ...

Die Fee war sehr nett und freundlich und hat gesagt, ich bin auserwählt. Normalerweise wurde Hodder nie auserwählt, sondern eher abgewählt. Zum Beispiel wenn in der Schule Mannschaften gebildet werden sollten oder man sich seinen Nebenmann aussuchen durfte. Dann war immer die Frage, welcher Unglücksrabe schließlich mit Hodder übrig bleiben würde. Ziemlich oft war es ein Mädchen namens Kamma Gudmansdottir. Sie stammte aus Island und hatte sehr große Füße und einige merkwürdige Essgewohnheiten.

»Nun sitzt du wieder in der Patsche, Kamma Gudmansdottir«, sagte Hodder dann immer.
»Ja«, sagte sie, »ich bin unter einem unglücklichen Stern geboren.«
»Und ich bin im Reichshospital geboren«, antwortete Hodder.

Jetzt schrieb er: Vielleicht ist es ja nur ein Irrtum, aber die Fee hat gesagt, ich würde die Welt erretten. Die Welt ist ja sehr groß. Größer als Dänemark. Sie reicht bis nach Afrika. Und das soll ich alles erretten. Deswegen geh ich jetzt ins Bad.

Hodder klappte das Aufsatzheft zu und zog seinen Schlafanzug aus. S. 13

Hier also steht Hodder Emanuel Jacobsen, sagte er zu sich selbst. Der berühmte H. E. Jacobsen. Er nickte ernst. Man konnte sich gut eine Straße vorstellen, die H.-E.-Jacobsen-Allee hieß. Und Kinder würden ihre Eltern fragen: »Papa, wer war denn eigentlich H. E. Jacobsen?« Und der Vater würde antworten: »H. E. Jacobsen war der berühmte Globetrotter, der die Welt errettete. Sein Denkmal steht da drüben im Park, mit einem Whiskyglas in der einen Hand und einer Streuselschnecke in der andern. Aber man kann ihn nur sehen, wenn gerade das Gras gemäht wurde.«

An und für sich bin ich ja ziemlich widerstandsfähig für mein Alter«, dachte Hodder und streckte seinen Kopf dem Wasserstrahl entgegen.

Das hätte er nicht tun sollen. Jetzt kriegte er nämlich das Duschwasser direkt ins Gesicht. Er prustete und schnaubte und spuckte und zappelte und tastete sich blind zum Handtuch, während er versuchte, das Gleichgewicht wiederzuerlangen.

Fast hätte er Seitenstiche bekommen. Ein Wasserstrahl konnte ganz schön grob sein.
Er setzte sich auf den Klodeckel, um ein wenig zu verschnaufen.
Neulich im Hallenbad wäre es beinah schiefgegangen. S. 15

Im Ausschneiden war Hodder nie ein großes Licht gewesen, und letzte Weihnachten hatte Asta K. Andersen gesagt, sein Weihnachtsbaumschmuck mache sie richtig betrübt. Er hatte so viel Kleister gebraucht, dass sie fünf Engel und zwei Schafhirten von seinen Fingern freischneiden mussten. Das war wieder so ein kleiner Skandal gewesen wie damals in der ersten Klasse, als er alle Vokale aus den Buchstabenkästen aufgegessen hatte. Hodders Vater hatte gefragt, warum er kein Abendessen haben wollte. Und Hodder hatte geantwortet, weil er das halbe Alphabet aufgegessen hätte. Bis auf das ä.

»Warum hast du denn das getan?«, hatte der Vater wissen wollen, der an dem Abend falschen Hasen gemacht hatte.
»Weil sie so herrlich aussahen.«
Das war vor drei Jahren gewesen.

Er blickte auf das Klassenfoto mit dem großen Loch, dort wo Philipp gewesen war. Philipp war einen Kopf größer als Hodder, den man auf dem Bild fast nicht entdecken konnte, weil ihn das Schild mit dem Namen der Schule verdeckte.

»Bist du nicht drauf auf dem Bild?«, hatte der Vater gefragt.

»Wenn du richtig hinguckst, kannst du meine Stiefel und meine Haare erkennen«, hatte Hodder gesagt. »Ich halte das Schild, du kannst meine Haarspitzen erkennen.« S. 28

Mein Vater und ich sind allein. Wir haben keine Mutter. Oder richtig gesagt, mein Vater hat keine Frau. Was natürlich heißt, dass ich auch keine Mutter habe. Das heißt, wir müssen sozusagen alles selber machen. Das wollen wir ja auch gern, aber wenn jetzt plötzlich das mit der Welt dazukommt, dann wird alles so unübersichtlich, obendrein Butterbrote schmieren und montags sauber machen und sonnabends einkaufen. Und sonntags müssen wir noch ins Waschcenter. Nicht, dass ich die Welt nicht erretten will, ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, ich hab's ja auch versprochen, denn wie Frau Andersen sagt, wer A sagt, muss auch B sagen. Ich weiß auch nicht, warum. Haben Sie was gesagt?«

»Auserwählt bist du, Hodder.«
Hodder seufzte und nickte. »Ja, bin ich wohl, lassen Sie mal sehen, ach ja, ich hatte mir überlegt, mit einer kleinen Insel anzufangen.«

Hodder holte seinen Atlas, als die Fee zu ihm hinschwebte und sich neben ihn setzte. Das war ein eigentümliches Gefühl, denn plötzlich spürte Hodder eine unerwartete Kälte, als hätte jemand einen riesigen Kühlschrank geöffnet. Und wie bei ihrem letzten Besuch strahlte von der Fee ein kräftiges Licht aus. Sie starrte Hodder mit ihren weißen Augen an.

»Sei gegrüßt, Hodder«, sagte sie.

»Ja, Sie auch«, sagte Hodder müde. »Sagt Ihnen der Name Guambilua etwas? Das ist eine kleine Insel ganz unten bei Afrika. Sie ist nicht größer als die kleinen schwarzen Dinger auf den Mohnbrötchen.« S. 66


Lesezitate nach Bjarne Reuter - Hodder der Nachtschwärmer


© 8.11.2000 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de